Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Staat ist eine Maschine, das Volk ist zerfallen in Millionen Einzelwesen,
von denen jeder auf seine Weise dichtet und denkt, das freie Zusammenhalten der
Einzelnen wird nur durch Bedürfniß des Herzens oder Geldbeutels vermittelt,
der staatliche Zusammenhang der Individuen ist arm an Formen und Farben, eine
kalte Abstraktion; die Innungen werden Kassenvereine, die Gemeinden sind Ver¬
bindungen für gemeinsame Märkte, Hutungen oder Raff- und Leseholzgerechtigtcit,
der Gemeinsinn erstirbt, nicht nur an der Unfreiheit, sondern noch mehr an der
Langweiligkeit des Gemciudelcbens; die plastische Thätigkeit der Handwerker geht
unter in der Abstraktion der Maschinen, der kräftige Egoismus der alten Com¬
munen zersplittert sich in den hypochondrischen kleinen Eigennutz der Individuen,
welche die Stützen ihrer Existenz verloren hatten, das Proletariat bricht uns, die
große Eiterbeule der Gegenwart, und sichres Selbstgefühl, schöne Form, kräf¬
tige That werden immer seltener. Das Elend von hunderttausend Einzelnen rührte
die Einzelnen, diese abstrahirten sich das Passende und schrieben sozialistische Sy¬
steme, worin sie tiefsinnig die Gründe all des Elends auseinandersetzten und al¬
les Mögliche, zumal das Capital und die Intelligenz dafür verantwortlich mach¬
ten, während sie vergaßen, daß sie selbst an demselben Unheil litten, welches das
Proletariat aufschießen macht, an einer isolirten Existenz zwischen Individuen, Sy¬
stemen und Maschinell, an den rohen und pedantischen Vorstellungen von Völker
und Staatsleben, wie sie seit der Befreiung Amerikas und der französischen Re¬
volution herrschen, an unseren Vorstellungen, nach denen der Staat eine Abstrak¬
tion ist von einigen Millionen armer Einzelwesen, deren jeder einen kleinen Bruch¬
theil der Souveränität darstellt, deren Conglomeration durch Wahlacte geschieht,
wo die vielen Einzelnen eine kleinere Zahl von Einzelnen und diese wieder das
höchste Einzelwesen, den Präsidenten oder so etwas mit ihrer Souveränität be¬
schenken. Abgeschmacktheiten, wie die Lehre von der Souveränität der Massen;
Reaktionen, wie die Diktatur Napoleons, Cavaignac's; Verrücktheiten, wie die
Lehre von der Garantie der Arbeit sind die nothwendige Folge einer solchen geist¬
losen, atomistischen Auffassung des Staarslebens. Wem diese Auffassung der Ge¬
genwart fremd entgegentritt, der mache sie sich dadurch angenehm, daß er sie in die
Formeln seines Systems steckt, er sage z. B. im Mittelalter war für das deutsche
Staatsleben die Zeit des unmittelbaren Seins, von da bis zur Gegenwart die Pe¬
riode der Trennung von denken und sein, des abstrakten Geistes; die Gefahren
und Einseitigkeiten beider Formen der Existenz sind zu überwinden, die Aufgabe
ist da, die Kraft ist da, es gilt die Einheit des getrennten Lebens herzustellen
und in der Sphäre des Staates gibt es dazu ein Mittel, ein großes, radikales,
es heißt Organisation.

Grundlage und Voraussetzung jedes freien Staatslebens ist die vernünftige
Organisation des Volkes in all den großen und kleinen Verbindungen, welche
entweder die mannigfachen Privatinteressen des Individuums nothwendig machten,->,"^


8*>.

Der Staat ist eine Maschine, das Volk ist zerfallen in Millionen Einzelwesen,
von denen jeder auf seine Weise dichtet und denkt, das freie Zusammenhalten der
Einzelnen wird nur durch Bedürfniß des Herzens oder Geldbeutels vermittelt,
der staatliche Zusammenhang der Individuen ist arm an Formen und Farben, eine
kalte Abstraktion; die Innungen werden Kassenvereine, die Gemeinden sind Ver¬
bindungen für gemeinsame Märkte, Hutungen oder Raff- und Leseholzgerechtigtcit,
der Gemeinsinn erstirbt, nicht nur an der Unfreiheit, sondern noch mehr an der
Langweiligkeit des Gemciudelcbens; die plastische Thätigkeit der Handwerker geht
unter in der Abstraktion der Maschinen, der kräftige Egoismus der alten Com¬
munen zersplittert sich in den hypochondrischen kleinen Eigennutz der Individuen,
welche die Stützen ihrer Existenz verloren hatten, das Proletariat bricht uns, die
große Eiterbeule der Gegenwart, und sichres Selbstgefühl, schöne Form, kräf¬
tige That werden immer seltener. Das Elend von hunderttausend Einzelnen rührte
die Einzelnen, diese abstrahirten sich das Passende und schrieben sozialistische Sy¬
steme, worin sie tiefsinnig die Gründe all des Elends auseinandersetzten und al¬
les Mögliche, zumal das Capital und die Intelligenz dafür verantwortlich mach¬
ten, während sie vergaßen, daß sie selbst an demselben Unheil litten, welches das
Proletariat aufschießen macht, an einer isolirten Existenz zwischen Individuen, Sy¬
stemen und Maschinell, an den rohen und pedantischen Vorstellungen von Völker
und Staatsleben, wie sie seit der Befreiung Amerikas und der französischen Re¬
volution herrschen, an unseren Vorstellungen, nach denen der Staat eine Abstrak¬
tion ist von einigen Millionen armer Einzelwesen, deren jeder einen kleinen Bruch¬
theil der Souveränität darstellt, deren Conglomeration durch Wahlacte geschieht,
wo die vielen Einzelnen eine kleinere Zahl von Einzelnen und diese wieder das
höchste Einzelwesen, den Präsidenten oder so etwas mit ihrer Souveränität be¬
schenken. Abgeschmacktheiten, wie die Lehre von der Souveränität der Massen;
Reaktionen, wie die Diktatur Napoleons, Cavaignac's; Verrücktheiten, wie die
Lehre von der Garantie der Arbeit sind die nothwendige Folge einer solchen geist¬
losen, atomistischen Auffassung des Staarslebens. Wem diese Auffassung der Ge¬
genwart fremd entgegentritt, der mache sie sich dadurch angenehm, daß er sie in die
Formeln seines Systems steckt, er sage z. B. im Mittelalter war für das deutsche
Staatsleben die Zeit des unmittelbaren Seins, von da bis zur Gegenwart die Pe¬
riode der Trennung von denken und sein, des abstrakten Geistes; die Gefahren
und Einseitigkeiten beider Formen der Existenz sind zu überwinden, die Aufgabe
ist da, die Kraft ist da, es gilt die Einheit des getrennten Lebens herzustellen
und in der Sphäre des Staates gibt es dazu ein Mittel, ein großes, radikales,
es heißt Organisation.

Grundlage und Voraussetzung jedes freien Staatslebens ist die vernünftige
Organisation des Volkes in all den großen und kleinen Verbindungen, welche
entweder die mannigfachen Privatinteressen des Individuums nothwendig machten,->,"^


8*>.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0067" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276823"/>
          <p xml:id="ID_178" prev="#ID_177"> Der Staat ist eine Maschine, das Volk ist zerfallen in Millionen Einzelwesen,<lb/>
von denen jeder auf seine Weise dichtet und denkt, das freie Zusammenhalten der<lb/>
Einzelnen wird nur durch Bedürfniß des Herzens oder Geldbeutels vermittelt,<lb/>
der staatliche Zusammenhang der Individuen ist arm an Formen und Farben, eine<lb/>
kalte Abstraktion; die Innungen werden Kassenvereine, die Gemeinden sind Ver¬<lb/>
bindungen für gemeinsame Märkte, Hutungen oder Raff- und Leseholzgerechtigtcit,<lb/>
der Gemeinsinn erstirbt, nicht nur an der Unfreiheit, sondern noch mehr an der<lb/>
Langweiligkeit des Gemciudelcbens; die plastische Thätigkeit der Handwerker geht<lb/>
unter in der Abstraktion der Maschinen, der kräftige Egoismus der alten Com¬<lb/>
munen zersplittert sich in den hypochondrischen kleinen Eigennutz der Individuen,<lb/>
welche die Stützen ihrer Existenz verloren hatten, das Proletariat bricht uns, die<lb/>
große Eiterbeule der Gegenwart, und sichres Selbstgefühl, schöne Form, kräf¬<lb/>
tige That werden immer seltener. Das Elend von hunderttausend Einzelnen rührte<lb/>
die Einzelnen, diese abstrahirten sich das Passende und schrieben sozialistische Sy¬<lb/>
steme, worin sie tiefsinnig die Gründe all des Elends auseinandersetzten und al¬<lb/>
les Mögliche, zumal das Capital und die Intelligenz dafür verantwortlich mach¬<lb/>
ten, während sie vergaßen, daß sie selbst an demselben Unheil litten, welches das<lb/>
Proletariat aufschießen macht, an einer isolirten Existenz zwischen Individuen, Sy¬<lb/>
stemen und Maschinell, an den rohen und pedantischen Vorstellungen von Völker<lb/>
und Staatsleben, wie sie seit der Befreiung Amerikas und der französischen Re¬<lb/>
volution herrschen, an unseren Vorstellungen, nach denen der Staat eine Abstrak¬<lb/>
tion ist von einigen Millionen armer Einzelwesen, deren jeder einen kleinen Bruch¬<lb/>
theil der Souveränität darstellt, deren Conglomeration durch Wahlacte geschieht,<lb/>
wo die vielen Einzelnen eine kleinere Zahl von Einzelnen und diese wieder das<lb/>
höchste Einzelwesen, den Präsidenten oder so etwas mit ihrer Souveränität be¬<lb/>
schenken. Abgeschmacktheiten, wie die Lehre von der Souveränität der Massen;<lb/>
Reaktionen, wie die Diktatur Napoleons, Cavaignac's; Verrücktheiten, wie die<lb/>
Lehre von der Garantie der Arbeit sind die nothwendige Folge einer solchen geist¬<lb/>
losen, atomistischen Auffassung des Staarslebens. Wem diese Auffassung der Ge¬<lb/>
genwart fremd entgegentritt, der mache sie sich dadurch angenehm, daß er sie in die<lb/>
Formeln seines Systems steckt, er sage z. B. im Mittelalter war für das deutsche<lb/>
Staatsleben die Zeit des unmittelbaren Seins, von da bis zur Gegenwart die Pe¬<lb/>
riode der Trennung von denken und sein, des abstrakten Geistes; die Gefahren<lb/>
und Einseitigkeiten beider Formen der Existenz sind zu überwinden, die Aufgabe<lb/>
ist da, die Kraft ist da, es gilt die Einheit des getrennten Lebens herzustellen<lb/>
und in der Sphäre des Staates gibt es dazu ein Mittel, ein großes, radikales,<lb/>
es heißt Organisation.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_179" next="#ID_180"> Grundlage und Voraussetzung jedes freien Staatslebens ist die vernünftige<lb/>
Organisation des Volkes in all den großen und kleinen Verbindungen, welche<lb/>
entweder die mannigfachen Privatinteressen des Individuums nothwendig machten,-&gt;,"^</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 8*&gt;.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0067] Der Staat ist eine Maschine, das Volk ist zerfallen in Millionen Einzelwesen, von denen jeder auf seine Weise dichtet und denkt, das freie Zusammenhalten der Einzelnen wird nur durch Bedürfniß des Herzens oder Geldbeutels vermittelt, der staatliche Zusammenhang der Individuen ist arm an Formen und Farben, eine kalte Abstraktion; die Innungen werden Kassenvereine, die Gemeinden sind Ver¬ bindungen für gemeinsame Märkte, Hutungen oder Raff- und Leseholzgerechtigtcit, der Gemeinsinn erstirbt, nicht nur an der Unfreiheit, sondern noch mehr an der Langweiligkeit des Gemciudelcbens; die plastische Thätigkeit der Handwerker geht unter in der Abstraktion der Maschinen, der kräftige Egoismus der alten Com¬ munen zersplittert sich in den hypochondrischen kleinen Eigennutz der Individuen, welche die Stützen ihrer Existenz verloren hatten, das Proletariat bricht uns, die große Eiterbeule der Gegenwart, und sichres Selbstgefühl, schöne Form, kräf¬ tige That werden immer seltener. Das Elend von hunderttausend Einzelnen rührte die Einzelnen, diese abstrahirten sich das Passende und schrieben sozialistische Sy¬ steme, worin sie tiefsinnig die Gründe all des Elends auseinandersetzten und al¬ les Mögliche, zumal das Capital und die Intelligenz dafür verantwortlich mach¬ ten, während sie vergaßen, daß sie selbst an demselben Unheil litten, welches das Proletariat aufschießen macht, an einer isolirten Existenz zwischen Individuen, Sy¬ stemen und Maschinell, an den rohen und pedantischen Vorstellungen von Völker und Staatsleben, wie sie seit der Befreiung Amerikas und der französischen Re¬ volution herrschen, an unseren Vorstellungen, nach denen der Staat eine Abstrak¬ tion ist von einigen Millionen armer Einzelwesen, deren jeder einen kleinen Bruch¬ theil der Souveränität darstellt, deren Conglomeration durch Wahlacte geschieht, wo die vielen Einzelnen eine kleinere Zahl von Einzelnen und diese wieder das höchste Einzelwesen, den Präsidenten oder so etwas mit ihrer Souveränität be¬ schenken. Abgeschmacktheiten, wie die Lehre von der Souveränität der Massen; Reaktionen, wie die Diktatur Napoleons, Cavaignac's; Verrücktheiten, wie die Lehre von der Garantie der Arbeit sind die nothwendige Folge einer solchen geist¬ losen, atomistischen Auffassung des Staarslebens. Wem diese Auffassung der Ge¬ genwart fremd entgegentritt, der mache sie sich dadurch angenehm, daß er sie in die Formeln seines Systems steckt, er sage z. B. im Mittelalter war für das deutsche Staatsleben die Zeit des unmittelbaren Seins, von da bis zur Gegenwart die Pe¬ riode der Trennung von denken und sein, des abstrakten Geistes; die Gefahren und Einseitigkeiten beider Formen der Existenz sind zu überwinden, die Aufgabe ist da, die Kraft ist da, es gilt die Einheit des getrennten Lebens herzustellen und in der Sphäre des Staates gibt es dazu ein Mittel, ein großes, radikales, es heißt Organisation. Grundlage und Voraussetzung jedes freien Staatslebens ist die vernünftige Organisation des Volkes in all den großen und kleinen Verbindungen, welche entweder die mannigfachen Privatinteressen des Individuums nothwendig machten,->,"^ 8*>.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/67
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/67>, abgerufen am 25.12.2024.