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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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-- freie Association -- oder das Zusammenwohnen der Einzelnen in Bezug auf Fami¬
lienleben, Grundbesitz, Rechtspflege, Ordnung und Zucht stabil und allen gemein¬
sam gemacht haben -- Gemeinden u. f. w.

Je schneller und energischer sich in den engern Kreisen des Völkerlebens ein
organisches Zusammenleben, gemeinsames Wollen, Selbstbestimmung und Selbstregi¬
ment durchsetzen, je genauer sie sich den vorhandenen Zuständen anpassen und aus
ihnen entwickeln, desto eher wird es dem Volk gelingen, auch in seiner größten
Verbindung, dem Staat, freie Formen einzuführen und sich zu erhalten. Die
steieste Staatsverfassung wird unpraktisch, wenn sie einem unfreien, isolirten, in
ungegliederter Masse starrenden Volk gegeben wird. Aber es handelt sich in dem
großen Kampf der Gegenwart noch um ganz andere Dinge, als freie Staatsfor¬
men; nicht nur die Freiheit, auch das Gedeihen des Individuums wird gefordert
und die politische Freiheit soll dazu helfen, die soziale Lage der Masse zu refor-
miren. Hier ist die Aufgabe der Organisation, das Proletariat zu bändigen, ja
aufzuheben, das Leben des Armen zu stärken, zu adeln und zu verschönen, dem
Einzelnen Halt, Kraft und die idealen Empfindungen der Freundschaft, Vater¬
landsliebe, Hingebung einzuimpfen und den Glanz der Kunst und des Wissens
aus seinen Heerd zu leiten. Es ist unmöglich die Maschinen zu zerschlagen, die
tüchtige Beschränktheit der alten Zünfte wieder einzuführen, aber es ist allerdings
möglich, den Maschinenarbeiter zu einem kräftigen, gesunden Menschen, den Hand¬
werker, trotz der seelenlosen Theilung unserer Arbeit zu einem ehrenfester, intel¬
ligenten und lebensfrischen Kameraden zu machen; es ist möglich dem deutschen
Leben bunte Mannigfaltigkeit, Schönheit und edlen Genuß zu geben. Die Sehn¬
sucht nach solcher neuen Bildung ist allgemein, es kommt nur darauf an, daß die
Gesetzgebung und der kräftige Bildungstrieb des deutschen Volkes in dem rechten
Weg arbeiten. Die Gesetzentwürfe dieses Jahres beweisen, daß dieser Weg noch
nicht gefunden ist, und das Hinderniß sind wieder die falschen Vorstellungen von
der Stellung des Einzelnen zum Staat; Absolutisten und Radikale theilen sich in
denselben Fehler. Die sogenannten Demokraten sagen, alle Menschen, d. h. alle
Männer über 24 Jahr sollen gleiche staatliche Rechte haben, alle sollen sich selbst
regieren, alle sollen den Staat regieren. Hierbei liegt die einseitige Auffassung
zu Grunde, daß die vernünftige Freiheit des Volkes allein abhänge von der Summe
der Freiheit, welche jeder Einzelne besitzt. Sie hängt ebensosehr von der vernünf¬
tigen Beschränkung des Individuums ab. Unbeschränkte Freizügigkeit z. B. häuft
das Proletariat großer Städte in riesiger Steigerung zusammen u. s. w. Alle
Freiheit in den Individuen concentiren, das heißt das Leben der Communen töd-
ten, das Leben des Staates vergiften. So lange es Dienstgeber und Dienstleute,
Hausherren und Hausknechte, Unwissende und Geschenke gibt, ist selbst der Grund¬
setz der Majoritäten, durch welche nach herrschender Ansicht der Wille des Volks
zur Darstellung kommen soll, eine Fiction. Während er bei den Gemeinden das


— freie Association — oder das Zusammenwohnen der Einzelnen in Bezug auf Fami¬
lienleben, Grundbesitz, Rechtspflege, Ordnung und Zucht stabil und allen gemein¬
sam gemacht haben — Gemeinden u. f. w.

Je schneller und energischer sich in den engern Kreisen des Völkerlebens ein
organisches Zusammenleben, gemeinsames Wollen, Selbstbestimmung und Selbstregi¬
ment durchsetzen, je genauer sie sich den vorhandenen Zuständen anpassen und aus
ihnen entwickeln, desto eher wird es dem Volk gelingen, auch in seiner größten
Verbindung, dem Staat, freie Formen einzuführen und sich zu erhalten. Die
steieste Staatsverfassung wird unpraktisch, wenn sie einem unfreien, isolirten, in
ungegliederter Masse starrenden Volk gegeben wird. Aber es handelt sich in dem
großen Kampf der Gegenwart noch um ganz andere Dinge, als freie Staatsfor¬
men; nicht nur die Freiheit, auch das Gedeihen des Individuums wird gefordert
und die politische Freiheit soll dazu helfen, die soziale Lage der Masse zu refor-
miren. Hier ist die Aufgabe der Organisation, das Proletariat zu bändigen, ja
aufzuheben, das Leben des Armen zu stärken, zu adeln und zu verschönen, dem
Einzelnen Halt, Kraft und die idealen Empfindungen der Freundschaft, Vater¬
landsliebe, Hingebung einzuimpfen und den Glanz der Kunst und des Wissens
aus seinen Heerd zu leiten. Es ist unmöglich die Maschinen zu zerschlagen, die
tüchtige Beschränktheit der alten Zünfte wieder einzuführen, aber es ist allerdings
möglich, den Maschinenarbeiter zu einem kräftigen, gesunden Menschen, den Hand¬
werker, trotz der seelenlosen Theilung unserer Arbeit zu einem ehrenfester, intel¬
ligenten und lebensfrischen Kameraden zu machen; es ist möglich dem deutschen
Leben bunte Mannigfaltigkeit, Schönheit und edlen Genuß zu geben. Die Sehn¬
sucht nach solcher neuen Bildung ist allgemein, es kommt nur darauf an, daß die
Gesetzgebung und der kräftige Bildungstrieb des deutschen Volkes in dem rechten
Weg arbeiten. Die Gesetzentwürfe dieses Jahres beweisen, daß dieser Weg noch
nicht gefunden ist, und das Hinderniß sind wieder die falschen Vorstellungen von
der Stellung des Einzelnen zum Staat; Absolutisten und Radikale theilen sich in
denselben Fehler. Die sogenannten Demokraten sagen, alle Menschen, d. h. alle
Männer über 24 Jahr sollen gleiche staatliche Rechte haben, alle sollen sich selbst
regieren, alle sollen den Staat regieren. Hierbei liegt die einseitige Auffassung
zu Grunde, daß die vernünftige Freiheit des Volkes allein abhänge von der Summe
der Freiheit, welche jeder Einzelne besitzt. Sie hängt ebensosehr von der vernünf¬
tigen Beschränkung des Individuums ab. Unbeschränkte Freizügigkeit z. B. häuft
das Proletariat großer Städte in riesiger Steigerung zusammen u. s. w. Alle
Freiheit in den Individuen concentiren, das heißt das Leben der Communen töd-
ten, das Leben des Staates vergiften. So lange es Dienstgeber und Dienstleute,
Hausherren und Hausknechte, Unwissende und Geschenke gibt, ist selbst der Grund¬
setz der Majoritäten, durch welche nach herrschender Ansicht der Wille des Volks
zur Darstellung kommen soll, eine Fiction. Während er bei den Gemeinden das


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[0068] — freie Association — oder das Zusammenwohnen der Einzelnen in Bezug auf Fami¬ lienleben, Grundbesitz, Rechtspflege, Ordnung und Zucht stabil und allen gemein¬ sam gemacht haben — Gemeinden u. f. w. Je schneller und energischer sich in den engern Kreisen des Völkerlebens ein organisches Zusammenleben, gemeinsames Wollen, Selbstbestimmung und Selbstregi¬ ment durchsetzen, je genauer sie sich den vorhandenen Zuständen anpassen und aus ihnen entwickeln, desto eher wird es dem Volk gelingen, auch in seiner größten Verbindung, dem Staat, freie Formen einzuführen und sich zu erhalten. Die steieste Staatsverfassung wird unpraktisch, wenn sie einem unfreien, isolirten, in ungegliederter Masse starrenden Volk gegeben wird. Aber es handelt sich in dem großen Kampf der Gegenwart noch um ganz andere Dinge, als freie Staatsfor¬ men; nicht nur die Freiheit, auch das Gedeihen des Individuums wird gefordert und die politische Freiheit soll dazu helfen, die soziale Lage der Masse zu refor- miren. Hier ist die Aufgabe der Organisation, das Proletariat zu bändigen, ja aufzuheben, das Leben des Armen zu stärken, zu adeln und zu verschönen, dem Einzelnen Halt, Kraft und die idealen Empfindungen der Freundschaft, Vater¬ landsliebe, Hingebung einzuimpfen und den Glanz der Kunst und des Wissens aus seinen Heerd zu leiten. Es ist unmöglich die Maschinen zu zerschlagen, die tüchtige Beschränktheit der alten Zünfte wieder einzuführen, aber es ist allerdings möglich, den Maschinenarbeiter zu einem kräftigen, gesunden Menschen, den Hand¬ werker, trotz der seelenlosen Theilung unserer Arbeit zu einem ehrenfester, intel¬ ligenten und lebensfrischen Kameraden zu machen; es ist möglich dem deutschen Leben bunte Mannigfaltigkeit, Schönheit und edlen Genuß zu geben. Die Sehn¬ sucht nach solcher neuen Bildung ist allgemein, es kommt nur darauf an, daß die Gesetzgebung und der kräftige Bildungstrieb des deutschen Volkes in dem rechten Weg arbeiten. Die Gesetzentwürfe dieses Jahres beweisen, daß dieser Weg noch nicht gefunden ist, und das Hinderniß sind wieder die falschen Vorstellungen von der Stellung des Einzelnen zum Staat; Absolutisten und Radikale theilen sich in denselben Fehler. Die sogenannten Demokraten sagen, alle Menschen, d. h. alle Männer über 24 Jahr sollen gleiche staatliche Rechte haben, alle sollen sich selbst regieren, alle sollen den Staat regieren. Hierbei liegt die einseitige Auffassung zu Grunde, daß die vernünftige Freiheit des Volkes allein abhänge von der Summe der Freiheit, welche jeder Einzelne besitzt. Sie hängt ebensosehr von der vernünf¬ tigen Beschränkung des Individuums ab. Unbeschränkte Freizügigkeit z. B. häuft das Proletariat großer Städte in riesiger Steigerung zusammen u. s. w. Alle Freiheit in den Individuen concentiren, das heißt das Leben der Communen töd- ten, das Leben des Staates vergiften. So lange es Dienstgeber und Dienstleute, Hausherren und Hausknechte, Unwissende und Geschenke gibt, ist selbst der Grund¬ setz der Majoritäten, durch welche nach herrschender Ansicht der Wille des Volks zur Darstellung kommen soll, eine Fiction. Während er bei den Gemeinden das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/68>, abgerufen am 29.06.2024.