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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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wird Oestreich fortfahren, seine Bundespflichten getreulich zu erfüllen. In allen
äußeren Beziehungen des Reiches werden wir die Interessen und die Würde
Oestreichs zu wahren wissen und keinerlei beirrenden Einfluß von Außen auf die
unabhängige Gestaltung unserer inneren Verhältnisse zulassen. Dies sind die
Hanptgrundzüge unserer Politik. Wir haben sie mit unumwundener Offenheit
dargelegt, weil ohne Wahrheit kein Vertrauen und Vertrauen die erste Beding¬
ung eines gedeihlichen Zusammenwirkens zwischen Negierung und Reichstag ist."

Man muß gestehen, es ist eine verständliche, männliche Sprache, wie wir sie
schon lange an unseren Regierungen nicht gewohnt waren. Zugleich bietet das Mini¬
sterium in dem einheitlichen System seiner Zusammensetzung wie auch in den einzelnen
Persönlichkeiten Garantien, die uus wenigstens über die nächste Zukunft beruhigen
können. Von einer Negierung außerhalb des Ministeriums, vou einer Camarilla ist
eben so wenig mehr die Rede, als von einem unmittelbaren Einfluß der Wiener Stu¬
dentenschaft auf die Politik des Kaiserstaats -- ein Einfluß, der immer mehr "anhand
als verständig genannt werde" mußte. Franz Stadion, die Seele desKabinets,
ist ein wirklicher Staatsmann; freilich aus der alten Schule, weil die junge noch
keine Geschichte hat. Er hat den Vorzug vor Pillersdvrf, daß diese äußerliche
höfische Glätte des alten Oestreich, diese Diplomatie des Schweigens bei ihm we¬
niger hervortritt. Muthmaßlich wird der "Weltgeist", d. h. die Phrase, bei ihm
eine untergeordnete Rolle spielen, dem Verstand gegenüber. Für die Erhaltung
des Staats ist Stadion eine höchst geeignete Persönlichkeit; ob für die höhere
Aufgabe des Staatsmannes, die neue Organisation, für die er sich im Allgemei¬
nen ausgesprochen hat, wird sich erst zeigen müssen. -- Die technischen Mini¬
sterien -- Bach, Kraus, Brück, - sind nach Möglichkeit ausgefüllt.

Das Wichtigste ist aber jetzt die Entscheidung darüber: wie das Ministerium
sich zu dem Reichstag einerseits, den bisherigen militärischen Gewalthabern andrer¬
seits zu stellen gedenkt?

Die Majorität des Reichstags hat durch die Annnllirung der Wiener Sitzun¬
gen den Weg zur Versöhnung gebahnt. Von allen Seiten ist das Streben sichtbar,
eine gemeinsame Basis des parlamentarischen Kampfes zu finden. Der aus so
wunderlichen Elementen zusammengesetzte Reichstag bietet dennoch ein ungleich
würdigeres Bild, als der Berliner, dessen Aufgabe im Verhältniß zu den östrei¬
chischen Wirren eine so unendlich einfache war. Die politischen Programme der
drei Parteien unterscheiden sich zwar wesentlich, aber im Principe kommen sie über¬
ein, eine Ausgleichung zu finden zwischen der nothwendigen föderalistischen Grund¬
lage des östreichischen Staats und der ebenso nothwendigen Centralisation dessel¬
ben. Was die Linke verlangt - - die beiläufig mit überraschender Schnelligkeit
aus dem exclusiv deutschen Standpunkt in den kosmopolitischen übergesprungen
ist -- ist unausführbar. Einmal dürfen die Theile des Ganzen keine "Staaten"


wird Oestreich fortfahren, seine Bundespflichten getreulich zu erfüllen. In allen
äußeren Beziehungen des Reiches werden wir die Interessen und die Würde
Oestreichs zu wahren wissen und keinerlei beirrenden Einfluß von Außen auf die
unabhängige Gestaltung unserer inneren Verhältnisse zulassen. Dies sind die
Hanptgrundzüge unserer Politik. Wir haben sie mit unumwundener Offenheit
dargelegt, weil ohne Wahrheit kein Vertrauen und Vertrauen die erste Beding¬
ung eines gedeihlichen Zusammenwirkens zwischen Negierung und Reichstag ist."

Man muß gestehen, es ist eine verständliche, männliche Sprache, wie wir sie
schon lange an unseren Regierungen nicht gewohnt waren. Zugleich bietet das Mini¬
sterium in dem einheitlichen System seiner Zusammensetzung wie auch in den einzelnen
Persönlichkeiten Garantien, die uus wenigstens über die nächste Zukunft beruhigen
können. Von einer Negierung außerhalb des Ministeriums, vou einer Camarilla ist
eben so wenig mehr die Rede, als von einem unmittelbaren Einfluß der Wiener Stu¬
dentenschaft auf die Politik des Kaiserstaats — ein Einfluß, der immer mehr «anhand
als verständig genannt werde» mußte. Franz Stadion, die Seele desKabinets,
ist ein wirklicher Staatsmann; freilich aus der alten Schule, weil die junge noch
keine Geschichte hat. Er hat den Vorzug vor Pillersdvrf, daß diese äußerliche
höfische Glätte des alten Oestreich, diese Diplomatie des Schweigens bei ihm we¬
niger hervortritt. Muthmaßlich wird der „Weltgeist", d. h. die Phrase, bei ihm
eine untergeordnete Rolle spielen, dem Verstand gegenüber. Für die Erhaltung
des Staats ist Stadion eine höchst geeignete Persönlichkeit; ob für die höhere
Aufgabe des Staatsmannes, die neue Organisation, für die er sich im Allgemei¬
nen ausgesprochen hat, wird sich erst zeigen müssen. — Die technischen Mini¬
sterien — Bach, Kraus, Brück, - sind nach Möglichkeit ausgefüllt.

Das Wichtigste ist aber jetzt die Entscheidung darüber: wie das Ministerium
sich zu dem Reichstag einerseits, den bisherigen militärischen Gewalthabern andrer¬
seits zu stellen gedenkt?

Die Majorität des Reichstags hat durch die Annnllirung der Wiener Sitzun¬
gen den Weg zur Versöhnung gebahnt. Von allen Seiten ist das Streben sichtbar,
eine gemeinsame Basis des parlamentarischen Kampfes zu finden. Der aus so
wunderlichen Elementen zusammengesetzte Reichstag bietet dennoch ein ungleich
würdigeres Bild, als der Berliner, dessen Aufgabe im Verhältniß zu den östrei¬
chischen Wirren eine so unendlich einfache war. Die politischen Programme der
drei Parteien unterscheiden sich zwar wesentlich, aber im Principe kommen sie über¬
ein, eine Ausgleichung zu finden zwischen der nothwendigen föderalistischen Grund¬
lage des östreichischen Staats und der ebenso nothwendigen Centralisation dessel¬
ben. Was die Linke verlangt - - die beiläufig mit überraschender Schnelligkeit
aus dem exclusiv deutschen Standpunkt in den kosmopolitischen übergesprungen
ist — ist unausführbar. Einmal dürfen die Theile des Ganzen keine „Staaten"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/406>, abgerufen am 29.06.2024.