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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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künstlerischen Ausbildung nehmen muß, von selbst. Die Verschiedenheit der Völker,
welche die Sage erst werden läßt, muß in der Darstellung als eine bereits vor¬
handene erscheinen, die nur in einer Plötzlichen Krise zum Bewußtsein kommt. Es
ist dann die Aufgabe, dieser Krisis die sinnliche Wahrheit zu verleihen, ohne ihr
die sittliche Bedeutung zu nehmen. Sehen wir nun, wie Kaulbach seine Idee
zur Geltung gebracht hat.

Das Bild zerfällt in drei Gruppen: der Tyrann und seine Helfershelfer, die
in ihrem unsittlichen Vorhaben, widersprechende Elemente gewaltsam zusammen-
halten zu wollen, unterbrochen werden; die Gottheit, von der diese Unterbrechung
ausgeht, und die frei gewordenen Gegensätze, die sich zu ihrer individuellen Ent¬
wickelung auseinander begeben. Also der gebundene Widerspruch, die reine logische
Idee, die ihn löst, und der gelöste Widerspruch.

Der Idee nach eine schöne Construction. In der Mitte die Unfreiheit, die
in ihrer Zerstörung nur wüste Bilder gibt, die in ihrem Streben nach abstracter
Einheit ihren eignen Widerspruch, das Recht ihres Untergangs, nicht begreift und
daher mit voller Schuld ihrem Schicksal verfällt; im Vordergrund, der dem Zu¬
schauer zunächst liegt, und das eigentlich gegenwärtige Leben ausdrückt, das
Recht der Selbstständigkeit, des Egoismus, das zunächst in der Trennung das
Gefühl seiner Freiheit findet und an die höhere Einheit des Menschengeschlechts
nur höchstens ahnungsvoll sich erinnert - - eine Ahnung, wie sie in der edlen
Gestalt des Patriarchen sich ausprägt; in der Höhe der Geist, der das Bewußt
sein aufrecht hält, auch in der Scheidung seiner Momente sich selbst nicht zu ver¬
lieren. Betrachten wir diese Gruppen zunächst nur in ihrer geistigen Bedeutung,
ohne vorläufig ans ihre sinnliche Wahrheit einzugehn.

Im Vordergrunde scheiden sich drei Gruppen; mit Recht, denn zwei würden
nur den abstracten Gegensatz ausdrücken, mehr als drei die Uebersicht verwirren.
Ein Fehler in der Idee ist es aber, daß die mittlere Gruppe ohne alle Berech-
rigung hingestellt ist. Rechts sehen wir die freie, geniale Individualität des Hel-
denthums, links die sittliche Welt der Familie; in der Mitte aber blos den wü¬
sten Götzendienst, den Aberglauben, die Hexerei, kurz, den unsittlichen Abfall vom
Geist.

Rechts zieht auf einem geschlungenen Pfade, der sich in weite Perspective
verliert, eine Karavane ihrem neuen Wohnsitz zu. Die Kameele erinnern an no-
madisirende Völker, aber> zugleich an den Handel. Im Vordergrund schließt sich
diesem Zuge ein stattlicher Held an, der ans einem Pferde im fliegenden Galopp
vorwärts sprengt. Zwei schöne Jünglinge, wohl seine Söhne, greifen in die
Mähnen des Rosses und eilen im kühnen Wettlauf mit ihm davon. Der eine
von ihnen erhält durch scheues Abwenden von den Hexen der mittleren Gruppe
den Zusammenhang mit der anderen Seite. Vor dem Pferde scheuen einige vor-
anschreiteude Männer -- ein überflüssiger und störender Zug, da er ohne eine


künstlerischen Ausbildung nehmen muß, von selbst. Die Verschiedenheit der Völker,
welche die Sage erst werden läßt, muß in der Darstellung als eine bereits vor¬
handene erscheinen, die nur in einer Plötzlichen Krise zum Bewußtsein kommt. Es
ist dann die Aufgabe, dieser Krisis die sinnliche Wahrheit zu verleihen, ohne ihr
die sittliche Bedeutung zu nehmen. Sehen wir nun, wie Kaulbach seine Idee
zur Geltung gebracht hat.

Das Bild zerfällt in drei Gruppen: der Tyrann und seine Helfershelfer, die
in ihrem unsittlichen Vorhaben, widersprechende Elemente gewaltsam zusammen-
halten zu wollen, unterbrochen werden; die Gottheit, von der diese Unterbrechung
ausgeht, und die frei gewordenen Gegensätze, die sich zu ihrer individuellen Ent¬
wickelung auseinander begeben. Also der gebundene Widerspruch, die reine logische
Idee, die ihn löst, und der gelöste Widerspruch.

Der Idee nach eine schöne Construction. In der Mitte die Unfreiheit, die
in ihrer Zerstörung nur wüste Bilder gibt, die in ihrem Streben nach abstracter
Einheit ihren eignen Widerspruch, das Recht ihres Untergangs, nicht begreift und
daher mit voller Schuld ihrem Schicksal verfällt; im Vordergrund, der dem Zu¬
schauer zunächst liegt, und das eigentlich gegenwärtige Leben ausdrückt, das
Recht der Selbstständigkeit, des Egoismus, das zunächst in der Trennung das
Gefühl seiner Freiheit findet und an die höhere Einheit des Menschengeschlechts
nur höchstens ahnungsvoll sich erinnert - - eine Ahnung, wie sie in der edlen
Gestalt des Patriarchen sich ausprägt; in der Höhe der Geist, der das Bewußt
sein aufrecht hält, auch in der Scheidung seiner Momente sich selbst nicht zu ver¬
lieren. Betrachten wir diese Gruppen zunächst nur in ihrer geistigen Bedeutung,
ohne vorläufig ans ihre sinnliche Wahrheit einzugehn.

Im Vordergrunde scheiden sich drei Gruppen; mit Recht, denn zwei würden
nur den abstracten Gegensatz ausdrücken, mehr als drei die Uebersicht verwirren.
Ein Fehler in der Idee ist es aber, daß die mittlere Gruppe ohne alle Berech-
rigung hingestellt ist. Rechts sehen wir die freie, geniale Individualität des Hel-
denthums, links die sittliche Welt der Familie; in der Mitte aber blos den wü¬
sten Götzendienst, den Aberglauben, die Hexerei, kurz, den unsittlichen Abfall vom
Geist.

Rechts zieht auf einem geschlungenen Pfade, der sich in weite Perspective
verliert, eine Karavane ihrem neuen Wohnsitz zu. Die Kameele erinnern an no-
madisirende Völker, aber> zugleich an den Handel. Im Vordergrund schließt sich
diesem Zuge ein stattlicher Held an, der ans einem Pferde im fliegenden Galopp
vorwärts sprengt. Zwei schöne Jünglinge, wohl seine Söhne, greifen in die
Mähnen des Rosses und eilen im kühnen Wettlauf mit ihm davon. Der eine
von ihnen erhält durch scheues Abwenden von den Hexen der mittleren Gruppe
den Zusammenhang mit der anderen Seite. Vor dem Pferde scheuen einige vor-
anschreiteude Männer — ein überflüssiger und störender Zug, da er ohne eine


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[0308] künstlerischen Ausbildung nehmen muß, von selbst. Die Verschiedenheit der Völker, welche die Sage erst werden läßt, muß in der Darstellung als eine bereits vor¬ handene erscheinen, die nur in einer Plötzlichen Krise zum Bewußtsein kommt. Es ist dann die Aufgabe, dieser Krisis die sinnliche Wahrheit zu verleihen, ohne ihr die sittliche Bedeutung zu nehmen. Sehen wir nun, wie Kaulbach seine Idee zur Geltung gebracht hat. Das Bild zerfällt in drei Gruppen: der Tyrann und seine Helfershelfer, die in ihrem unsittlichen Vorhaben, widersprechende Elemente gewaltsam zusammen- halten zu wollen, unterbrochen werden; die Gottheit, von der diese Unterbrechung ausgeht, und die frei gewordenen Gegensätze, die sich zu ihrer individuellen Ent¬ wickelung auseinander begeben. Also der gebundene Widerspruch, die reine logische Idee, die ihn löst, und der gelöste Widerspruch. Der Idee nach eine schöne Construction. In der Mitte die Unfreiheit, die in ihrer Zerstörung nur wüste Bilder gibt, die in ihrem Streben nach abstracter Einheit ihren eignen Widerspruch, das Recht ihres Untergangs, nicht begreift und daher mit voller Schuld ihrem Schicksal verfällt; im Vordergrund, der dem Zu¬ schauer zunächst liegt, und das eigentlich gegenwärtige Leben ausdrückt, das Recht der Selbstständigkeit, des Egoismus, das zunächst in der Trennung das Gefühl seiner Freiheit findet und an die höhere Einheit des Menschengeschlechts nur höchstens ahnungsvoll sich erinnert - - eine Ahnung, wie sie in der edlen Gestalt des Patriarchen sich ausprägt; in der Höhe der Geist, der das Bewußt sein aufrecht hält, auch in der Scheidung seiner Momente sich selbst nicht zu ver¬ lieren. Betrachten wir diese Gruppen zunächst nur in ihrer geistigen Bedeutung, ohne vorläufig ans ihre sinnliche Wahrheit einzugehn. Im Vordergrunde scheiden sich drei Gruppen; mit Recht, denn zwei würden nur den abstracten Gegensatz ausdrücken, mehr als drei die Uebersicht verwirren. Ein Fehler in der Idee ist es aber, daß die mittlere Gruppe ohne alle Berech- rigung hingestellt ist. Rechts sehen wir die freie, geniale Individualität des Hel- denthums, links die sittliche Welt der Familie; in der Mitte aber blos den wü¬ sten Götzendienst, den Aberglauben, die Hexerei, kurz, den unsittlichen Abfall vom Geist. Rechts zieht auf einem geschlungenen Pfade, der sich in weite Perspective verliert, eine Karavane ihrem neuen Wohnsitz zu. Die Kameele erinnern an no- madisirende Völker, aber> zugleich an den Handel. Im Vordergrund schließt sich diesem Zuge ein stattlicher Held an, der ans einem Pferde im fliegenden Galopp vorwärts sprengt. Zwei schöne Jünglinge, wohl seine Söhne, greifen in die Mähnen des Rosses und eilen im kühnen Wettlauf mit ihm davon. Der eine von ihnen erhält durch scheues Abwenden von den Hexen der mittleren Gruppe den Zusammenhang mit der anderen Seite. Vor dem Pferde scheuen einige vor- anschreiteude Männer — ein überflüssiger und störender Zug, da er ohne eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/308>, abgerufen am 22.07.2024.