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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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schlimmere. Daß sie die Wiener, nachdem sie dieselben zum Aufstand aufgereizt,
nachher im Stich ließen, hat man ihnen ziemlich überall als Verrath ausgelebt;
ich beurtheile sie nicht so scharf, ich finde, daß ihre Renomage von der Macht-
entwickelnng, die sie gegen Oestreich aufbieten wollten, leere Schwindelei war,
und daß es in der physischen Unmöglichkeit lag, was ihre ehemaligen enttäuschten
Verehrer in der Schuld des bösen Willens suchten. Aehnliche Schwindelei lag bei¬
läufig in dem Reichstagsbeschluß vom 15. März, der eine allgemeine Demokratie
einführen sollte, ohne die Details näher zu specificiren; ähnliche Schwindeleien in
allen Finanzoperationen, die mit Law, den revolutionären Assignaten und -- I,m-
ridilo llictu! -- mit dem östreichischen Finanzwesen wetteifern können.

Noch bunter gestaltete sich das nationale Emporstreben gegen die östreichische
Centralisation bei den Czechen. Die sogenannte Czechomanie war zu Metter-
nich'S Zeiten ebenfalls ein Freiheitskampf. Man erinnerte sich plötzlich an den
Hussitenkrieg und die Zeiten Thurm's und Wallenstein's, in denen der östreichische
Absolutismus mit der Nationalität in Böhmen anch die religiöse und politische
Freiheit unterdrückt hatte; deutsche Poeten, wie Alfred Meißner, Uffo Horn,
Moritz Hartmann u. s. w., begeisterten sich für Ziska und die Prediger des böh¬
mischen Evangeliums; man sammelte Volkslieder und setzte Swornostmützen auf.
Die Deutschen in Böhmen waren, der schon angegebenen Gründe wegen, weniger
entschieden gegen die Regierung und traten daher hinter den kriegerischer aussehen¬
den Bestrebungen der Tschechen zurück, im Ganzen vertrugen sie sich aber, wie es
in der Natur der Deutschen lag, so lange es sich um blos gemüthliche Wünsche
handelte, ganz wohl mit ihren Landsleuten einer fremden Zunge, bis die März-
revolution ausbrach. Nicht der Wunsch, das Reich der alten Libnssa herzustellen,
sondern der vermuthete Zusammenhang dieser Wünsche mit einem andern Schreck¬
gespenst -- dem Panslavismus -- erregte das Bedenken der Freunde Dentschlands.
Der Mittelpunkt dieser Romantik war aber nicht Prag, sondern Agram.

Wenn jetzt von dorther der kriegerische Aristokrat seinen Kreuzzug unternom-
men hat gegen die Feinde des Slaventhums und der absoluten Monarchie, ein
Zug, der Euern Wirre" allerdings eine Art Ziel gesetzt hat, wie man es wohl
voraussehn, aber nur beweinen konnte, so waren es früher Gelehrte, die an die
gemeinschaftliche Abstammung aller slavischen Stämme erinnerten, und die Mög¬
lichkeit eiuer staatlichen "Wiedervereinigung" der getrennten Elemente auf eine
ziemlich träumerische Weise ins Ange faßten. Daß diese wunderliche Idee auf
Deutschland einigen Eindruck machte, lag nicht in dem Slaventhum als solchem,
sondern in der Vorstellung, Nußland werde es sein, in welchem die an sich illu¬
sorische Idee des Panslavismus ihren realen Brennpunkt fände. Diese Vorstellung
war durch schlechte Bücher, wie die "Pentarchie" und die Herzensergüsse des Phan¬
tasie" Gurowski genährt worden.

Nun kam die Mrzrevvlution, und die Kraft, welche ursprünglich gegen


schlimmere. Daß sie die Wiener, nachdem sie dieselben zum Aufstand aufgereizt,
nachher im Stich ließen, hat man ihnen ziemlich überall als Verrath ausgelebt;
ich beurtheile sie nicht so scharf, ich finde, daß ihre Renomage von der Macht-
entwickelnng, die sie gegen Oestreich aufbieten wollten, leere Schwindelei war,
und daß es in der physischen Unmöglichkeit lag, was ihre ehemaligen enttäuschten
Verehrer in der Schuld des bösen Willens suchten. Aehnliche Schwindelei lag bei¬
läufig in dem Reichstagsbeschluß vom 15. März, der eine allgemeine Demokratie
einführen sollte, ohne die Details näher zu specificiren; ähnliche Schwindeleien in
allen Finanzoperationen, die mit Law, den revolutionären Assignaten und — I,m-
ridilo llictu! — mit dem östreichischen Finanzwesen wetteifern können.

Noch bunter gestaltete sich das nationale Emporstreben gegen die östreichische
Centralisation bei den Czechen. Die sogenannte Czechomanie war zu Metter-
nich'S Zeiten ebenfalls ein Freiheitskampf. Man erinnerte sich plötzlich an den
Hussitenkrieg und die Zeiten Thurm's und Wallenstein's, in denen der östreichische
Absolutismus mit der Nationalität in Böhmen anch die religiöse und politische
Freiheit unterdrückt hatte; deutsche Poeten, wie Alfred Meißner, Uffo Horn,
Moritz Hartmann u. s. w., begeisterten sich für Ziska und die Prediger des böh¬
mischen Evangeliums; man sammelte Volkslieder und setzte Swornostmützen auf.
Die Deutschen in Böhmen waren, der schon angegebenen Gründe wegen, weniger
entschieden gegen die Regierung und traten daher hinter den kriegerischer aussehen¬
den Bestrebungen der Tschechen zurück, im Ganzen vertrugen sie sich aber, wie es
in der Natur der Deutschen lag, so lange es sich um blos gemüthliche Wünsche
handelte, ganz wohl mit ihren Landsleuten einer fremden Zunge, bis die März-
revolution ausbrach. Nicht der Wunsch, das Reich der alten Libnssa herzustellen,
sondern der vermuthete Zusammenhang dieser Wünsche mit einem andern Schreck¬
gespenst — dem Panslavismus — erregte das Bedenken der Freunde Dentschlands.
Der Mittelpunkt dieser Romantik war aber nicht Prag, sondern Agram.

Wenn jetzt von dorther der kriegerische Aristokrat seinen Kreuzzug unternom-
men hat gegen die Feinde des Slaventhums und der absoluten Monarchie, ein
Zug, der Euern Wirre» allerdings eine Art Ziel gesetzt hat, wie man es wohl
voraussehn, aber nur beweinen konnte, so waren es früher Gelehrte, die an die
gemeinschaftliche Abstammung aller slavischen Stämme erinnerten, und die Mög¬
lichkeit eiuer staatlichen „Wiedervereinigung" der getrennten Elemente auf eine
ziemlich träumerische Weise ins Ange faßten. Daß diese wunderliche Idee auf
Deutschland einigen Eindruck machte, lag nicht in dem Slaventhum als solchem,
sondern in der Vorstellung, Nußland werde es sein, in welchem die an sich illu¬
sorische Idee des Panslavismus ihren realen Brennpunkt fände. Diese Vorstellung
war durch schlechte Bücher, wie die „Pentarchie" und die Herzensergüsse des Phan¬
tasie» Gurowski genährt worden.

Nun kam die Mrzrevvlution, und die Kraft, welche ursprünglich gegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/337>, abgerufen am 01.07.2024.