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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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nichts weiter vor, als das Bewußtsein der Staats - und Regierungsgemeinschaft,
welches ohne Zweifel in unseren Tagen ebenso mächtig wirken kann, wenn es Staat
und Regierung nnr darnach anfängt, wie das Stammesbewußtsein zu Pipins
Zeiten. Freilich ist es in den meisten Fällen aber auch nur bis zu negativer
Wirksamkeit gediehen, wie weiland jenes. D. h. jedes fühlte sich nach außen hin
als Baier z. B., durch eine chinesische Mauer von dem andern dem Würtenberger
oder Badener abgesperrt, aber nach innen war er und ist er doch nur wieder auch
unter der neuen hellblauen Montur der alte Nürnberger Neichsstädter oder aus
dem Fürstenthum oberhalb Gebürgs oder ein fürstbischöflich Bamberger. Mit Aus¬
nahme Preußens hat kaum einer von den übrigen deutschen Staaten es verstan¬
den, das Herzblut seines Staatslebens durch alle Glieder seines Leibes, mochten
sie nun heute oder gestern angefügt sein, rinnen zu lassen aus dem einfachen Grunde,
weil es nicht gesund genug war. Und selbst dort, wie viel fehlte noch, daß es
vollständig geschehen wäre. Aber daran ist wirklich mehr das Volk selbst als das
frühere System Schuld, das wenigstens in dieser Hinsicht bis in die letzten trau¬
rigen Tage der politischen Romantik, sehr klar sah und höchst zweckmäßig handelte.
Seit 1840 hatte man freilich auch hier die größte Lust, alles, was eine Geschichte
ohne gleichen mühsam gepflanzt, mit Stumpf und Stiel auszureuten, aber die
Pflanze hatte bereits zu kräftige Wurzeln geschlagen und die impotenten Hände
der Staatsverderber vermochten höchstens ein Paar Blüthen und Blätter abzu¬
zwicken, die, so Gott will, wenn es wieder Frühjahr wird, schon nachwachsen
werden! --




Briefe über Zeitansichten.



Arbeit und Kapital.

Werther Freund! Sie wünschen meine Meinung über unsere öffentlichen Zu¬
stände zu vernehmen. Es ist dies ein Thema, auf welches ich ungern eingehe,
weil so viel Unsinn zum Vorschein kommt, daß ich mich fast schäme, ein Zeitgenosse
dieser Periode unserer Geschichte zu sein.

Eine der nachhaltigsten Lehren, welche von wohlmeinenden Männern verbreitet
wird, ist die, daß die Geldmacht (ob darunter das Kapital im wissenschaftlichen
Sinne verstanden wird, ist unentschieden), ein Hinderniß der Volkswohlfahrt sei.
Mit den Worten: Geld, Vermögen, Kapital, Reichthum verbindet man die man¬
nigfaltigsten Begriffe; besonders verwechselt man einen dieser Gegenstände mit dem
andern. Daß solche Begriffsverwirrung im gemeinen Leben vorkommt, darf nicht


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nichts weiter vor, als das Bewußtsein der Staats - und Regierungsgemeinschaft,
welches ohne Zweifel in unseren Tagen ebenso mächtig wirken kann, wenn es Staat
und Regierung nnr darnach anfängt, wie das Stammesbewußtsein zu Pipins
Zeiten. Freilich ist es in den meisten Fällen aber auch nur bis zu negativer
Wirksamkeit gediehen, wie weiland jenes. D. h. jedes fühlte sich nach außen hin
als Baier z. B., durch eine chinesische Mauer von dem andern dem Würtenberger
oder Badener abgesperrt, aber nach innen war er und ist er doch nur wieder auch
unter der neuen hellblauen Montur der alte Nürnberger Neichsstädter oder aus
dem Fürstenthum oberhalb Gebürgs oder ein fürstbischöflich Bamberger. Mit Aus¬
nahme Preußens hat kaum einer von den übrigen deutschen Staaten es verstan¬
den, das Herzblut seines Staatslebens durch alle Glieder seines Leibes, mochten
sie nun heute oder gestern angefügt sein, rinnen zu lassen aus dem einfachen Grunde,
weil es nicht gesund genug war. Und selbst dort, wie viel fehlte noch, daß es
vollständig geschehen wäre. Aber daran ist wirklich mehr das Volk selbst als das
frühere System Schuld, das wenigstens in dieser Hinsicht bis in die letzten trau¬
rigen Tage der politischen Romantik, sehr klar sah und höchst zweckmäßig handelte.
Seit 1840 hatte man freilich auch hier die größte Lust, alles, was eine Geschichte
ohne gleichen mühsam gepflanzt, mit Stumpf und Stiel auszureuten, aber die
Pflanze hatte bereits zu kräftige Wurzeln geschlagen und die impotenten Hände
der Staatsverderber vermochten höchstens ein Paar Blüthen und Blätter abzu¬
zwicken, die, so Gott will, wenn es wieder Frühjahr wird, schon nachwachsen
werden! —




Briefe über Zeitansichten.



Arbeit und Kapital.

Werther Freund! Sie wünschen meine Meinung über unsere öffentlichen Zu¬
stände zu vernehmen. Es ist dies ein Thema, auf welches ich ungern eingehe,
weil so viel Unsinn zum Vorschein kommt, daß ich mich fast schäme, ein Zeitgenosse
dieser Periode unserer Geschichte zu sein.

Eine der nachhaltigsten Lehren, welche von wohlmeinenden Männern verbreitet
wird, ist die, daß die Geldmacht (ob darunter das Kapital im wissenschaftlichen
Sinne verstanden wird, ist unentschieden), ein Hinderniß der Volkswohlfahrt sei.
Mit den Worten: Geld, Vermögen, Kapital, Reichthum verbindet man die man¬
nigfaltigsten Begriffe; besonders verwechselt man einen dieser Gegenstände mit dem
andern. Daß solche Begriffsverwirrung im gemeinen Leben vorkommt, darf nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/383>, abgerufen am 22.07.2024.