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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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retten Partei in Süddeutschland. Als durch das Ministerium Schmerling die
letztere in Ordnung gebracht war, war es zu spät. Jene beiden Ministerien fielen,
da ihre eigene Partei noch nicht organisirt war, vor dem Andrängen des Radi-
calismus; ihr Versuch, dnrch scheinbare Anknüpfung an die geschichtlichen Rechts¬
verhältnisse die Revolution in einen gesetzlichen Lauf zu leiten, mißlang, und das
Ministerium Auerswald mußte die Revolution anerkennen, das Ministerium
Dobblhof den Weltgeist und die Aula. Wir waren jetzt im Zustand der Anarchie,
d. h. der rechtlichen Ungewißheit, und die Blutthaten in Frankfurt, Pesth, Wien, so
wie die Berliner dummen Streiche wurden die Veranlassung, daß im Lager des
alten Staats, unter den Generalen und Bureaukraten, eine neue conservative Partei
sich bildete, die der nach beiden Seiten hin ohnmächtigen Hand der Whigs das
Ruder entriß und mit Waffengewalt der Anarchie ein Ende machte.

Sein Sie nicht ungerecht gegen Dobblhof! Sein Ministerium spielte aller¬
dings eine klägliche Rolle, wie das Auerswald'sche in Berlin, aber das lag in
der Ungunst der Verhältnisse. Beide waren durch eine irrationelle Gewalt ein'ö
Ruder gelangt, sie regierten von "neuulv's" Gnaden, und konnten beim besten
Willen ein festes System nicht aufstelle". Auerswald hat vor Dobblhoff den Vor¬
zug, zur rechten Zeit zurückgetreten zu sein.

Hätten die liberalen Regierungen, anstatt sich auf die Fiction gesetzlicher Ent¬
wickelung -- die in Oestreich wie in Preußen darum unmöglich war, weil es kei¬
nen Rechtszustand gab, an den man hätte anknüpfen können -- oder auf das
anarchische Verlangen nach constituirenden Versammlungen einzulassen, sofort eine
Verfassung octroyirt, so wären wir vielleicht jetzt weiter. Freilich war die Frage,
ob sie es konnten. Gewalt anzuwenden, hätte bei einem aus dem Volk hervor¬
gegangenen Ministerium wie Verrath ausgesehn. Die Situation des torystischcn
Ministerium Stadion und Brandenburg war darin viel günstiger. Wenn
sie eine liberale Verfassung gaben, so staunte dankbar das Publikum, bei einem
liberalen Ministerium wäre das nur als "verfluchte Schuldigkeit" mit Achselzucken
hingenommen.

Die Torys haben noch einen Vortheil. Sie haben die Generale und Diplo¬
maten für sich; ihre Staatsmänner haben eine vornehme Art. Vergleichen Sie
das überall feste Auftreten Schmerling's mit dem scurrilen Wesen eines Heckscher,
oder lesen Sie den Bericht Welker's über seine östreichische Mission. Eine wie
klägliche Rolle hat dieser Mann gespielt, ohne es auch nnr zu fühlen? Derselbe
Mann, der als Deputirter nicht grob genug gegen den Despotismus auftreten
zu können glaubte, wird als "Diplomat" von diesem oder jenem hochgestellten
Manne zur Tafel eingeladen und verliert darüber alle Empfindung, daß man ihn
verhöhnt! Ich weiß, daß in diesem Fall auch der gewandteste Staatsmann nichts
ausgerichtet haben würde, denn die Aufgabe war eine unmögliche, aber ein Edel¬
mann aus der alten Schule hätte der Form nicht so viel vergeben.


5S*

retten Partei in Süddeutschland. Als durch das Ministerium Schmerling die
letztere in Ordnung gebracht war, war es zu spät. Jene beiden Ministerien fielen,
da ihre eigene Partei noch nicht organisirt war, vor dem Andrängen des Radi-
calismus; ihr Versuch, dnrch scheinbare Anknüpfung an die geschichtlichen Rechts¬
verhältnisse die Revolution in einen gesetzlichen Lauf zu leiten, mißlang, und das
Ministerium Auerswald mußte die Revolution anerkennen, das Ministerium
Dobblhof den Weltgeist und die Aula. Wir waren jetzt im Zustand der Anarchie,
d. h. der rechtlichen Ungewißheit, und die Blutthaten in Frankfurt, Pesth, Wien, so
wie die Berliner dummen Streiche wurden die Veranlassung, daß im Lager des
alten Staats, unter den Generalen und Bureaukraten, eine neue conservative Partei
sich bildete, die der nach beiden Seiten hin ohnmächtigen Hand der Whigs das
Ruder entriß und mit Waffengewalt der Anarchie ein Ende machte.

Sein Sie nicht ungerecht gegen Dobblhof! Sein Ministerium spielte aller¬
dings eine klägliche Rolle, wie das Auerswald'sche in Berlin, aber das lag in
der Ungunst der Verhältnisse. Beide waren durch eine irrationelle Gewalt ein'ö
Ruder gelangt, sie regierten von „neuulv's" Gnaden, und konnten beim besten
Willen ein festes System nicht aufstelle». Auerswald hat vor Dobblhoff den Vor¬
zug, zur rechten Zeit zurückgetreten zu sein.

Hätten die liberalen Regierungen, anstatt sich auf die Fiction gesetzlicher Ent¬
wickelung — die in Oestreich wie in Preußen darum unmöglich war, weil es kei¬
nen Rechtszustand gab, an den man hätte anknüpfen können — oder auf das
anarchische Verlangen nach constituirenden Versammlungen einzulassen, sofort eine
Verfassung octroyirt, so wären wir vielleicht jetzt weiter. Freilich war die Frage,
ob sie es konnten. Gewalt anzuwenden, hätte bei einem aus dem Volk hervor¬
gegangenen Ministerium wie Verrath ausgesehn. Die Situation des torystischcn
Ministerium Stadion und Brandenburg war darin viel günstiger. Wenn
sie eine liberale Verfassung gaben, so staunte dankbar das Publikum, bei einem
liberalen Ministerium wäre das nur als „verfluchte Schuldigkeit" mit Achselzucken
hingenommen.

Die Torys haben noch einen Vortheil. Sie haben die Generale und Diplo¬
maten für sich; ihre Staatsmänner haben eine vornehme Art. Vergleichen Sie
das überall feste Auftreten Schmerling's mit dem scurrilen Wesen eines Heckscher,
oder lesen Sie den Bericht Welker's über seine östreichische Mission. Eine wie
klägliche Rolle hat dieser Mann gespielt, ohne es auch nnr zu fühlen? Derselbe
Mann, der als Deputirter nicht grob genug gegen den Despotismus auftreten
zu können glaubte, wird als „Diplomat" von diesem oder jenem hochgestellten
Manne zur Tafel eingeladen und verliert darüber alle Empfindung, daß man ihn
verhöhnt! Ich weiß, daß in diesem Fall auch der gewandteste Staatsmann nichts
ausgerichtet haben würde, denn die Aufgabe war eine unmögliche, aber ein Edel¬
mann aus der alten Schule hätte der Form nicht so viel vergeben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/447>, abgerufen am 26.12.2024.