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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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gen über die Formen des Handels und Verkehrs. Die Nation hat z. B. Interesse,
den Straßenbau der Communen zu beaufsichtigen, Bestimmungen über die Breite
des Fahrgleises zu treffen, die Schankgerechtigkeit zu beschränken, zu verhindern
daß einzelne Gemeinden den Laudesverkehr durch Zölle, Brückenabgaben u. s. w.
stören; daun die Erhebung der Staatsabgaben. Alle directen Steuern müssen
durch die Gemeinden erhoben und in die Staatskasse abgeliefert werden. Dem
Staat muß das Executivnörecht gegen säumige Gemeinden zustehen; ferner: die
Militärpflicht der Gemeindeinsassen. Die Gemeinden haben dem Staat ihre waf¬
fenfähige Mannschaft, Pferde, Gespanne für militärische Bildung und Krieg zu
stellen, der Staat hat das Recht darüber zu wachen, daß dies vollständig und in
rechter Weise geschehe. Allgemeiner läßt sich dies so fassen, in allen Fälle", wo
Staatsgesetze oder Selbstbestimmung größerer Einheiten der Gemeinde Verpflich¬
tungen auslegen, hat der Staat oder die höhere Verbindung (Kreis, Provinz)
das Recht, die Gemeinde zu überwachen. Bis jetzt regierte auch da, wo die Ge¬
meinde am freiesten stand, außer den Gesetzen noch ein Wust von Guberuialerlasseu,
Präsidial- und Negieruugöverfügungen, die sich oft durchkreuzten und widersprachen
und eine unerträgliche Bevormundung bis in die kleinsten Einzelnheiten ausübten.
So kostete z. B. in Preußen jede kleine Buchhandlung eines kleinen Orts dem
Magistrat desselben jährlich an 3 bis 400 Briefe, eben so viel Abschriften dersel¬
ben und eben so viel Gänge und Protokolle; denn jedes verbotene Buch wurde
vom Ministerium alleu Regierungen, von allen Regierungen allen Landräthen, von
allen Landräthen den einzelnen Magistraten in einem Erlaß angezeigt, dieses amt¬
liche Circular mußte copirt, in der Buchhandlung mußte nachgesucht, über das
Resultat ein Protokoll aufgenommen und das Protokoll dem Landrath zugeschickt
werden. Um jedes verbotene Buch, vielleicht drei Bogen stark, allein in Preußen
an die tausend Briefe und polizeiliche Activum! In den letzten Jahren kam das
fast täglich vor -- und jetzt klingt es wie eine seltsame chinesische Geschichte aus
Marko Paolo.

Die Gemeinde hat Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten. Sie regiert sich
durch ihre frei erwählten Vertreter und Beamten, verfügt über Substanz und
Interessen ihres Vermögens, über Geld und persönliche Lasten ihrer Einwohner,
ist der Pfleger und Vormund ihrer Schulen, der Waisen (Pupilleusachen), der Ver¬
brecher, der Armen; führt die Lebensrcgister ihrer Angehörigen, die Grund-,
Grenz- und Hypothekcnbücher der Grundstücke des Gemeindeverbands, übt die
Polizei der Märkte, Flur, Straßen, des Baues, der Gesundheit, der Unglücks¬
fälle; sie umgibt, schützt, hebt und unterstützt das Leben ihrer Einwohner und
ist als Heimath, Zuflucht, brüderliche Genossenschaft das große Dach, an welchem
das Herz des Einzelnen hängen, aus dem seine Kraft für das Ganze des Staats
wirken soll. Die Heimath soll Jedem die letzte sichere Zuflucht sein. Die Ge¬
meinde ist verpflichtet alle Hilflosen, denen sie Heimath ist, zu erhalten. Jeder


gen über die Formen des Handels und Verkehrs. Die Nation hat z. B. Interesse,
den Straßenbau der Communen zu beaufsichtigen, Bestimmungen über die Breite
des Fahrgleises zu treffen, die Schankgerechtigkeit zu beschränken, zu verhindern
daß einzelne Gemeinden den Laudesverkehr durch Zölle, Brückenabgaben u. s. w.
stören; daun die Erhebung der Staatsabgaben. Alle directen Steuern müssen
durch die Gemeinden erhoben und in die Staatskasse abgeliefert werden. Dem
Staat muß das Executivnörecht gegen säumige Gemeinden zustehen; ferner: die
Militärpflicht der Gemeindeinsassen. Die Gemeinden haben dem Staat ihre waf¬
fenfähige Mannschaft, Pferde, Gespanne für militärische Bildung und Krieg zu
stellen, der Staat hat das Recht darüber zu wachen, daß dies vollständig und in
rechter Weise geschehe. Allgemeiner läßt sich dies so fassen, in allen Fälle», wo
Staatsgesetze oder Selbstbestimmung größerer Einheiten der Gemeinde Verpflich¬
tungen auslegen, hat der Staat oder die höhere Verbindung (Kreis, Provinz)
das Recht, die Gemeinde zu überwachen. Bis jetzt regierte auch da, wo die Ge¬
meinde am freiesten stand, außer den Gesetzen noch ein Wust von Guberuialerlasseu,
Präsidial- und Negieruugöverfügungen, die sich oft durchkreuzten und widersprachen
und eine unerträgliche Bevormundung bis in die kleinsten Einzelnheiten ausübten.
So kostete z. B. in Preußen jede kleine Buchhandlung eines kleinen Orts dem
Magistrat desselben jährlich an 3 bis 400 Briefe, eben so viel Abschriften dersel¬
ben und eben so viel Gänge und Protokolle; denn jedes verbotene Buch wurde
vom Ministerium alleu Regierungen, von allen Regierungen allen Landräthen, von
allen Landräthen den einzelnen Magistraten in einem Erlaß angezeigt, dieses amt¬
liche Circular mußte copirt, in der Buchhandlung mußte nachgesucht, über das
Resultat ein Protokoll aufgenommen und das Protokoll dem Landrath zugeschickt
werden. Um jedes verbotene Buch, vielleicht drei Bogen stark, allein in Preußen
an die tausend Briefe und polizeiliche Activum! In den letzten Jahren kam das
fast täglich vor — und jetzt klingt es wie eine seltsame chinesische Geschichte aus
Marko Paolo.

Die Gemeinde hat Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten. Sie regiert sich
durch ihre frei erwählten Vertreter und Beamten, verfügt über Substanz und
Interessen ihres Vermögens, über Geld und persönliche Lasten ihrer Einwohner,
ist der Pfleger und Vormund ihrer Schulen, der Waisen (Pupilleusachen), der Ver¬
brecher, der Armen; führt die Lebensrcgister ihrer Angehörigen, die Grund-,
Grenz- und Hypothekcnbücher der Grundstücke des Gemeindeverbands, übt die
Polizei der Märkte, Flur, Straßen, des Baues, der Gesundheit, der Unglücks¬
fälle; sie umgibt, schützt, hebt und unterstützt das Leben ihrer Einwohner und
ist als Heimath, Zuflucht, brüderliche Genossenschaft das große Dach, an welchem
das Herz des Einzelnen hängen, aus dem seine Kraft für das Ganze des Staats
wirken soll. Die Heimath soll Jedem die letzte sichere Zuflucht sein. Die Ge¬
meinde ist verpflichtet alle Hilflosen, denen sie Heimath ist, zu erhalten. Jeder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/78>, abgerufen am 22.07.2024.