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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Der Kaiser ist nun in Prag -- und gedenkt in den Räumen deS Hradschi"
ner Schlosses nach den gewaltigen Gemüthserschütterungen des März, Mai und
Oktober in stiller Abgeschiedenheit die Ruhe des Privatlebens zu genießen. Als
mau ihn nach den Stürmen des 15. Mai im Triumph in jene Burg führen
wollte, da schlug er das loyale Anerbieten der Czechen aus -- und wählte Ins-
bruck zu seinem Sitze. Jetzt aber hat er das Schloß des Hradschins nicht als
eine Residenz, sondern als ein Asyl bezogen; er hat gesunde", daß es sich hier
besser ausruhen, als regieren lasse. -- Die Abdankung des Kaisers ist ein gele¬
gener Stoss sür publicistische Grübelei; aber wozu soll man ihr ohne Noth Raum
gönnen? Wenn die Welt in eine neue Phase tritt, so geräth gar häufig der
Hausgott in eiuen Widerspruch mit dem Weltgeist; bedenklich ist es aber, wenn
gerade das regierende Haus der Schauplatz dieses Conflicts wird, und die Pena-
ten, vor denen der Fürst seine Privatandacht verrichtet, nichts gemein haben mit
den Göttern, deren Cultus an der Zeit ist. Dann bleibt dem Fürsten nichts
anderes übrig, als mit den Hausgöttern, von denen er nicht lassen will, ins
Privatleben zu flüchten und die Welt, die er nicht mehr versteht, einem Andern
zu überlassen. So that auch Ferdinand -- und lieferte hiermit das zweite Bei¬
spiel der Abdankung in der Habsburgischen Regenlengeschichte. Sein Ahn, Karl V>,
legte die Krone nieder, weil er jene Welt, die bei seinem Regierungsantritt als
ein Reich, in dem die Sonne nicht untergeht, glänzend vor ihm aufgeschlossen
lag, zuletzt nur in der Innerlichkeit des Klosterlebeus, in der Tiefe des beschau¬
lichen Gemüthes finden konnte. Das katholische Universalreich, die dogmatische
Zwangsherrschast, die nicht nur den Geist des Deutschen und des Spaniers knech¬
tete, sonder" auch den Natnrwuchs des amerikanischen Wilden unter ihr Joch
beugte, hörte allmälig auf, "ein Reich von dieser Welt" zu sein -- und dem
Kaiser blieb nichts anderes übrig, als jener Idee, der er als Fürst gelebt, als
Mönch zu sterben. Karl V. wurde auf dem deutschen Kaiserthrone durch das
scharfe Licht der Reformation auf unangenehme Weise überrascht, und konnte sich
von dem Augenschmerz, der ihn auf den Höhen des Thrones befiel, nur in dem
Halbdunkel einer Klosterzelle erholen. Kaiser Ferdinand wurde aus der Ruhe des
Regierens durch die bacchantisch geschwungene Fackel der Revolution aufgeschreckt,
welche durch ihren grellen Schein dasjenige, was sie beleuchtet, zugleich auch ver-


Aus P r a g.



Der Kaiser ist nun in Prag — und gedenkt in den Räumen deS Hradschi»
ner Schlosses nach den gewaltigen Gemüthserschütterungen des März, Mai und
Oktober in stiller Abgeschiedenheit die Ruhe des Privatlebens zu genießen. Als
mau ihn nach den Stürmen des 15. Mai im Triumph in jene Burg führen
wollte, da schlug er das loyale Anerbieten der Czechen aus — und wählte Ins-
bruck zu seinem Sitze. Jetzt aber hat er das Schloß des Hradschins nicht als
eine Residenz, sondern als ein Asyl bezogen; er hat gesunde», daß es sich hier
besser ausruhen, als regieren lasse. — Die Abdankung des Kaisers ist ein gele¬
gener Stoss sür publicistische Grübelei; aber wozu soll man ihr ohne Noth Raum
gönnen? Wenn die Welt in eine neue Phase tritt, so geräth gar häufig der
Hausgott in eiuen Widerspruch mit dem Weltgeist; bedenklich ist es aber, wenn
gerade das regierende Haus der Schauplatz dieses Conflicts wird, und die Pena-
ten, vor denen der Fürst seine Privatandacht verrichtet, nichts gemein haben mit
den Göttern, deren Cultus an der Zeit ist. Dann bleibt dem Fürsten nichts
anderes übrig, als mit den Hausgöttern, von denen er nicht lassen will, ins
Privatleben zu flüchten und die Welt, die er nicht mehr versteht, einem Andern
zu überlassen. So that auch Ferdinand — und lieferte hiermit das zweite Bei¬
spiel der Abdankung in der Habsburgischen Regenlengeschichte. Sein Ahn, Karl V>,
legte die Krone nieder, weil er jene Welt, die bei seinem Regierungsantritt als
ein Reich, in dem die Sonne nicht untergeht, glänzend vor ihm aufgeschlossen
lag, zuletzt nur in der Innerlichkeit des Klosterlebeus, in der Tiefe des beschau¬
lichen Gemüthes finden konnte. Das katholische Universalreich, die dogmatische
Zwangsherrschast, die nicht nur den Geist des Deutschen und des Spaniers knech¬
tete, sonder» auch den Natnrwuchs des amerikanischen Wilden unter ihr Joch
beugte, hörte allmälig auf, „ein Reich von dieser Welt" zu sein — und dem
Kaiser blieb nichts anderes übrig, als jener Idee, der er als Fürst gelebt, als
Mönch zu sterben. Karl V. wurde auf dem deutschen Kaiserthrone durch das
scharfe Licht der Reformation auf unangenehme Weise überrascht, und konnte sich
von dem Augenschmerz, der ihn auf den Höhen des Thrones befiel, nur in dem
Halbdunkel einer Klosterzelle erholen. Kaiser Ferdinand wurde aus der Ruhe des
Regierens durch die bacchantisch geschwungene Fackel der Revolution aufgeschreckt,
welche durch ihren grellen Schein dasjenige, was sie beleuchtet, zugleich auch ver-


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[0456] Aus P r a g. Der Kaiser ist nun in Prag — und gedenkt in den Räumen deS Hradschi» ner Schlosses nach den gewaltigen Gemüthserschütterungen des März, Mai und Oktober in stiller Abgeschiedenheit die Ruhe des Privatlebens zu genießen. Als mau ihn nach den Stürmen des 15. Mai im Triumph in jene Burg führen wollte, da schlug er das loyale Anerbieten der Czechen aus — und wählte Ins- bruck zu seinem Sitze. Jetzt aber hat er das Schloß des Hradschins nicht als eine Residenz, sondern als ein Asyl bezogen; er hat gesunde», daß es sich hier besser ausruhen, als regieren lasse. — Die Abdankung des Kaisers ist ein gele¬ gener Stoss sür publicistische Grübelei; aber wozu soll man ihr ohne Noth Raum gönnen? Wenn die Welt in eine neue Phase tritt, so geräth gar häufig der Hausgott in eiuen Widerspruch mit dem Weltgeist; bedenklich ist es aber, wenn gerade das regierende Haus der Schauplatz dieses Conflicts wird, und die Pena- ten, vor denen der Fürst seine Privatandacht verrichtet, nichts gemein haben mit den Göttern, deren Cultus an der Zeit ist. Dann bleibt dem Fürsten nichts anderes übrig, als mit den Hausgöttern, von denen er nicht lassen will, ins Privatleben zu flüchten und die Welt, die er nicht mehr versteht, einem Andern zu überlassen. So that auch Ferdinand — und lieferte hiermit das zweite Bei¬ spiel der Abdankung in der Habsburgischen Regenlengeschichte. Sein Ahn, Karl V>, legte die Krone nieder, weil er jene Welt, die bei seinem Regierungsantritt als ein Reich, in dem die Sonne nicht untergeht, glänzend vor ihm aufgeschlossen lag, zuletzt nur in der Innerlichkeit des Klosterlebeus, in der Tiefe des beschau¬ lichen Gemüthes finden konnte. Das katholische Universalreich, die dogmatische Zwangsherrschast, die nicht nur den Geist des Deutschen und des Spaniers knech¬ tete, sonder» auch den Natnrwuchs des amerikanischen Wilden unter ihr Joch beugte, hörte allmälig auf, „ein Reich von dieser Welt" zu sein — und dem Kaiser blieb nichts anderes übrig, als jener Idee, der er als Fürst gelebt, als Mönch zu sterben. Karl V. wurde auf dem deutschen Kaiserthrone durch das scharfe Licht der Reformation auf unangenehme Weise überrascht, und konnte sich von dem Augenschmerz, der ihn auf den Höhen des Thrones befiel, nur in dem Halbdunkel einer Klosterzelle erholen. Kaiser Ferdinand wurde aus der Ruhe des Regierens durch die bacchantisch geschwungene Fackel der Revolution aufgeschreckt, welche durch ihren grellen Schein dasjenige, was sie beleuchtet, zugleich auch ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/456>, abgerufen am 25.12.2024.