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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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wohl des Kriegs, aber nicht den Muth des freien Mannes, offen mit ihrer For¬
derung dem Gegner entgegen zu treten. Ihre Geschickte seit dem 13. Jahrhundert
bietet ein höchst interessantes Gewebe von List und Leidenschaft, aber ohne die
Spur einer verständigen Entwicklung, eines gebildeten Rechtsgesühls. Die Schrift
Ma^ini's über Italien, welche kurz vor der Revolution erschien, zeigt die ganze
Schwindelei des modernen Liberalismus dieses wunderbaren Volkes, die Art, wie
der Aufstand vom 18. März zu Stande kam, seine ganze Unsittlichkeit. Daher ist
für Italien in Oestreich, trotz der neu aufbrausenden Freiheitsideen, niemals viel
Sympathie gewesen, und eben so einseitig in ihrem Egoismus, wie die Italiener
selbst, gewöhnten sich die Deutschen daran, die Provinz am Po als fettes Erb¬
theil Oestreichs anzusehen.

Verwickelter waren die Verhältnisse in Galizien. Die polnische Romantik,
dies Bangen und Langen nach dem in die Vergangenheit znrückgeträumtcn Eldo¬
rado der Zukunft reducirte sich hier auf den Adel; das Landvolk haßte seine klei¬
nen Tyrannen und die Ruthenen hatten nicht das geringste Interesse für die Wie¬
derherstellung des Jagellonenreichs. Von den Nomnnen ganz zu schweigen. So
führte die romantische Verschwörung der Polen im Jahr 1845 die entsetzliche Rea¬
lität eines Bauernkriegs herbei, und die Regierung war gemein genng, den an
sich berechtigten Zorn der unterdrückten Bauern zu ihrem Zweck auszubeuten. Nach
der Märzrevolution, als Alles für Wiederherstellung Polens schwärmte, zweifelte
Niemand an der Nothwendigkeit, Galizien aus dem östreichischen Staatsverband
zu entlassen, aber bald darauf sah man sich sogar veranlaßt, Galizien zu dem
engern, konstitutionelle" Verbände zu zieh", von welchem Ungarn und seine Neben¬
länder ausgeschlossen blieb. So sinnlos dieses Unternehmen ist -- der Reichstag
von Kremsier wird es nicht minder bestätigen, als es der Wiener gethan -- so
hat sich doch so viel herausgestellt, daß die große Mehrzahl der Galizier, wenn
die idealen Wünsche ihrer Edelleute in Erfüllung gingen, ausrufen könnten: be¬
quemer war der alte Rock zu trage"!

Die ungarischen Verhältnisse haben wir mit hinlänglicher Ausführlichkeit
besprochen. Der Kampf der Magyaren gegen Oestreich galt nicht mir ihrer Na¬
tionalität, sondern ihrer Freiheit. Freilich war der Inhalt dieser Freiheit höchst
precär; es war noch viel von der alt-asiatischen Wildheit darin. Das magyari¬
sche Leben war in allen Puncten romantisch, darum haben deutsche Poeten sich gern
magyarisirt. Lenau, A. Beck und andere haben uns das Zigeunerleben in lebens¬
voller Anschaulichkeit dargestellt. Dadurch ist nun allzuviel Poesie in die magya¬
rische Politik gekommen, und bei aller Achtung vor Kossuth's Talent wurde es
mir doch unheimlich, als dieser neumodische Finanzminister ausrief, er wolle das
nöthige Geld, wenn er es nicht im Himmel fände, aus der Hölle holen. Schwindler
diplomatisiren gern, und so haben auch die Ungarn, bei allem Waffengeschrei, gar
viel diplomatische Künste spielen lassen; sie haben dadurch ihre Sache sehr ver-


wohl des Kriegs, aber nicht den Muth des freien Mannes, offen mit ihrer For¬
derung dem Gegner entgegen zu treten. Ihre Geschickte seit dem 13. Jahrhundert
bietet ein höchst interessantes Gewebe von List und Leidenschaft, aber ohne die
Spur einer verständigen Entwicklung, eines gebildeten Rechtsgesühls. Die Schrift
Ma^ini's über Italien, welche kurz vor der Revolution erschien, zeigt die ganze
Schwindelei des modernen Liberalismus dieses wunderbaren Volkes, die Art, wie
der Aufstand vom 18. März zu Stande kam, seine ganze Unsittlichkeit. Daher ist
für Italien in Oestreich, trotz der neu aufbrausenden Freiheitsideen, niemals viel
Sympathie gewesen, und eben so einseitig in ihrem Egoismus, wie die Italiener
selbst, gewöhnten sich die Deutschen daran, die Provinz am Po als fettes Erb¬
theil Oestreichs anzusehen.

Verwickelter waren die Verhältnisse in Galizien. Die polnische Romantik,
dies Bangen und Langen nach dem in die Vergangenheit znrückgeträumtcn Eldo¬
rado der Zukunft reducirte sich hier auf den Adel; das Landvolk haßte seine klei¬
nen Tyrannen und die Ruthenen hatten nicht das geringste Interesse für die Wie¬
derherstellung des Jagellonenreichs. Von den Nomnnen ganz zu schweigen. So
führte die romantische Verschwörung der Polen im Jahr 1845 die entsetzliche Rea¬
lität eines Bauernkriegs herbei, und die Regierung war gemein genng, den an
sich berechtigten Zorn der unterdrückten Bauern zu ihrem Zweck auszubeuten. Nach
der Märzrevolution, als Alles für Wiederherstellung Polens schwärmte, zweifelte
Niemand an der Nothwendigkeit, Galizien aus dem östreichischen Staatsverband
zu entlassen, aber bald darauf sah man sich sogar veranlaßt, Galizien zu dem
engern, konstitutionelle» Verbände zu zieh», von welchem Ungarn und seine Neben¬
länder ausgeschlossen blieb. So sinnlos dieses Unternehmen ist — der Reichstag
von Kremsier wird es nicht minder bestätigen, als es der Wiener gethan — so
hat sich doch so viel herausgestellt, daß die große Mehrzahl der Galizier, wenn
die idealen Wünsche ihrer Edelleute in Erfüllung gingen, ausrufen könnten: be¬
quemer war der alte Rock zu trage»!

Die ungarischen Verhältnisse haben wir mit hinlänglicher Ausführlichkeit
besprochen. Der Kampf der Magyaren gegen Oestreich galt nicht mir ihrer Na¬
tionalität, sondern ihrer Freiheit. Freilich war der Inhalt dieser Freiheit höchst
precär; es war noch viel von der alt-asiatischen Wildheit darin. Das magyari¬
sche Leben war in allen Puncten romantisch, darum haben deutsche Poeten sich gern
magyarisirt. Lenau, A. Beck und andere haben uns das Zigeunerleben in lebens¬
voller Anschaulichkeit dargestellt. Dadurch ist nun allzuviel Poesie in die magya¬
rische Politik gekommen, und bei aller Achtung vor Kossuth's Talent wurde es
mir doch unheimlich, als dieser neumodische Finanzminister ausrief, er wolle das
nöthige Geld, wenn er es nicht im Himmel fände, aus der Hölle holen. Schwindler
diplomatisiren gern, und so haben auch die Ungarn, bei allem Waffengeschrei, gar
viel diplomatische Künste spielen lassen; sie haben dadurch ihre Sache sehr ver-


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[0336] wohl des Kriegs, aber nicht den Muth des freien Mannes, offen mit ihrer For¬ derung dem Gegner entgegen zu treten. Ihre Geschickte seit dem 13. Jahrhundert bietet ein höchst interessantes Gewebe von List und Leidenschaft, aber ohne die Spur einer verständigen Entwicklung, eines gebildeten Rechtsgesühls. Die Schrift Ma^ini's über Italien, welche kurz vor der Revolution erschien, zeigt die ganze Schwindelei des modernen Liberalismus dieses wunderbaren Volkes, die Art, wie der Aufstand vom 18. März zu Stande kam, seine ganze Unsittlichkeit. Daher ist für Italien in Oestreich, trotz der neu aufbrausenden Freiheitsideen, niemals viel Sympathie gewesen, und eben so einseitig in ihrem Egoismus, wie die Italiener selbst, gewöhnten sich die Deutschen daran, die Provinz am Po als fettes Erb¬ theil Oestreichs anzusehen. Verwickelter waren die Verhältnisse in Galizien. Die polnische Romantik, dies Bangen und Langen nach dem in die Vergangenheit znrückgeträumtcn Eldo¬ rado der Zukunft reducirte sich hier auf den Adel; das Landvolk haßte seine klei¬ nen Tyrannen und die Ruthenen hatten nicht das geringste Interesse für die Wie¬ derherstellung des Jagellonenreichs. Von den Nomnnen ganz zu schweigen. So führte die romantische Verschwörung der Polen im Jahr 1845 die entsetzliche Rea¬ lität eines Bauernkriegs herbei, und die Regierung war gemein genng, den an sich berechtigten Zorn der unterdrückten Bauern zu ihrem Zweck auszubeuten. Nach der Märzrevolution, als Alles für Wiederherstellung Polens schwärmte, zweifelte Niemand an der Nothwendigkeit, Galizien aus dem östreichischen Staatsverband zu entlassen, aber bald darauf sah man sich sogar veranlaßt, Galizien zu dem engern, konstitutionelle» Verbände zu zieh», von welchem Ungarn und seine Neben¬ länder ausgeschlossen blieb. So sinnlos dieses Unternehmen ist — der Reichstag von Kremsier wird es nicht minder bestätigen, als es der Wiener gethan — so hat sich doch so viel herausgestellt, daß die große Mehrzahl der Galizier, wenn die idealen Wünsche ihrer Edelleute in Erfüllung gingen, ausrufen könnten: be¬ quemer war der alte Rock zu trage»! Die ungarischen Verhältnisse haben wir mit hinlänglicher Ausführlichkeit besprochen. Der Kampf der Magyaren gegen Oestreich galt nicht mir ihrer Na¬ tionalität, sondern ihrer Freiheit. Freilich war der Inhalt dieser Freiheit höchst precär; es war noch viel von der alt-asiatischen Wildheit darin. Das magyari¬ sche Leben war in allen Puncten romantisch, darum haben deutsche Poeten sich gern magyarisirt. Lenau, A. Beck und andere haben uns das Zigeunerleben in lebens¬ voller Anschaulichkeit dargestellt. Dadurch ist nun allzuviel Poesie in die magya¬ rische Politik gekommen, und bei aller Achtung vor Kossuth's Talent wurde es mir doch unheimlich, als dieser neumodische Finanzminister ausrief, er wolle das nöthige Geld, wenn er es nicht im Himmel fände, aus der Hölle holen. Schwindler diplomatisiren gern, und so haben auch die Ungarn, bei allem Waffengeschrei, gar viel diplomatische Künste spielen lassen; sie haben dadurch ihre Sache sehr ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/336>, abgerufen am 29.06.2024.