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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Der bewegliche Kriegergeiü ist plastischer als die friedliche Sinnesart des
Hirten; darum ist in der ersten Gruppe jeder Zug real dargestellt, während in
der zweiten manche Wendung eine nur symbolische Berechtigung hat, z. B. die
Weintrauben, mit denen die Knaben spielen, um die Heiterkeit dieser Lebensweise
auszudrücken, während ein solches Spiel zu dem Schrecken und der Beweglichkeit
des Moments eben so wenig paßt, als das träumerische Sinnen der ruhenden
Hirten, das durch eine etwas gewagte Anticipation der Zukunft in diese edlen
Gesichter gelegt ist.

Die mittlere Gruppe verbindet die beiden ersten, indem uach rechts und nach
links hin abscheulich häßliche Burschen die Kinder durch Angrinsen in Schrecken
setzen. Den Mittelpunkt bildet ein alter, affenmäßig zusammengezogener Neger
ans einem wüsten Ochsen, einem wahren Monstrum teuflischer Bestialität, an dem
sich jedes Haar borstenartig gegen das andere empört, aus dessen häßlichem Munde
Geifer fließt und dessen Schwanz gegen alle Idee bürgerlicher Sittlichkeit Protest
einlegt. Der Gegensatz zu den unmittelbar daran stoßenden tugendhaften Ochsen
der patriarchalischen Gruppe macht seine Erscheinung noch um so unheimlicher.
Der Neger druckt ein aus dem Schiffbruch gerettetes Götzenbild, das an Hä߬
lichkeit mit ihm wetteifert, in blödsinnigein Stumpfsinn an seine Brust, eine junge
Negerin, deren üppig sinnliche Fülle sie trotz der untergeordneten Berechtigung der
Race zu einer Art Schönheit stempelt, küßt ihm den groben Mantel; rechts murmelt
eine greuliche Hexe Beschwörungsformeln, links schneiden drei Figuren vou halb
mongolischen Typus der Patriarchengrnppe wüste Gesichter. Man sieht, Kaul-
bach hat alle Kraft des Häßlichen, welche in seinem Griffel lag, aufgeboten, um den
Abstich des unmenschlichen Euters gegen das freie Heidenthum und die fromme
Sitte um so schärfer hervorzuheben; so aber wird ein werthloses Moment daraus,
eine leere Fortsetzung der Knechtschaft, welche durch die Völkerscheidung eben auf¬
gehoben werden sollte. Der Fetischdiener ist übrigens außer allem geistigen Zu¬
sammenhang mit dem Ereigniß, welches sich in den obern Regionen begibt; er
zeigt weder Freude, noch Schmerz, noch eine Spur von verständigem Eingehn;
in thierischem Stumpfsinn folgt er seinem Verhängnis).

Fassen wir nun die drei Gruppen des Vordergrundes zusammen, so ergibt
sich sofort ein Uebelstand, der bei der Jneinandermischung zeitlich von einander ent¬
legener Ereignisse nur zu natürlich ist. Die Scheidung der Volksstämme folgt erst
aus der Störung des Thnrmbaus. Hier stößt nun die Frage auf: wo kommen
alle diese Leute her? Hart hinter ihnen erhebt sich das Fundament des Thurms,
es ist kein Ort vorhanden, wo man sich ihre Zelte aufgeschlagen denken könnte.
Es ist, als ob sie sich vor dem Thurm versammelt und so eben Kehrt gemacht
hätten. Dagegen spricht aber die, keineswegs in plötzlicher Bestürzung verwirrte,
sondern in regelmäßigen Weg eingelenkte Bewegung. Kurz, in der Gruppirung
des Vordergrundes ist nur architectonisch-symbolische, aber keine plastische Wahrheit.


Der bewegliche Kriegergeiü ist plastischer als die friedliche Sinnesart des
Hirten; darum ist in der ersten Gruppe jeder Zug real dargestellt, während in
der zweiten manche Wendung eine nur symbolische Berechtigung hat, z. B. die
Weintrauben, mit denen die Knaben spielen, um die Heiterkeit dieser Lebensweise
auszudrücken, während ein solches Spiel zu dem Schrecken und der Beweglichkeit
des Moments eben so wenig paßt, als das träumerische Sinnen der ruhenden
Hirten, das durch eine etwas gewagte Anticipation der Zukunft in diese edlen
Gesichter gelegt ist.

Die mittlere Gruppe verbindet die beiden ersten, indem uach rechts und nach
links hin abscheulich häßliche Burschen die Kinder durch Angrinsen in Schrecken
setzen. Den Mittelpunkt bildet ein alter, affenmäßig zusammengezogener Neger
ans einem wüsten Ochsen, einem wahren Monstrum teuflischer Bestialität, an dem
sich jedes Haar borstenartig gegen das andere empört, aus dessen häßlichem Munde
Geifer fließt und dessen Schwanz gegen alle Idee bürgerlicher Sittlichkeit Protest
einlegt. Der Gegensatz zu den unmittelbar daran stoßenden tugendhaften Ochsen
der patriarchalischen Gruppe macht seine Erscheinung noch um so unheimlicher.
Der Neger druckt ein aus dem Schiffbruch gerettetes Götzenbild, das an Hä߬
lichkeit mit ihm wetteifert, in blödsinnigein Stumpfsinn an seine Brust, eine junge
Negerin, deren üppig sinnliche Fülle sie trotz der untergeordneten Berechtigung der
Race zu einer Art Schönheit stempelt, küßt ihm den groben Mantel; rechts murmelt
eine greuliche Hexe Beschwörungsformeln, links schneiden drei Figuren vou halb
mongolischen Typus der Patriarchengrnppe wüste Gesichter. Man sieht, Kaul-
bach hat alle Kraft des Häßlichen, welche in seinem Griffel lag, aufgeboten, um den
Abstich des unmenschlichen Euters gegen das freie Heidenthum und die fromme
Sitte um so schärfer hervorzuheben; so aber wird ein werthloses Moment daraus,
eine leere Fortsetzung der Knechtschaft, welche durch die Völkerscheidung eben auf¬
gehoben werden sollte. Der Fetischdiener ist übrigens außer allem geistigen Zu¬
sammenhang mit dem Ereigniß, welches sich in den obern Regionen begibt; er
zeigt weder Freude, noch Schmerz, noch eine Spur von verständigem Eingehn;
in thierischem Stumpfsinn folgt er seinem Verhängnis).

Fassen wir nun die drei Gruppen des Vordergrundes zusammen, so ergibt
sich sofort ein Uebelstand, der bei der Jneinandermischung zeitlich von einander ent¬
legener Ereignisse nur zu natürlich ist. Die Scheidung der Volksstämme folgt erst
aus der Störung des Thnrmbaus. Hier stößt nun die Frage auf: wo kommen
alle diese Leute her? Hart hinter ihnen erhebt sich das Fundament des Thurms,
es ist kein Ort vorhanden, wo man sich ihre Zelte aufgeschlagen denken könnte.
Es ist, als ob sie sich vor dem Thurm versammelt und so eben Kehrt gemacht
hätten. Dagegen spricht aber die, keineswegs in plötzlicher Bestürzung verwirrte,
sondern in regelmäßigen Weg eingelenkte Bewegung. Kurz, in der Gruppirung
des Vordergrundes ist nur architectonisch-symbolische, aber keine plastische Wahrheit.


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[0310] Der bewegliche Kriegergeiü ist plastischer als die friedliche Sinnesart des Hirten; darum ist in der ersten Gruppe jeder Zug real dargestellt, während in der zweiten manche Wendung eine nur symbolische Berechtigung hat, z. B. die Weintrauben, mit denen die Knaben spielen, um die Heiterkeit dieser Lebensweise auszudrücken, während ein solches Spiel zu dem Schrecken und der Beweglichkeit des Moments eben so wenig paßt, als das träumerische Sinnen der ruhenden Hirten, das durch eine etwas gewagte Anticipation der Zukunft in diese edlen Gesichter gelegt ist. Die mittlere Gruppe verbindet die beiden ersten, indem uach rechts und nach links hin abscheulich häßliche Burschen die Kinder durch Angrinsen in Schrecken setzen. Den Mittelpunkt bildet ein alter, affenmäßig zusammengezogener Neger ans einem wüsten Ochsen, einem wahren Monstrum teuflischer Bestialität, an dem sich jedes Haar borstenartig gegen das andere empört, aus dessen häßlichem Munde Geifer fließt und dessen Schwanz gegen alle Idee bürgerlicher Sittlichkeit Protest einlegt. Der Gegensatz zu den unmittelbar daran stoßenden tugendhaften Ochsen der patriarchalischen Gruppe macht seine Erscheinung noch um so unheimlicher. Der Neger druckt ein aus dem Schiffbruch gerettetes Götzenbild, das an Hä߬ lichkeit mit ihm wetteifert, in blödsinnigein Stumpfsinn an seine Brust, eine junge Negerin, deren üppig sinnliche Fülle sie trotz der untergeordneten Berechtigung der Race zu einer Art Schönheit stempelt, küßt ihm den groben Mantel; rechts murmelt eine greuliche Hexe Beschwörungsformeln, links schneiden drei Figuren vou halb mongolischen Typus der Patriarchengrnppe wüste Gesichter. Man sieht, Kaul- bach hat alle Kraft des Häßlichen, welche in seinem Griffel lag, aufgeboten, um den Abstich des unmenschlichen Euters gegen das freie Heidenthum und die fromme Sitte um so schärfer hervorzuheben; so aber wird ein werthloses Moment daraus, eine leere Fortsetzung der Knechtschaft, welche durch die Völkerscheidung eben auf¬ gehoben werden sollte. Der Fetischdiener ist übrigens außer allem geistigen Zu¬ sammenhang mit dem Ereigniß, welches sich in den obern Regionen begibt; er zeigt weder Freude, noch Schmerz, noch eine Spur von verständigem Eingehn; in thierischem Stumpfsinn folgt er seinem Verhängnis). Fassen wir nun die drei Gruppen des Vordergrundes zusammen, so ergibt sich sofort ein Uebelstand, der bei der Jneinandermischung zeitlich von einander ent¬ legener Ereignisse nur zu natürlich ist. Die Scheidung der Volksstämme folgt erst aus der Störung des Thnrmbaus. Hier stößt nun die Frage auf: wo kommen alle diese Leute her? Hart hinter ihnen erhebt sich das Fundament des Thurms, es ist kein Ort vorhanden, wo man sich ihre Zelte aufgeschlagen denken könnte. Es ist, als ob sie sich vor dem Thurm versammelt und so eben Kehrt gemacht hätten. Dagegen spricht aber die, keineswegs in plötzlicher Bestürzung verwirrte, sondern in regelmäßigen Weg eingelenkte Bewegung. Kurz, in der Gruppirung des Vordergrundes ist nur architectonisch-symbolische, aber keine plastische Wahrheit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/310>, abgerufen am 22.07.2024.