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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Darum wollen wir nicht verzagen. Wir haben in unsrer Partei die bessern
Finanziers, die bessern Geschäftsmänner, die bessern Juristen. Und über kurz oder
lang wird auch in Deutschland wie in England die practische Seite des Staats¬
lebens die ritterlich idealistische überwiegen.

Was ist nun also eigentlich unsre Partei? -- Wenn ich ihr bisher den
Namen der konstitutionellen gegeben habe, so geschah das aus Gewohnheit. Sie
thun sich etwas Besonders darauf zu Gute, daß zu Wien auch in der wildesten
Verwirrung die Republik nicht ausgerufen sei. Lieber Freund! mit dem Namen
ist nichts gethan. Vor ein paar Tagen zogen ein 10 bis 12 betrunkene Straßen¬
jungen durch Leipzigs friedliche Gassen, und schrieen an allen Straßenecken: "vivo
lit republi^ne!" zur großen Belustigung aller Umstehenden. So wenig ich nun
glaube, daß durch ein einfaches Straßengebrüll die höchste Form des freien Staats,
die Republik, realisirt wird, so wenig sehe ich in einem derartigen Pulses die
augenblickliche Auflösung aller gesellschaftlichen Bande. Wenn das Gesindel zu
laut schreit, so ist es einem musikalisch gebildeten Ohr zuwider; was es aber
schreit, ob: es lebe die Republik, oder es lebe der Kaiser, oder eS lebe der Un¬
sinn! ist vollkommen einerlei. Die spanischen Radicalen sind darin naiver; sie
schreien: Vivs,! vio-U ganz im Allgemeinen; uns Deutschen schadet die angestammte
Gründlichkeit.

Man kann Republikaner sein, lieber Friedmann, und doch für die Monarchie.
Republik heißt Gemeinwesen: das soll uns auch der Staat werden, er soll nicht
mehr außerhalb des wirklichen Lebens stehn, wie bei den Supernaturalisten der
transcendente Gott. Wir wollen unsere Angelegenheiten selber besorgen, dieser
allgemeine Grundsatz bleibt richtig, auch wenn man die Zweckmäßigkeit eines erb¬
lichen Staatsvertreters anerkennt, ganz abgesehen von den Gesichtspunkten con-
servativer Politik, daß mau nämlich bei dem Umreißen der Throne andere Dinge,
die viel wichtiger sind für die Gesellschaft, mit begräbt. Wenn ich Royalist bin,
so ist das bei mir kein Cultus, sowenig wie bei Jellachich und den Tschechen.
Wir haben gegen die Nichtsnutzigkeit der Berliner Versammlung polemisirt, als
noch alle Welt für sie schwärmte, es war uns höchst angenehm, als sie mit
Schande und Spott zu Grabe getragen wurde, aber ich muß Ihnen offen gesteh",
daß mir der Servilismus, der in Preußen gegenwärtig wieder in tiefster Unter-
thänigkeit erstirbt, wenigstens eben so ekelhaft ist, als die frühere Dumme-Jungen-
Wirthschaft. "Ich habe nicht nöthig gehabt," sagte der König zu den Berliner
Deputaten, "mein treues "Volk" zu Hilfe gegen meine Feinde zu rufen; sie waren
zu feige!" Auch eine ausgesprochene Wahrheit kann empörend sein.

Mein Royalismus ist ferner nicht der des Herrn Professor Tahlmann, der
den Deutschen eine angeerbte monarchische Gesinnung ganz im Allgemeinen zu¬
schrieb und darum den alten Barbarossa aus dem Khffhäuser holen wollte, um


Darum wollen wir nicht verzagen. Wir haben in unsrer Partei die bessern
Finanziers, die bessern Geschäftsmänner, die bessern Juristen. Und über kurz oder
lang wird auch in Deutschland wie in England die practische Seite des Staats¬
lebens die ritterlich idealistische überwiegen.

Was ist nun also eigentlich unsre Partei? — Wenn ich ihr bisher den
Namen der konstitutionellen gegeben habe, so geschah das aus Gewohnheit. Sie
thun sich etwas Besonders darauf zu Gute, daß zu Wien auch in der wildesten
Verwirrung die Republik nicht ausgerufen sei. Lieber Freund! mit dem Namen
ist nichts gethan. Vor ein paar Tagen zogen ein 10 bis 12 betrunkene Straßen¬
jungen durch Leipzigs friedliche Gassen, und schrieen an allen Straßenecken: „vivo
lit republi^ne!" zur großen Belustigung aller Umstehenden. So wenig ich nun
glaube, daß durch ein einfaches Straßengebrüll die höchste Form des freien Staats,
die Republik, realisirt wird, so wenig sehe ich in einem derartigen Pulses die
augenblickliche Auflösung aller gesellschaftlichen Bande. Wenn das Gesindel zu
laut schreit, so ist es einem musikalisch gebildeten Ohr zuwider; was es aber
schreit, ob: es lebe die Republik, oder es lebe der Kaiser, oder eS lebe der Un¬
sinn! ist vollkommen einerlei. Die spanischen Radicalen sind darin naiver; sie
schreien: Vivs,! vio-U ganz im Allgemeinen; uns Deutschen schadet die angestammte
Gründlichkeit.

Man kann Republikaner sein, lieber Friedmann, und doch für die Monarchie.
Republik heißt Gemeinwesen: das soll uns auch der Staat werden, er soll nicht
mehr außerhalb des wirklichen Lebens stehn, wie bei den Supernaturalisten der
transcendente Gott. Wir wollen unsere Angelegenheiten selber besorgen, dieser
allgemeine Grundsatz bleibt richtig, auch wenn man die Zweckmäßigkeit eines erb¬
lichen Staatsvertreters anerkennt, ganz abgesehen von den Gesichtspunkten con-
servativer Politik, daß mau nämlich bei dem Umreißen der Throne andere Dinge,
die viel wichtiger sind für die Gesellschaft, mit begräbt. Wenn ich Royalist bin,
so ist das bei mir kein Cultus, sowenig wie bei Jellachich und den Tschechen.
Wir haben gegen die Nichtsnutzigkeit der Berliner Versammlung polemisirt, als
noch alle Welt für sie schwärmte, es war uns höchst angenehm, als sie mit
Schande und Spott zu Grabe getragen wurde, aber ich muß Ihnen offen gesteh»,
daß mir der Servilismus, der in Preußen gegenwärtig wieder in tiefster Unter-
thänigkeit erstirbt, wenigstens eben so ekelhaft ist, als die frühere Dumme-Jungen-
Wirthschaft. „Ich habe nicht nöthig gehabt," sagte der König zu den Berliner
Deputaten, „mein treues „Volk" zu Hilfe gegen meine Feinde zu rufen; sie waren
zu feige!" Auch eine ausgesprochene Wahrheit kann empörend sein.

Mein Royalismus ist ferner nicht der des Herrn Professor Tahlmann, der
den Deutschen eine angeerbte monarchische Gesinnung ganz im Allgemeinen zu¬
schrieb und darum den alten Barbarossa aus dem Khffhäuser holen wollte, um


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/448>, abgerufen am 29.06.2024.