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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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fähige zu schonen und in den neuen Bau aufzunehmen. Da wandten sich ihre
eifrigsten Freunde von ihr ab und nun steht ihr kein ausgesprochenes Recht zur
Seite, dessen sie gegen ihre ehemaligen Freunde am meisten bedürfte.

Hätte man der Nationalversammlung von Anfang keinen andern Zweck bei¬
gemessen, als den verfassungsmäßigen Gewalten der deutschen Staaten einen Plan
der Einigung zur Genehmigung vorzulegen, hätte sie von vorn herein die Auf¬
gabe gehabt, dem lebenskräftig Bestehenden möglichst Rechnung zu tragen, so
würde man das schwierige aber unendlich dankbare Werk mit wachsender Theil¬
nahme verfolgt und durch diese Theilnahme jeden Widerstand der Willkür besiegt
haben. So glaubte man, die Nationalversammlung würde mit ein paar Strichen
Alles abmachen und Allen Alles recht machen, Jeden von seinen Leiden erlösen,
kurz überall Wunder thun. Die Unmöglichkeit, solche ungemessene Forderungen
zu befriedigen, mußte aber, da sie einmal gestellt waren, dem Ansehen der Natio¬
nalversammlung Eintrag thun. Das gleiche Loos traf die neugeschaffene Central-
gewalt. Die Trägheit wird immer zornig, wenn ihr die Tauben nicht gebraten
in den Mund fliegen. Hier, weil ihr die Blüthen der Revolution nicht ohne sorg¬
fältige Pflege und Arbeit als fertige Früchte in den Schooß fielen. Dieses Ele¬
ment der Unzufriedenheit beutete die Konspiration sorgfältig aus. Sie, versuchte
den Catal, als das Schooßkind des zum ersten Male sich regenden Gemeingefühls
der Deutschen, Schleswig-Holstein nicht gleich nach Wunsch behalten werden konnte.
Weil Wrangel nicht über den Belt marschirre, da das souveräne Volk doch meinte,
er würde zufrieren, und die Eroberung Schleswigs von Europa nicht sogleich an¬
erkannt wurde, so rief man das Volt wegen solchen Frevels an seinem Willen zur
Rache auf" Das Manöver war so confus angelegt, daß es mißlang, und der
Abgrund, der sich aufthat, so schaudererregend, daß eine berechtigte Reaction ein¬
trat. Die Centtalgewalt trat der Konspiration und Anarchie energisch entgegen
und die Majorität der Nationalversammlung nahm eine feste Stellung gegen die
der Anarchie befreundete Minorität ein. Jetzt war Frankfurt ein zurückgebliebenes
Dorf. Die Augen der "Demokratie" richteten sich auf Berlin und Wien.

Berlin war die servilste Stadt Preußens. Nach dem Straßenkampfe berauschte
sich die grenzenlose Eitelkeit in der Vorstellung einer glorreichen Revolution. Ein
wilder Pöbel und der schlechteste Radikalismus, der noch existirte, eine widerliche
Mischung von greisenhafter Skepticismus, blasirter Frivolität und phantastischen
Gelüsten impotenter Schwächlinge, führten das unwürdigste Schauspiel auf, das
je in revolutionären Zeiten erhört wurde. Die preußische Nationalversammlung
trat zusammen. Sie war zusammengesetzt erstens aus Elcnienten des Berliner
Radikalismus; sie arbeiteten mit bewußter Absicht an der Zerstörung Preußens,
um abgestumpften Nerven dnrch die Folge einer unauflöslichen Anarchie einen
romantischen Kitzel zu gewähren; zweitens aus den Polen, die sich aus abstracten
Haß mit den Radikalen verbanden; drittens aus einer Zahl ehrenwerther, sachkun.-


fähige zu schonen und in den neuen Bau aufzunehmen. Da wandten sich ihre
eifrigsten Freunde von ihr ab und nun steht ihr kein ausgesprochenes Recht zur
Seite, dessen sie gegen ihre ehemaligen Freunde am meisten bedürfte.

Hätte man der Nationalversammlung von Anfang keinen andern Zweck bei¬
gemessen, als den verfassungsmäßigen Gewalten der deutschen Staaten einen Plan
der Einigung zur Genehmigung vorzulegen, hätte sie von vorn herein die Auf¬
gabe gehabt, dem lebenskräftig Bestehenden möglichst Rechnung zu tragen, so
würde man das schwierige aber unendlich dankbare Werk mit wachsender Theil¬
nahme verfolgt und durch diese Theilnahme jeden Widerstand der Willkür besiegt
haben. So glaubte man, die Nationalversammlung würde mit ein paar Strichen
Alles abmachen und Allen Alles recht machen, Jeden von seinen Leiden erlösen,
kurz überall Wunder thun. Die Unmöglichkeit, solche ungemessene Forderungen
zu befriedigen, mußte aber, da sie einmal gestellt waren, dem Ansehen der Natio¬
nalversammlung Eintrag thun. Das gleiche Loos traf die neugeschaffene Central-
gewalt. Die Trägheit wird immer zornig, wenn ihr die Tauben nicht gebraten
in den Mund fliegen. Hier, weil ihr die Blüthen der Revolution nicht ohne sorg¬
fältige Pflege und Arbeit als fertige Früchte in den Schooß fielen. Dieses Ele¬
ment der Unzufriedenheit beutete die Konspiration sorgfältig aus. Sie, versuchte
den Catal, als das Schooßkind des zum ersten Male sich regenden Gemeingefühls
der Deutschen, Schleswig-Holstein nicht gleich nach Wunsch behalten werden konnte.
Weil Wrangel nicht über den Belt marschirre, da das souveräne Volk doch meinte,
er würde zufrieren, und die Eroberung Schleswigs von Europa nicht sogleich an¬
erkannt wurde, so rief man das Volt wegen solchen Frevels an seinem Willen zur
Rache auf» Das Manöver war so confus angelegt, daß es mißlang, und der
Abgrund, der sich aufthat, so schaudererregend, daß eine berechtigte Reaction ein¬
trat. Die Centtalgewalt trat der Konspiration und Anarchie energisch entgegen
und die Majorität der Nationalversammlung nahm eine feste Stellung gegen die
der Anarchie befreundete Minorität ein. Jetzt war Frankfurt ein zurückgebliebenes
Dorf. Die Augen der „Demokratie" richteten sich auf Berlin und Wien.

Berlin war die servilste Stadt Preußens. Nach dem Straßenkampfe berauschte
sich die grenzenlose Eitelkeit in der Vorstellung einer glorreichen Revolution. Ein
wilder Pöbel und der schlechteste Radikalismus, der noch existirte, eine widerliche
Mischung von greisenhafter Skepticismus, blasirter Frivolität und phantastischen
Gelüsten impotenter Schwächlinge, führten das unwürdigste Schauspiel auf, das
je in revolutionären Zeiten erhört wurde. Die preußische Nationalversammlung
trat zusammen. Sie war zusammengesetzt erstens aus Elcnienten des Berliner
Radikalismus; sie arbeiteten mit bewußter Absicht an der Zerstörung Preußens,
um abgestumpften Nerven dnrch die Folge einer unauflöslichen Anarchie einen
romantischen Kitzel zu gewähren; zweitens aus den Polen, die sich aus abstracten
Haß mit den Radikalen verbanden; drittens aus einer Zahl ehrenwerther, sachkun.-


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[0347] fähige zu schonen und in den neuen Bau aufzunehmen. Da wandten sich ihre eifrigsten Freunde von ihr ab und nun steht ihr kein ausgesprochenes Recht zur Seite, dessen sie gegen ihre ehemaligen Freunde am meisten bedürfte. Hätte man der Nationalversammlung von Anfang keinen andern Zweck bei¬ gemessen, als den verfassungsmäßigen Gewalten der deutschen Staaten einen Plan der Einigung zur Genehmigung vorzulegen, hätte sie von vorn herein die Auf¬ gabe gehabt, dem lebenskräftig Bestehenden möglichst Rechnung zu tragen, so würde man das schwierige aber unendlich dankbare Werk mit wachsender Theil¬ nahme verfolgt und durch diese Theilnahme jeden Widerstand der Willkür besiegt haben. So glaubte man, die Nationalversammlung würde mit ein paar Strichen Alles abmachen und Allen Alles recht machen, Jeden von seinen Leiden erlösen, kurz überall Wunder thun. Die Unmöglichkeit, solche ungemessene Forderungen zu befriedigen, mußte aber, da sie einmal gestellt waren, dem Ansehen der Natio¬ nalversammlung Eintrag thun. Das gleiche Loos traf die neugeschaffene Central- gewalt. Die Trägheit wird immer zornig, wenn ihr die Tauben nicht gebraten in den Mund fliegen. Hier, weil ihr die Blüthen der Revolution nicht ohne sorg¬ fältige Pflege und Arbeit als fertige Früchte in den Schooß fielen. Dieses Ele¬ ment der Unzufriedenheit beutete die Konspiration sorgfältig aus. Sie, versuchte den Catal, als das Schooßkind des zum ersten Male sich regenden Gemeingefühls der Deutschen, Schleswig-Holstein nicht gleich nach Wunsch behalten werden konnte. Weil Wrangel nicht über den Belt marschirre, da das souveräne Volk doch meinte, er würde zufrieren, und die Eroberung Schleswigs von Europa nicht sogleich an¬ erkannt wurde, so rief man das Volt wegen solchen Frevels an seinem Willen zur Rache auf» Das Manöver war so confus angelegt, daß es mißlang, und der Abgrund, der sich aufthat, so schaudererregend, daß eine berechtigte Reaction ein¬ trat. Die Centtalgewalt trat der Konspiration und Anarchie energisch entgegen und die Majorität der Nationalversammlung nahm eine feste Stellung gegen die der Anarchie befreundete Minorität ein. Jetzt war Frankfurt ein zurückgebliebenes Dorf. Die Augen der „Demokratie" richteten sich auf Berlin und Wien. Berlin war die servilste Stadt Preußens. Nach dem Straßenkampfe berauschte sich die grenzenlose Eitelkeit in der Vorstellung einer glorreichen Revolution. Ein wilder Pöbel und der schlechteste Radikalismus, der noch existirte, eine widerliche Mischung von greisenhafter Skepticismus, blasirter Frivolität und phantastischen Gelüsten impotenter Schwächlinge, führten das unwürdigste Schauspiel auf, das je in revolutionären Zeiten erhört wurde. Die preußische Nationalversammlung trat zusammen. Sie war zusammengesetzt erstens aus Elcnienten des Berliner Radikalismus; sie arbeiteten mit bewußter Absicht an der Zerstörung Preußens, um abgestumpften Nerven dnrch die Folge einer unauflöslichen Anarchie einen romantischen Kitzel zu gewähren; zweitens aus den Polen, die sich aus abstracten Haß mit den Radikalen verbanden; drittens aus einer Zahl ehrenwerther, sachkun.-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/347>, abgerufen am 26.06.2024.