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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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nur eine moralische, keine rechtliche Autorität in Anspruch zu nehmen hatte.
Durch einen solchen Ausspruch hätte die preußische Regierung die ungemessenen
Anforderungen an die Nationalversammlung ein für allemal auf das rechte Maß
zurückgeführt, und der besonnenen Partei ihrer eigenen Mitte dem blauen Radi¬
kalismus gegenüber einen festen Halt gewährt. Daß diese Schranke von außen
gegeben, hätte dem Ansehen der Nationalversammlung keinen Eintrag gethan,
wenn zugleich ihre jetzt mehr als zweifelhafte Autorität für das Vcrfassungswerk
ausschließend begründet wurde. Der Widerstand der kleinen Staaten wäre damit
gebrochen und der Austritt Oestreichs definitiv herbeigeführt gewesen.

Allein vielleicht wollte man in Potsdam so kühn nicht sein, anch wenn man
solche Gedanken fassen konnte. In jenem Falle wäre Preußen von der Macht der
augenblicklich durch einen kühnen Wurf gewonnenen Volksstimme an die Spitze
Deutschlands gehoben worden, jedenfalls mit Widerstreben der Dynastien und
vielfacher particularistischer Interessen. Eine solche Rolle durchzuführen, erfordert
Selbstvertrauen. Dazu gehört rasche Kühnheit, Genialität und Glück. Die
Geschichte der Nationalversammlung hat deutlich eingeprägt, wie schwer es ist,
unter schwankenden Rechtsverhältnissen, blos von der öffentlichen Meinung geho-
ben> eine fruchtbare Macht durch dauernden, moralischen Zwang zu behaupten.
Der Zug eines mächtigen aber dunkeln Bedürfnisses ist eine unzuverlässige Stütze.
Die anfangs ungetheilte Kraft zerplatzt in der Abklärung, erst die deutliche tief-
gewurzelte Ueberzeugung gewährt sichern Halt. Daher will man in Potsdam den
strengeren Rechtsboden, den Weg des Vertrages nicht verlassen. Nur wenn alle
deutschen Fürsten und Regiernngsorgane sie ihm bereitwillig zugestehen, will der
König von Preußen die Würde des Neichsoberhauptes annehmen.

Dadurch ist aber die zweifelhafte Lage der Nationalversammlung eine höchst
gefährliche geworden. Die Nationalversammlung hat sich Preußen gegenüber com-
promittirt, nicht weil sie die Gunst der Demokraten verscherzt hat, -- diese Gunst
ist längst verloren und ihr Besitz wäre ein Unglück -- sondern weil die Natio¬
nalversammlung sich einen Uebergriff hat zu Schulden kommen lassen, in der be-
sten Absicht, mit der Ueberzeugung, daß nnr so Preußen zu retten, und in der
Hoffnung, die Negierung werde sich ihr in die Arme werfen. Die Eventualität,
daß Preußen nur durch diese Hilfe gerettet worden, ist nicht eingetreten, zum
Glück für Deutschland und Preußen. Nun fällt jene Handlung als ein mißlun¬
gener Uebergriff auf die Nationalversammlung zurück. Die preußische Negierung
hatte es in der Hand, den für sie glücklichen Ausgang zum Heil für das Reich
zu wenden. Sie hat es unterlassen, nicht aus Undankbarkeit, sondern aus Vor¬
sicht. Wenn aber die preußische Regierung durch ihr Abstrahiren vom Recht des
Vertrags nicht alle deutschen Regierungen zu gleicher Entsagung moralisch nöthi¬
gen wollte, so wäre es Thorheit gewesen, das Recht allein auszugeben.


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nur eine moralische, keine rechtliche Autorität in Anspruch zu nehmen hatte.
Durch einen solchen Ausspruch hätte die preußische Regierung die ungemessenen
Anforderungen an die Nationalversammlung ein für allemal auf das rechte Maß
zurückgeführt, und der besonnenen Partei ihrer eigenen Mitte dem blauen Radi¬
kalismus gegenüber einen festen Halt gewährt. Daß diese Schranke von außen
gegeben, hätte dem Ansehen der Nationalversammlung keinen Eintrag gethan,
wenn zugleich ihre jetzt mehr als zweifelhafte Autorität für das Vcrfassungswerk
ausschließend begründet wurde. Der Widerstand der kleinen Staaten wäre damit
gebrochen und der Austritt Oestreichs definitiv herbeigeführt gewesen.

Allein vielleicht wollte man in Potsdam so kühn nicht sein, anch wenn man
solche Gedanken fassen konnte. In jenem Falle wäre Preußen von der Macht der
augenblicklich durch einen kühnen Wurf gewonnenen Volksstimme an die Spitze
Deutschlands gehoben worden, jedenfalls mit Widerstreben der Dynastien und
vielfacher particularistischer Interessen. Eine solche Rolle durchzuführen, erfordert
Selbstvertrauen. Dazu gehört rasche Kühnheit, Genialität und Glück. Die
Geschichte der Nationalversammlung hat deutlich eingeprägt, wie schwer es ist,
unter schwankenden Rechtsverhältnissen, blos von der öffentlichen Meinung geho-
ben> eine fruchtbare Macht durch dauernden, moralischen Zwang zu behaupten.
Der Zug eines mächtigen aber dunkeln Bedürfnisses ist eine unzuverlässige Stütze.
Die anfangs ungetheilte Kraft zerplatzt in der Abklärung, erst die deutliche tief-
gewurzelte Ueberzeugung gewährt sichern Halt. Daher will man in Potsdam den
strengeren Rechtsboden, den Weg des Vertrages nicht verlassen. Nur wenn alle
deutschen Fürsten und Regiernngsorgane sie ihm bereitwillig zugestehen, will der
König von Preußen die Würde des Neichsoberhauptes annehmen.

Dadurch ist aber die zweifelhafte Lage der Nationalversammlung eine höchst
gefährliche geworden. Die Nationalversammlung hat sich Preußen gegenüber com-
promittirt, nicht weil sie die Gunst der Demokraten verscherzt hat, — diese Gunst
ist längst verloren und ihr Besitz wäre ein Unglück — sondern weil die Natio¬
nalversammlung sich einen Uebergriff hat zu Schulden kommen lassen, in der be-
sten Absicht, mit der Ueberzeugung, daß nnr so Preußen zu retten, und in der
Hoffnung, die Negierung werde sich ihr in die Arme werfen. Die Eventualität,
daß Preußen nur durch diese Hilfe gerettet worden, ist nicht eingetreten, zum
Glück für Deutschland und Preußen. Nun fällt jene Handlung als ein mißlun¬
gener Uebergriff auf die Nationalversammlung zurück. Die preußische Negierung
hatte es in der Hand, den für sie glücklichen Ausgang zum Heil für das Reich
zu wenden. Sie hat es unterlassen, nicht aus Undankbarkeit, sondern aus Vor¬
sicht. Wenn aber die preußische Regierung durch ihr Abstrahiren vom Recht des
Vertrags nicht alle deutschen Regierungen zu gleicher Entsagung moralisch nöthi¬
gen wollte, so wäre es Thorheit gewesen, das Recht allein auszugeben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/429>, abgerufen am 26.06.2024.