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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Es ist nun klar, daß die Nationalversammlung keine Aussicht hat, das Ver¬
fassungswerk anders, als auf dem Weg der Vereinbarung zu gründen. Die Ver¬
sammlung hat noch neuerlich auf Veranlassung der sächsischen Erklärung den soge¬
nannten Biedermcmnschen Ausschuß beauftragt, alle die Autorität der National¬
versammlung in Frage stellenden Handlungen deutscher Regierungen zu prüfen und
geeignete Maßregeln zur Beseitigung aller Zweifel vorzuschlagen.

Die sächsischen Minister haben das Verdienst, die Frage im entscheidenden
Augenblick nochmals klar hingestellt zu haben. Aber patriotisch und weise haben
sie nicht gehandelt. Sie konnten im Namen der Krone den sächsischen Ständen
antragen, den verfassungsgebenden Beschlüssen der Reichsversammlung sich ohne
weiteres zu unterwerfen, mit dem Vorbehalt, daß von allen deutschen Regierungen
ein Gleiches geschehe.

So hätten sie ans das Verfassuugswcrk damals wohlthätig eingewirkt, und
im ungünstigsten Falle sich eine ehrenvolle Erinnerung gestiftet. Sie haben blos
als sächsische Juristen gehandelt.

Jener Ausschuß aber ist in einer sehr schlimmen Lage. Wenn diese Männer
anders den Moment verstehen, so müssen sie erklären, daß, wenn man früher sich
gescheut, von den Regierungen formelle Unterwersuugsucte zu verlangen, der ge¬
genwärtige Zeitpunkt zu solcher Forderung der allerungeeignetste sei , ja daß sie
der Nationalversammlung den Todesstoß versetzen werde. Die Frage, so lange
in der Schwebe gelassen, darf von der Nationalversammlung nicht mehr entschieden
werden. Es bleibt nur die Hoffnung, durch die moralische Autorität dieser Ver¬
sammlung und durch den materiellen Werth ihres Verfassungsvorschlages,.über den
Vereinbarungsact so weit hinwegzukommen, daß er wie bei dem Gesetz über die
provisorische Centralgewalt ein rasch vorübergehender und rein formeller bleibt.
Die theoretische Streitsrage nach ihrer wahren Kompetenz mag dann mit der Na¬
tionalversammlung begraben werden.

Wie muß dieser Verfassungsvvrschlag beschaffen sein? In Frankfurt scheint
große Rathlosigkeit zu herrschen. Nun tauchen wieder haltlose Pläne auf von
Reichskreisen, Zerschlagen der großen Staaten, jetzt, wo sich gezeigt hat, welche
Lebenskraft den historischen Staatsbildungen aller phantastischen Planmacherei ge¬
genüber innewohnt, ja, daß sie die einzige Schutzwehr gegen den Abgrund der
Auslösung sind.

Gewichtige Stimmen von vielen Seiten beharren bei der Forderung, auch in
dieser Zeit an Preußen zu halten. Das heißt den Männern in Frankfurt Selbst¬
verleugnung und Konsequenz zumuthen. Das erstere trauen wir ihrem Patriotis¬
mus ohne Weiteres zu, auch wenn sie den feindlichen Spott vermehrt. Aber die
Konsequenz'. Wenn man den König von Preußen zum Reichsoberhaupt will, so will
man nicht diese Persönlichkeit, sondern eben den König von Preußen. Das Reich
und Preußen sollen nicht blos durch eine Personalunion verbunden sein, sondern


Es ist nun klar, daß die Nationalversammlung keine Aussicht hat, das Ver¬
fassungswerk anders, als auf dem Weg der Vereinbarung zu gründen. Die Ver¬
sammlung hat noch neuerlich auf Veranlassung der sächsischen Erklärung den soge¬
nannten Biedermcmnschen Ausschuß beauftragt, alle die Autorität der National¬
versammlung in Frage stellenden Handlungen deutscher Regierungen zu prüfen und
geeignete Maßregeln zur Beseitigung aller Zweifel vorzuschlagen.

Die sächsischen Minister haben das Verdienst, die Frage im entscheidenden
Augenblick nochmals klar hingestellt zu haben. Aber patriotisch und weise haben
sie nicht gehandelt. Sie konnten im Namen der Krone den sächsischen Ständen
antragen, den verfassungsgebenden Beschlüssen der Reichsversammlung sich ohne
weiteres zu unterwerfen, mit dem Vorbehalt, daß von allen deutschen Regierungen
ein Gleiches geschehe.

So hätten sie ans das Verfassuugswcrk damals wohlthätig eingewirkt, und
im ungünstigsten Falle sich eine ehrenvolle Erinnerung gestiftet. Sie haben blos
als sächsische Juristen gehandelt.

Jener Ausschuß aber ist in einer sehr schlimmen Lage. Wenn diese Männer
anders den Moment verstehen, so müssen sie erklären, daß, wenn man früher sich
gescheut, von den Regierungen formelle Unterwersuugsucte zu verlangen, der ge¬
genwärtige Zeitpunkt zu solcher Forderung der allerungeeignetste sei , ja daß sie
der Nationalversammlung den Todesstoß versetzen werde. Die Frage, so lange
in der Schwebe gelassen, darf von der Nationalversammlung nicht mehr entschieden
werden. Es bleibt nur die Hoffnung, durch die moralische Autorität dieser Ver¬
sammlung und durch den materiellen Werth ihres Verfassungsvorschlages,.über den
Vereinbarungsact so weit hinwegzukommen, daß er wie bei dem Gesetz über die
provisorische Centralgewalt ein rasch vorübergehender und rein formeller bleibt.
Die theoretische Streitsrage nach ihrer wahren Kompetenz mag dann mit der Na¬
tionalversammlung begraben werden.

Wie muß dieser Verfassungsvvrschlag beschaffen sein? In Frankfurt scheint
große Rathlosigkeit zu herrschen. Nun tauchen wieder haltlose Pläne auf von
Reichskreisen, Zerschlagen der großen Staaten, jetzt, wo sich gezeigt hat, welche
Lebenskraft den historischen Staatsbildungen aller phantastischen Planmacherei ge¬
genüber innewohnt, ja, daß sie die einzige Schutzwehr gegen den Abgrund der
Auslösung sind.

Gewichtige Stimmen von vielen Seiten beharren bei der Forderung, auch in
dieser Zeit an Preußen zu halten. Das heißt den Männern in Frankfurt Selbst¬
verleugnung und Konsequenz zumuthen. Das erstere trauen wir ihrem Patriotis¬
mus ohne Weiteres zu, auch wenn sie den feindlichen Spott vermehrt. Aber die
Konsequenz'. Wenn man den König von Preußen zum Reichsoberhaupt will, so will
man nicht diese Persönlichkeit, sondern eben den König von Preußen. Das Reich
und Preußen sollen nicht blos durch eine Personalunion verbunden sein, sondern


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[0430] Es ist nun klar, daß die Nationalversammlung keine Aussicht hat, das Ver¬ fassungswerk anders, als auf dem Weg der Vereinbarung zu gründen. Die Ver¬ sammlung hat noch neuerlich auf Veranlassung der sächsischen Erklärung den soge¬ nannten Biedermcmnschen Ausschuß beauftragt, alle die Autorität der National¬ versammlung in Frage stellenden Handlungen deutscher Regierungen zu prüfen und geeignete Maßregeln zur Beseitigung aller Zweifel vorzuschlagen. Die sächsischen Minister haben das Verdienst, die Frage im entscheidenden Augenblick nochmals klar hingestellt zu haben. Aber patriotisch und weise haben sie nicht gehandelt. Sie konnten im Namen der Krone den sächsischen Ständen antragen, den verfassungsgebenden Beschlüssen der Reichsversammlung sich ohne weiteres zu unterwerfen, mit dem Vorbehalt, daß von allen deutschen Regierungen ein Gleiches geschehe. So hätten sie ans das Verfassuugswcrk damals wohlthätig eingewirkt, und im ungünstigsten Falle sich eine ehrenvolle Erinnerung gestiftet. Sie haben blos als sächsische Juristen gehandelt. Jener Ausschuß aber ist in einer sehr schlimmen Lage. Wenn diese Männer anders den Moment verstehen, so müssen sie erklären, daß, wenn man früher sich gescheut, von den Regierungen formelle Unterwersuugsucte zu verlangen, der ge¬ genwärtige Zeitpunkt zu solcher Forderung der allerungeeignetste sei , ja daß sie der Nationalversammlung den Todesstoß versetzen werde. Die Frage, so lange in der Schwebe gelassen, darf von der Nationalversammlung nicht mehr entschieden werden. Es bleibt nur die Hoffnung, durch die moralische Autorität dieser Ver¬ sammlung und durch den materiellen Werth ihres Verfassungsvorschlages,.über den Vereinbarungsact so weit hinwegzukommen, daß er wie bei dem Gesetz über die provisorische Centralgewalt ein rasch vorübergehender und rein formeller bleibt. Die theoretische Streitsrage nach ihrer wahren Kompetenz mag dann mit der Na¬ tionalversammlung begraben werden. Wie muß dieser Verfassungsvvrschlag beschaffen sein? In Frankfurt scheint große Rathlosigkeit zu herrschen. Nun tauchen wieder haltlose Pläne auf von Reichskreisen, Zerschlagen der großen Staaten, jetzt, wo sich gezeigt hat, welche Lebenskraft den historischen Staatsbildungen aller phantastischen Planmacherei ge¬ genüber innewohnt, ja, daß sie die einzige Schutzwehr gegen den Abgrund der Auslösung sind. Gewichtige Stimmen von vielen Seiten beharren bei der Forderung, auch in dieser Zeit an Preußen zu halten. Das heißt den Männern in Frankfurt Selbst¬ verleugnung und Konsequenz zumuthen. Das erstere trauen wir ihrem Patriotis¬ mus ohne Weiteres zu, auch wenn sie den feindlichen Spott vermehrt. Aber die Konsequenz'. Wenn man den König von Preußen zum Reichsoberhaupt will, so will man nicht diese Persönlichkeit, sondern eben den König von Preußen. Das Reich und Preußen sollen nicht blos durch eine Personalunion verbunden sein, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/430>, abgerufen am 29.06.2024.