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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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zerrt -- und die Wunde, die sein Herz ans dem Throne erhielt, kann nur in der
Einsamkeit allmälig wieder heilen. Er mußte aufs Tiefste verletzt sein durch den
revolutionären Ungestüm des Volkes, weil er sich dessen in innerster Seele bewußt
war, daß er nicht muthwillig durch seine Regierung jenen Sturm heraufbeschwo¬
ren habe, und doch nicht recht begreifen konnte, daß der Zorn des Volkes nicht
ihm, sondern der Regierungsform des Habsburgische" Staates überhaupt gegol¬
ten. Es war aber an der Zeit, das schrankenlose, absolute Regiment zu brechen,
welches nur einem primitiven Weltalter, das in seiner Unschuld "och keine Re¬
chenschaft fordert, in der würdige" Form der patriarchalischen Regierung erschei¬
nen kann, .aber in dem Zeitalter der Reflexiv" als ein unwürdiger, anfgcdrnnge-
ncr Zwangszustand zum Zerrbild des Polizeistaates herabsinken muß. Denn so
wie in Karl's V. Reich der religiöse Absolutismus, weil der Zeit die Naivetät
des Glaubens abzugehen anfing, als eine unsittliche Zwangsgewalt durch die
äußern Schrecken der Inquisition gegen die geistige Macht der Kritik sich wehrte:
ebenso konnte unter Ferdinand l. der politische Absolutismus wegen seines Wider¬
spruches mit dem ideellen Gehalte der Zeit nnr durch das Institut Scdlinitzky's
ein gemachtes, künstliches Leben fristen. Kaiser Ferdinand besaß aber für seine
Person die ganze Naivetät der patriarchalischen Vaterliebe, wenn anch seine Völ¬
ker ans der Naivetät des kindlichen Vertrauens längst hcransgewachse" waren,
u"d mußte daher durch de" Skepticismus seiner "Kinder" bitter gekränkt werden.
Er ertrug es nicht, i" der berechneten Stellung, in der kalten Fremdheit eines
constitutionellen Fürsten seinen Völkern gcgciiübcr zu stehen, und so dankte er ab.
Und wohin wendete sich der in das Privatleben zurückkehrende Fürst? Nach Böh¬
me"; denn dies ist das Land, wo die Loyalitätsadrcsse" blühen! Er hätte ei¬
gentlich nach Tirol gehen sollen. Dort hätte ihn das Volk jubelnd begrüßt, weil
es die Penaten des kaiserlichen Hauses seit jeher zum Gegenstand seines National-
cultus gemacht hat, und über die patriarchalische Auffassung des Staatslebens
noch nicht hinausgekommen ist. Die kindliche Begeisterung der Tiroler für ihren
Monarchen, diese Naivetät, die sich in Andreas Hofer bis zum Heroismus gestei¬
gert hat, würde so gut zu dem väterlichen Sinne Ferdinand'S gestimmt haben.
Die Czechen aber, die sich in die Naivetät ihrer Ergcbcnheitsadresscn erst hincin-
rcflectiren müssen, haben stets demokratische Wünsche auf ihrer Lippe gehabt, wenn
sie den Purpur des Kaisers küssend zum Munde führten. Sie haben immer nur
nach reiflicher Ueberlegung ihre Begeisterung für den Monarchen an den Tag ge¬
legt; darum hat auch ihr Enthusiasmus bisher nur ihrem Verstände, aber nicht
ihrem Herzen zur Ehre gereicht. Auch diesmal überlegte" sie -- und fanden die
Begeisterung nach der Abdication für überflüssig. Sie haben aber aus der Ab.
dankung des Kaisers eine rührende Geschichte mit angehängter Moral gemacht;
und da die letztere in einer Nummer der slavischen Ccntralblätter gedruckt vor


zerrt — und die Wunde, die sein Herz ans dem Throne erhielt, kann nur in der
Einsamkeit allmälig wieder heilen. Er mußte aufs Tiefste verletzt sein durch den
revolutionären Ungestüm des Volkes, weil er sich dessen in innerster Seele bewußt
war, daß er nicht muthwillig durch seine Regierung jenen Sturm heraufbeschwo¬
ren habe, und doch nicht recht begreifen konnte, daß der Zorn des Volkes nicht
ihm, sondern der Regierungsform des Habsburgische» Staates überhaupt gegol¬
ten. Es war aber an der Zeit, das schrankenlose, absolute Regiment zu brechen,
welches nur einem primitiven Weltalter, das in seiner Unschuld »och keine Re¬
chenschaft fordert, in der würdige» Form der patriarchalischen Regierung erschei¬
nen kann, .aber in dem Zeitalter der Reflexiv» als ein unwürdiger, anfgcdrnnge-
ncr Zwangszustand zum Zerrbild des Polizeistaates herabsinken muß. Denn so
wie in Karl's V. Reich der religiöse Absolutismus, weil der Zeit die Naivetät
des Glaubens abzugehen anfing, als eine unsittliche Zwangsgewalt durch die
äußern Schrecken der Inquisition gegen die geistige Macht der Kritik sich wehrte:
ebenso konnte unter Ferdinand l. der politische Absolutismus wegen seines Wider¬
spruches mit dem ideellen Gehalte der Zeit nnr durch das Institut Scdlinitzky's
ein gemachtes, künstliches Leben fristen. Kaiser Ferdinand besaß aber für seine
Person die ganze Naivetät der patriarchalischen Vaterliebe, wenn anch seine Völ¬
ker ans der Naivetät des kindlichen Vertrauens längst hcransgewachse» waren,
u»d mußte daher durch de» Skepticismus seiner „Kinder" bitter gekränkt werden.
Er ertrug es nicht, i» der berechneten Stellung, in der kalten Fremdheit eines
constitutionellen Fürsten seinen Völkern gcgciiübcr zu stehen, und so dankte er ab.
Und wohin wendete sich der in das Privatleben zurückkehrende Fürst? Nach Böh¬
me»; denn dies ist das Land, wo die Loyalitätsadrcsse» blühen! Er hätte ei¬
gentlich nach Tirol gehen sollen. Dort hätte ihn das Volk jubelnd begrüßt, weil
es die Penaten des kaiserlichen Hauses seit jeher zum Gegenstand seines National-
cultus gemacht hat, und über die patriarchalische Auffassung des Staatslebens
noch nicht hinausgekommen ist. Die kindliche Begeisterung der Tiroler für ihren
Monarchen, diese Naivetät, die sich in Andreas Hofer bis zum Heroismus gestei¬
gert hat, würde so gut zu dem väterlichen Sinne Ferdinand'S gestimmt haben.
Die Czechen aber, die sich in die Naivetät ihrer Ergcbcnheitsadresscn erst hincin-
rcflectiren müssen, haben stets demokratische Wünsche auf ihrer Lippe gehabt, wenn
sie den Purpur des Kaisers küssend zum Munde führten. Sie haben immer nur
nach reiflicher Ueberlegung ihre Begeisterung für den Monarchen an den Tag ge¬
legt; darum hat auch ihr Enthusiasmus bisher nur ihrem Verstände, aber nicht
ihrem Herzen zur Ehre gereicht. Auch diesmal überlegte» sie — und fanden die
Begeisterung nach der Abdication für überflüssig. Sie haben aber aus der Ab.
dankung des Kaisers eine rührende Geschichte mit angehängter Moral gemacht;
und da die letztere in einer Nummer der slavischen Ccntralblätter gedruckt vor


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/457>, abgerufen am 22.07.2024.