Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gefährlichste Rival! Die Magyaren werden nie einen Culturstaat gründen und sind
mit den Deutschen, ihren natürlichen Verbündeten, wenn diese Combination zu
Stande käme, durch thörichte Eifersucht leicht zu verfeinden. Wer kann an der
Richtigkeit der Wahrnehmungen des gemordeten Latour in seinen aufgefundenen
Briefen zweifeln, welche in Lord Palmerston und in Lord Ponsonl'y die Faiseurs
und Beförderer der ungarischen Manövers und Seid'stständigkeit5plane gefunden!
Woher bekommen die Ungarn in dem nnn ansgcbroche"en Kampfe Waffon? Aus
England und ans Belgien durch England! Wer bewundert nicht den
genialen Scharfblick, mit dem die englische Politik dieses Verhältniß, wie alle
andere erfaßt? --

Seit die Slaven sich für die Erhaltung des östreichischen Gesammstaates
erklärt, verzweifelten die Faiseurs der Wiener Demokraten, denen es um wüste
Ungebundenheit und rohe Zerstörung zu thun war, die Monarchie allein in ihre
Gewalt zu bringen. Sie gaben die Herrschaft des Ostens auf, um sie den Un¬
garn zu überlassen, und behielten sich den Westen vor. Wien sollte Deutschland
die Freiheit bringen und dafür die Hauptstadt werden. Der alte Kaiserstaat
sollte mit Hilfe der Ungarn gesprengt nud der Despotismus gestürzt, d. h. die
bestehende Organisation gänzlich zerstört werden. Das ist das Geheimniß der
Oktoberrevolution. Dabei walteten immer noch mit wenigen Ausnahmen
unklare Gcmüthsrücksichtcn für den Kaiser.

Mit englisch-ungarischen Gelde bearbeiteten diese Faiseurs das niedere Volt
der Hauptstadt. Die Gerüchte davou klingen fabelhaft. Aber es ist bezeichnend,
wenn man sich erzählt, daß Herr Pnlßty !lo,0(w Gulden Münz auf einmal ver¬
theilt habe. Diese Revolution mißlang. Sie scheiterte an der ungeheueren Fe¬
stigkeit der alten Organisation, an dem Talent und der Energie ihrer Generale,
an der Tapferkeit und Zucht ihrer Armee. Wie aber, wenn sie gesiegt hätte?

Sehen wir davon ab, daß ein Sieg der Wiener Demokratie und der rothen
Republik in Oestreich die gräßlichste Anarchie in halb Enropa zur Folge gehabt,
daß die Folgen dieses Zustandes Deutschland am schwersten getroffen, und wenn
nicht den baldigen Untergang, mindestens eine totale Erschöpfung bewirkt hätten,
welche sein Verschwinden vom Schauplatz der Geschichte und über kurz oder
lang den Heimfall des Ostens an Rußland, des Nordwestens an England, des
Südwestens an Frankreich herbeigeführt haben würde! Sehen wir davon ab.
Setzen wir den günstigsten Ausgang, wie ihn die gutmüthigen Liberalen sich viel¬
leicht dachten. Nehmen wir an, die Dynastie hätte sich entschlossen, in die Los-
gebung Ungarns mit Zubehör zu willigen und mit den Erbländer in das Reich
einzutreten. Welches wären die Folgen gewesen?

Zunächst ein unbehilflicher, ungleichartiger Organismus, in welchem slavische
Elemente fortdauernd einen widerstrebenden Bestandtheil gebildet hätten. Ein
Organismus, unfähig der Concentration, welche die Lebensbedingung jedes Sraa-


gefährlichste Rival! Die Magyaren werden nie einen Culturstaat gründen und sind
mit den Deutschen, ihren natürlichen Verbündeten, wenn diese Combination zu
Stande käme, durch thörichte Eifersucht leicht zu verfeinden. Wer kann an der
Richtigkeit der Wahrnehmungen des gemordeten Latour in seinen aufgefundenen
Briefen zweifeln, welche in Lord Palmerston und in Lord Ponsonl'y die Faiseurs
und Beförderer der ungarischen Manövers und Seid'stständigkeit5plane gefunden!
Woher bekommen die Ungarn in dem nnn ansgcbroche»en Kampfe Waffon? Aus
England und ans Belgien durch England! Wer bewundert nicht den
genialen Scharfblick, mit dem die englische Politik dieses Verhältniß, wie alle
andere erfaßt? —

Seit die Slaven sich für die Erhaltung des östreichischen Gesammstaates
erklärt, verzweifelten die Faiseurs der Wiener Demokraten, denen es um wüste
Ungebundenheit und rohe Zerstörung zu thun war, die Monarchie allein in ihre
Gewalt zu bringen. Sie gaben die Herrschaft des Ostens auf, um sie den Un¬
garn zu überlassen, und behielten sich den Westen vor. Wien sollte Deutschland
die Freiheit bringen und dafür die Hauptstadt werden. Der alte Kaiserstaat
sollte mit Hilfe der Ungarn gesprengt nud der Despotismus gestürzt, d. h. die
bestehende Organisation gänzlich zerstört werden. Das ist das Geheimniß der
Oktoberrevolution. Dabei walteten immer noch mit wenigen Ausnahmen
unklare Gcmüthsrücksichtcn für den Kaiser.

Mit englisch-ungarischen Gelde bearbeiteten diese Faiseurs das niedere Volt
der Hauptstadt. Die Gerüchte davou klingen fabelhaft. Aber es ist bezeichnend,
wenn man sich erzählt, daß Herr Pnlßty !lo,0(w Gulden Münz auf einmal ver¬
theilt habe. Diese Revolution mißlang. Sie scheiterte an der ungeheueren Fe¬
stigkeit der alten Organisation, an dem Talent und der Energie ihrer Generale,
an der Tapferkeit und Zucht ihrer Armee. Wie aber, wenn sie gesiegt hätte?

Sehen wir davon ab, daß ein Sieg der Wiener Demokratie und der rothen
Republik in Oestreich die gräßlichste Anarchie in halb Enropa zur Folge gehabt,
daß die Folgen dieses Zustandes Deutschland am schwersten getroffen, und wenn
nicht den baldigen Untergang, mindestens eine totale Erschöpfung bewirkt hätten,
welche sein Verschwinden vom Schauplatz der Geschichte und über kurz oder
lang den Heimfall des Ostens an Rußland, des Nordwestens an England, des
Südwestens an Frankreich herbeigeführt haben würde! Sehen wir davon ab.
Setzen wir den günstigsten Ausgang, wie ihn die gutmüthigen Liberalen sich viel¬
leicht dachten. Nehmen wir an, die Dynastie hätte sich entschlossen, in die Los-
gebung Ungarns mit Zubehör zu willigen und mit den Erbländer in das Reich
einzutreten. Welches wären die Folgen gewesen?

Zunächst ein unbehilflicher, ungleichartiger Organismus, in welchem slavische
Elemente fortdauernd einen widerstrebenden Bestandtheil gebildet hätten. Ein
Organismus, unfähig der Concentration, welche die Lebensbedingung jedes Sraa-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277111"/>
          <p xml:id="ID_1054" prev="#ID_1053"> gefährlichste Rival! Die Magyaren werden nie einen Culturstaat gründen und sind<lb/>
mit den Deutschen, ihren natürlichen Verbündeten, wenn diese Combination zu<lb/>
Stande käme, durch thörichte Eifersucht leicht zu verfeinden. Wer kann an der<lb/>
Richtigkeit der Wahrnehmungen des gemordeten Latour in seinen aufgefundenen<lb/>
Briefen zweifeln, welche in Lord Palmerston und in Lord Ponsonl'y die Faiseurs<lb/>
und Beförderer der ungarischen Manövers und Seid'stständigkeit5plane gefunden!<lb/>
Woher bekommen die Ungarn in dem nnn ansgcbroche»en Kampfe Waffon? Aus<lb/>
England und ans Belgien durch England! Wer bewundert nicht den<lb/>
genialen Scharfblick, mit dem die englische Politik dieses Verhältniß, wie alle<lb/>
andere erfaßt? &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1055"> Seit die Slaven sich für die Erhaltung des östreichischen Gesammstaates<lb/>
erklärt, verzweifelten die Faiseurs der Wiener Demokraten, denen es um wüste<lb/>
Ungebundenheit und rohe Zerstörung zu thun war, die Monarchie allein in ihre<lb/>
Gewalt zu bringen. Sie gaben die Herrschaft des Ostens auf, um sie den Un¬<lb/>
garn zu überlassen, und behielten sich den Westen vor. Wien sollte Deutschland<lb/>
die Freiheit bringen und dafür die Hauptstadt werden. Der alte Kaiserstaat<lb/>
sollte mit Hilfe der Ungarn gesprengt nud der Despotismus gestürzt, d. h. die<lb/>
bestehende Organisation gänzlich zerstört werden. Das ist das Geheimniß der<lb/>
Oktoberrevolution. Dabei walteten immer noch mit wenigen Ausnahmen<lb/>
unklare Gcmüthsrücksichtcn für den Kaiser.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1056"> Mit englisch-ungarischen Gelde bearbeiteten diese Faiseurs das niedere Volt<lb/>
der Hauptstadt. Die Gerüchte davou klingen fabelhaft. Aber es ist bezeichnend,<lb/>
wenn man sich erzählt, daß Herr Pnlßty !lo,0(w Gulden Münz auf einmal ver¬<lb/>
theilt habe. Diese Revolution mißlang. Sie scheiterte an der ungeheueren Fe¬<lb/>
stigkeit der alten Organisation, an dem Talent und der Energie ihrer Generale,<lb/>
an der Tapferkeit und Zucht ihrer Armee. Wie aber, wenn sie gesiegt hätte?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1057"> Sehen wir davon ab, daß ein Sieg der Wiener Demokratie und der rothen<lb/>
Republik in Oestreich die gräßlichste Anarchie in halb Enropa zur Folge gehabt,<lb/>
daß die Folgen dieses Zustandes Deutschland am schwersten getroffen, und wenn<lb/>
nicht den baldigen Untergang, mindestens eine totale Erschöpfung bewirkt hätten,<lb/>
welche sein Verschwinden vom Schauplatz der Geschichte und über kurz oder<lb/>
lang den Heimfall des Ostens an Rußland, des Nordwestens an England, des<lb/>
Südwestens an Frankreich herbeigeführt haben würde! Sehen wir davon ab.<lb/>
Setzen wir den günstigsten Ausgang, wie ihn die gutmüthigen Liberalen sich viel¬<lb/>
leicht dachten. Nehmen wir an, die Dynastie hätte sich entschlossen, in die Los-<lb/>
gebung Ungarns mit Zubehör zu willigen und mit den Erbländer in das Reich<lb/>
einzutreten. Welches wären die Folgen gewesen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1058" next="#ID_1059"> Zunächst ein unbehilflicher, ungleichartiger Organismus, in welchem slavische<lb/>
Elemente fortdauernd einen widerstrebenden Bestandtheil gebildet hätten. Ein<lb/>
Organismus, unfähig der Concentration, welche die Lebensbedingung jedes Sraa-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0355] gefährlichste Rival! Die Magyaren werden nie einen Culturstaat gründen und sind mit den Deutschen, ihren natürlichen Verbündeten, wenn diese Combination zu Stande käme, durch thörichte Eifersucht leicht zu verfeinden. Wer kann an der Richtigkeit der Wahrnehmungen des gemordeten Latour in seinen aufgefundenen Briefen zweifeln, welche in Lord Palmerston und in Lord Ponsonl'y die Faiseurs und Beförderer der ungarischen Manövers und Seid'stständigkeit5plane gefunden! Woher bekommen die Ungarn in dem nnn ansgcbroche»en Kampfe Waffon? Aus England und ans Belgien durch England! Wer bewundert nicht den genialen Scharfblick, mit dem die englische Politik dieses Verhältniß, wie alle andere erfaßt? — Seit die Slaven sich für die Erhaltung des östreichischen Gesammstaates erklärt, verzweifelten die Faiseurs der Wiener Demokraten, denen es um wüste Ungebundenheit und rohe Zerstörung zu thun war, die Monarchie allein in ihre Gewalt zu bringen. Sie gaben die Herrschaft des Ostens auf, um sie den Un¬ garn zu überlassen, und behielten sich den Westen vor. Wien sollte Deutschland die Freiheit bringen und dafür die Hauptstadt werden. Der alte Kaiserstaat sollte mit Hilfe der Ungarn gesprengt nud der Despotismus gestürzt, d. h. die bestehende Organisation gänzlich zerstört werden. Das ist das Geheimniß der Oktoberrevolution. Dabei walteten immer noch mit wenigen Ausnahmen unklare Gcmüthsrücksichtcn für den Kaiser. Mit englisch-ungarischen Gelde bearbeiteten diese Faiseurs das niedere Volt der Hauptstadt. Die Gerüchte davou klingen fabelhaft. Aber es ist bezeichnend, wenn man sich erzählt, daß Herr Pnlßty !lo,0(w Gulden Münz auf einmal ver¬ theilt habe. Diese Revolution mißlang. Sie scheiterte an der ungeheueren Fe¬ stigkeit der alten Organisation, an dem Talent und der Energie ihrer Generale, an der Tapferkeit und Zucht ihrer Armee. Wie aber, wenn sie gesiegt hätte? Sehen wir davon ab, daß ein Sieg der Wiener Demokratie und der rothen Republik in Oestreich die gräßlichste Anarchie in halb Enropa zur Folge gehabt, daß die Folgen dieses Zustandes Deutschland am schwersten getroffen, und wenn nicht den baldigen Untergang, mindestens eine totale Erschöpfung bewirkt hätten, welche sein Verschwinden vom Schauplatz der Geschichte und über kurz oder lang den Heimfall des Ostens an Rußland, des Nordwestens an England, des Südwestens an Frankreich herbeigeführt haben würde! Sehen wir davon ab. Setzen wir den günstigsten Ausgang, wie ihn die gutmüthigen Liberalen sich viel¬ leicht dachten. Nehmen wir an, die Dynastie hätte sich entschlossen, in die Los- gebung Ungarns mit Zubehör zu willigen und mit den Erbländer in das Reich einzutreten. Welches wären die Folgen gewesen? Zunächst ein unbehilflicher, ungleichartiger Organismus, in welchem slavische Elemente fortdauernd einen widerstrebenden Bestandtheil gebildet hätten. Ein Organismus, unfähig der Concentration, welche die Lebensbedingung jedes Sraa-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/355
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/355>, abgerufen am 22.07.2024.