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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Presse, sondern selbst der Rheinische Beobachter fanden sich bemüssigt, gegen den
jesuitischen Vormund der bairischen Legitimität ebenso zu Felde zu ziehen, als ge¬
gen den Strickbeutel, in welchen der "Genius Bavaria's" die Zukunft dieses
schönen Landes einschloß. Die erste Erhebung Deutschlands war gegen diese
fremdländische Liebeskünstlerin gerichtet, und als die Ellenbogen des Münchener Vol¬
kes mit den durch höhere Weihe legalisirten Schultern in Berührung gekommen
waren, da zuckte es wie die leise, aber düstere Regung auf den Wassern, wenn
der Sturm kommen will.

Er kam. Ans die cau-los c^Iebies in den Höhen der französischen Gesell¬
schaft, die seit einem Jahre die Hauptnahrung des lesenden Publikums ausge¬
macht hatten, folgte die Jebruartragödie. Der dritte Sieg der Freiheit. Der
Papst und die liberalen Schweizercantoue waren ihm vorangegangen. Auch bei
uns führte der frei gewordene Geist der bisherigen despotischen Zustände zu ei¬
nem Freiheitsrausch, und Kaufmann's Brief aus Brüssel, der die sittliche Be¬
rechtigung der französischen Revolution in Frage stellte, erschien uns im Augen¬
blick als ein Attentat gegen die Freiheit selbst, wenn auch in kurzer Zeit der
wiedererwachende Verstand uns sagte, daß er in allen Punkten Recht hatte.

Die constitutionelle Partei nahm jetzt eine schiefe Stellung ein. Sie ließ es
in Wien und Berlin zu einer Revolution kommen; in Süddentschland organistrte
sie durch den unklaren Act des Vorparlaments selber die Revolution. DaS stolze
Bewußtsein, eine Revolution gemacht zu haben, electrisirte nun die Massen; nicht
nur ein großer Vorrath von Wünschen kam an's Tageslicht, sondern auch das
wüste Verlangen, etwas Unbestimmtes aber recht Großes zu erreichen, was der
Höhe der Situation angemessen sei. Man war im Ganzen nicht republikanisch
gesinnt, aber man gefiel sich darin, die Erhaltung der Monarchie als einen Act
der Gnade vou Seiten des souveränen Volks zu bezeichnen. Man überbot sich
in Verachtung der "feigen Bourgeoste," die nicht auf den Barrikaden gestanden,
und alle die Phrasen, die aus den schlechten Romanen Michelet's und L. Blanc's
sich in den Köpfen unserer hoffnungsvollen Jugend festgesetzt hatten, hallten nun
auf allen Märkten wieder. Wie mißlich war jetzt die Lage der constitutionellen
Partei, als sie nach dem kurzen Interregnum des Tory-Regiments von Fiquel-
mo'ut und Arnim in Wien und Berlin zur Herrschaft kam! Pillersdorf
und Camp Hausen hatten nicht nur mit dem Uebermaße unklarer und unbe¬
stimmter Wünsche zu kämpfen, die von allen Mittelstädten, allen Clubs, allen
Kneipen mit der gauzen Prätension der neuerwachten Volkssouveränität auf sie
einregneten -- und so ein Club hielt es für ein Attentat gegen die Volkssouverä¬
nität, wenn nicht der Minister seinen betrunkenen Abgeordneten bei Tage und bei
Nacht ein williges Gehör schenkte -- nicht nur mit der stoffloser Demagogie des
specifischen Radicalismus, sondern auch mit dem geheimen Widerwillen des nur
scheinbar beseitigten Hofes und mit den voreiligen Einheitsgelüsten der constitutio-


Presse, sondern selbst der Rheinische Beobachter fanden sich bemüssigt, gegen den
jesuitischen Vormund der bairischen Legitimität ebenso zu Felde zu ziehen, als ge¬
gen den Strickbeutel, in welchen der „Genius Bavaria's" die Zukunft dieses
schönen Landes einschloß. Die erste Erhebung Deutschlands war gegen diese
fremdländische Liebeskünstlerin gerichtet, und als die Ellenbogen des Münchener Vol¬
kes mit den durch höhere Weihe legalisirten Schultern in Berührung gekommen
waren, da zuckte es wie die leise, aber düstere Regung auf den Wassern, wenn
der Sturm kommen will.

Er kam. Ans die cau-los c^Iebies in den Höhen der französischen Gesell¬
schaft, die seit einem Jahre die Hauptnahrung des lesenden Publikums ausge¬
macht hatten, folgte die Jebruartragödie. Der dritte Sieg der Freiheit. Der
Papst und die liberalen Schweizercantoue waren ihm vorangegangen. Auch bei
uns führte der frei gewordene Geist der bisherigen despotischen Zustände zu ei¬
nem Freiheitsrausch, und Kaufmann's Brief aus Brüssel, der die sittliche Be¬
rechtigung der französischen Revolution in Frage stellte, erschien uns im Augen¬
blick als ein Attentat gegen die Freiheit selbst, wenn auch in kurzer Zeit der
wiedererwachende Verstand uns sagte, daß er in allen Punkten Recht hatte.

Die constitutionelle Partei nahm jetzt eine schiefe Stellung ein. Sie ließ es
in Wien und Berlin zu einer Revolution kommen; in Süddentschland organistrte
sie durch den unklaren Act des Vorparlaments selber die Revolution. DaS stolze
Bewußtsein, eine Revolution gemacht zu haben, electrisirte nun die Massen; nicht
nur ein großer Vorrath von Wünschen kam an's Tageslicht, sondern auch das
wüste Verlangen, etwas Unbestimmtes aber recht Großes zu erreichen, was der
Höhe der Situation angemessen sei. Man war im Ganzen nicht republikanisch
gesinnt, aber man gefiel sich darin, die Erhaltung der Monarchie als einen Act
der Gnade vou Seiten des souveränen Volks zu bezeichnen. Man überbot sich
in Verachtung der „feigen Bourgeoste," die nicht auf den Barrikaden gestanden,
und alle die Phrasen, die aus den schlechten Romanen Michelet's und L. Blanc's
sich in den Köpfen unserer hoffnungsvollen Jugend festgesetzt hatten, hallten nun
auf allen Märkten wieder. Wie mißlich war jetzt die Lage der constitutionellen
Partei, als sie nach dem kurzen Interregnum des Tory-Regiments von Fiquel-
mo'ut und Arnim in Wien und Berlin zur Herrschaft kam! Pillersdorf
und Camp Hausen hatten nicht nur mit dem Uebermaße unklarer und unbe¬
stimmter Wünsche zu kämpfen, die von allen Mittelstädten, allen Clubs, allen
Kneipen mit der gauzen Prätension der neuerwachten Volkssouveränität auf sie
einregneten — und so ein Club hielt es für ein Attentat gegen die Volkssouverä¬
nität, wenn nicht der Minister seinen betrunkenen Abgeordneten bei Tage und bei
Nacht ein williges Gehör schenkte — nicht nur mit der stoffloser Demagogie des
specifischen Radicalismus, sondern auch mit dem geheimen Widerwillen des nur
scheinbar beseitigten Hofes und mit den voreiligen Einheitsgelüsten der constitutio-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/446>, abgerufen am 03.07.2024.