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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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vereinigen sich die beiden Tafeln und bilden eine gemischte Sitzung, um den Abschluß
der Geschäfte zu beschleunigen.

Seit Josephs Zeiten hatte der Reichstag unaufhörlich für die rechtliche Grundlage
seiner Existenz mit Oestreich zu kämpfen. Er verschmähte es nicht, zur Aufrechthal¬
tung derselben unter Umständen sogar die Hilft des preußischen Cabinets in Anspruch
zu nehmen.

Schon unter Leopold II. beginnt die Opposition der Slaven gegen die magyari¬
sche Oberherrschaft; zuerst im Banat. Im Anfange wurde sie durch die griechischen
Bischöfe geleitet. Das östreichische Cabinet verstand sehr wohl, diese nationalen Ge¬
gensätze, in denen beide Parteien geneigt waren, über das Maaß hinauszugehen, zu
seinen absolutistischen Zwecken auszubeuten.
"

Neben den "patriotischen Tendenzen -- die Unabhängigkeit Ungarns wenigstens
ablehnend zu wahren -- gingen die liberalen. Die Aufhebung der Leibeigenschaft
war seit 1298 mehrmals gesetzlich festgestellt; sie war nie eine Wahrheit geworden.
Das Interesse collidirte beständig mit den Principien und die Vereinigung der patrio¬
tischen (aristokratischen) Partei mit der liberalen auf dem Reichstag von 1790 war
nur durch den gemeinsamen Gegensatz bedingt. Die Regierung verstand es nicht, auf
die innern Bedürfnisse des Landes einzugehen; der Reichstag war für sie nur ein
Medium zu dynastischen Zwecken -- Kricgshilfe zu erlangen, während namentlich die
französischen Kriege höchst unpopulär waren. Dennoch scheiterte im Jahre 1809 der
Plan Napoleons, Ungarn durch den Köder seiner Sclbstständigreit gegen Oestreich zu
insurgiren, wie es ihm mit Polen gegen Nußland gelungen war. Die Ungarn blie¬
ben Oestreich treu, ebne deshalb besser gestellt zu werden. Die Metternich'sche Politik
ließ sich mit einer freien Volksentwicklnng nicht in Einklang bringen. Die Abneigung
gegen Oestreich wuchs mit jedem Jahre. Gerando theilt ein Volkslied mit, in dem
sich dieselbe Luft machte.

"Theure Landsleute! selige Helden! Schaut aus unsere Knechtschaft, auf unser
irdisch Elend!

Der Ungar hat weder Freude noch Waffe, noch Herz, er klagt nur und seufzt
in seinem tiefen Weh!

Da er die Ketten bereit sieht für seine Edlen, die Ketten, die man um ihre
Nacken legen will.

Schon erschlafft Ungarn, weil seine Großen zu Wien leben, um deutsche Posse zu
hüten, und nicht das Vaterland.

Die Kraft unsrer Gesetze sinkt, angetastet ist ihre Heiligkeit, die Adler zerstören
sie nach Willkür.

Viele, wenn sie Kammerherrn werden, eine Art Schlüssel erwerben können, ver¬
gessen darüber ihre Nation und die Gesetze ihrer Urväter.

Gewisse ungarische Magnaten, wahre Krämer, verkaufen ihr Vaterland für einen
gestickten Rock.

it" it" und noch andere, gleich Bastarden des Vaterlandes, kümmern sich um
den Preis eines Ordens wenig, das Grab der Heimat zu graben.

Das also ist der Lohn unserer Treue, dafür ist das Heldenblut so vieler ungari¬
scher Patrioten geflossen, Znny's und N-idasdy's!

Ungar, du wirst dein Stillschweigen bereuen; wenn du als Ungar geboren, warum
gebrauchst du nicht deinen Geist?


vereinigen sich die beiden Tafeln und bilden eine gemischte Sitzung, um den Abschluß
der Geschäfte zu beschleunigen.

Seit Josephs Zeiten hatte der Reichstag unaufhörlich für die rechtliche Grundlage
seiner Existenz mit Oestreich zu kämpfen. Er verschmähte es nicht, zur Aufrechthal¬
tung derselben unter Umständen sogar die Hilft des preußischen Cabinets in Anspruch
zu nehmen.

Schon unter Leopold II. beginnt die Opposition der Slaven gegen die magyari¬
sche Oberherrschaft; zuerst im Banat. Im Anfange wurde sie durch die griechischen
Bischöfe geleitet. Das östreichische Cabinet verstand sehr wohl, diese nationalen Ge¬
gensätze, in denen beide Parteien geneigt waren, über das Maaß hinauszugehen, zu
seinen absolutistischen Zwecken auszubeuten.
"

Neben den „patriotischen Tendenzen — die Unabhängigkeit Ungarns wenigstens
ablehnend zu wahren — gingen die liberalen. Die Aufhebung der Leibeigenschaft
war seit 1298 mehrmals gesetzlich festgestellt; sie war nie eine Wahrheit geworden.
Das Interesse collidirte beständig mit den Principien und die Vereinigung der patrio¬
tischen (aristokratischen) Partei mit der liberalen auf dem Reichstag von 1790 war
nur durch den gemeinsamen Gegensatz bedingt. Die Regierung verstand es nicht, auf
die innern Bedürfnisse des Landes einzugehen; der Reichstag war für sie nur ein
Medium zu dynastischen Zwecken — Kricgshilfe zu erlangen, während namentlich die
französischen Kriege höchst unpopulär waren. Dennoch scheiterte im Jahre 1809 der
Plan Napoleons, Ungarn durch den Köder seiner Sclbstständigreit gegen Oestreich zu
insurgiren, wie es ihm mit Polen gegen Nußland gelungen war. Die Ungarn blie¬
ben Oestreich treu, ebne deshalb besser gestellt zu werden. Die Metternich'sche Politik
ließ sich mit einer freien Volksentwicklnng nicht in Einklang bringen. Die Abneigung
gegen Oestreich wuchs mit jedem Jahre. Gerando theilt ein Volkslied mit, in dem
sich dieselbe Luft machte.

„Theure Landsleute! selige Helden! Schaut aus unsere Knechtschaft, auf unser
irdisch Elend!

Der Ungar hat weder Freude noch Waffe, noch Herz, er klagt nur und seufzt
in seinem tiefen Weh!

Da er die Ketten bereit sieht für seine Edlen, die Ketten, die man um ihre
Nacken legen will.

Schon erschlafft Ungarn, weil seine Großen zu Wien leben, um deutsche Posse zu
hüten, und nicht das Vaterland.

Die Kraft unsrer Gesetze sinkt, angetastet ist ihre Heiligkeit, die Adler zerstören
sie nach Willkür.

Viele, wenn sie Kammerherrn werden, eine Art Schlüssel erwerben können, ver¬
gessen darüber ihre Nation und die Gesetze ihrer Urväter.

Gewisse ungarische Magnaten, wahre Krämer, verkaufen ihr Vaterland für einen
gestickten Rock.

it" it" und noch andere, gleich Bastarden des Vaterlandes, kümmern sich um
den Preis eines Ordens wenig, das Grab der Heimat zu graben.

Das also ist der Lohn unserer Treue, dafür ist das Heldenblut so vieler ungari¬
scher Patrioten geflossen, Znny's und N-idasdy's!

Ungar, du wirst dein Stillschweigen bereuen; wenn du als Ungar geboren, warum
gebrauchst du nicht deinen Geist?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/394>, abgerufen am 22.07.2024.