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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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nen, indem er die Sprache der Arbeiter verwirrte und sie dadurch zwang, aus¬
einander zu gehen. Pragmatischer und weniger plastisch, als die kühn gedachte
griechische Mythe, nach welcher ein Paar verwegene Titanen einen Felsen auf den
andern häuften, um des Göttervaters olympische Burg zu erstürmen, bis dieser
sie mit seinen Blitzen zu Boden streckte. Wie sinnlich klar ist diese letztere
Mythe im Verhältniß zu der biblischen Geschichte; man sieht bei diesem Empor¬
steigen einen bestimmten Zweck, man hat bestimmte sinnliche Mittel vor sich, und
der Kampf ist ein realer, jene Riesen sind handfeste Gesellen und Zeus nicht ohne
Furcht. Was Nimrod dagegen mit seinem Thurmbau gewollt, ist nicht klar, und
Gott bekämpft ihn nicht mit edler, heroischer Gewalt, sondern durch Ueberlistnng.
Die Sprachverwirrung ist ebenso abstract und unbestimmt gehalten, als die Aus-
gießung des heiligen Geistes in Pfingsten; es ist ein größeres, complicirtes Wun¬
der und macht doch keinen Eindruck, denn es wirkt nicht unmittelbar auf die
Phantasie, es bedarf der Beihilfe der Reflexion. Am allerwenigsten ertrüge es
eine künstlerische Darstellung, und die Maler haben sich damit begnügt, eine große
Verwirrung während des Baues auszudrücken, über deren Veranlassung mau dann
seine Gelehrsamkeit zu befragen hat, ebenso wie die Darsteller des Pfingstfestes
den halb verdrehten, halb exaltirten Gebärden der Jünger und dem Staunen und
Entsetzen ihrer Zuhörer kein anderes sinnliches Motiv unterzuschieben wußte", als
die unvermeidliche weiße Taube, die in der Mitte schwebt und deren Zusammen¬
hang mit der Bewegung unter den Aposteln nur durch die Schule erläutert wird.

Dagegen liegt in der biblischen Legende eine größere sittliche Tiefe. In dem
heidnischen Mythus steht Kraft gegen Kraft; der Kampf ist ein rein äußerlicher
und sein Ende Vernichtung der einen, ohne daß dieser Untergang irgend einer
neuen Schöpfung zu Gute käme. Die Völkerscheidung dagegen ist an sich etwas
Vernünftiges; das Uebermaß der Kraft, welches der Neid der antiken Götter nur
durch einfache Negation zu widerlegen wußte, lenkt der biblische Gott in seine
gesetzlichen Grenzen und gibt ihm dadurch seine relative Berechtigung. Die Ver¬
schiedenheit der Sprachen ist nur der bestimmte Ausdruck für die sittliche Verschie¬
denheit der Volkseigenthümlichkeiten, durch tyrannische Gewalt in einen unfrucht¬
baren Staatsmechanismus zusammengepreßt, gibt ihnen die Freiheit erst das Recht
des Lebens. Die Unterschiede sind nicht mehr gebunden, sie widersprechen sich
nicht, sie ergänzen sich gegenseitig zu dem schönen Bilde der Menschheit. Nicht
in die Höhe, wie das Gelüst des übermüthigen Genius es will, sondern in die
Breite geht der Strom des Lebens. Das Ideal -- die vollkommene
Menschheit-- ist nicht in der einzelnen Erscheinung, sondern in
der Gesammtheit der in freier Eigenthümlichkeit aufblühenden
Erscheinungen; nur in der Fülle des Lebens, nicht in der einsam abstracten
Tiefe des einzelnen Menschenbildes realisirt sich die Gottheit.

Aus dieser Betrachtung ergibt sich die Wendung, welche die Sage in der


nen, indem er die Sprache der Arbeiter verwirrte und sie dadurch zwang, aus¬
einander zu gehen. Pragmatischer und weniger plastisch, als die kühn gedachte
griechische Mythe, nach welcher ein Paar verwegene Titanen einen Felsen auf den
andern häuften, um des Göttervaters olympische Burg zu erstürmen, bis dieser
sie mit seinen Blitzen zu Boden streckte. Wie sinnlich klar ist diese letztere
Mythe im Verhältniß zu der biblischen Geschichte; man sieht bei diesem Empor¬
steigen einen bestimmten Zweck, man hat bestimmte sinnliche Mittel vor sich, und
der Kampf ist ein realer, jene Riesen sind handfeste Gesellen und Zeus nicht ohne
Furcht. Was Nimrod dagegen mit seinem Thurmbau gewollt, ist nicht klar, und
Gott bekämpft ihn nicht mit edler, heroischer Gewalt, sondern durch Ueberlistnng.
Die Sprachverwirrung ist ebenso abstract und unbestimmt gehalten, als die Aus-
gießung des heiligen Geistes in Pfingsten; es ist ein größeres, complicirtes Wun¬
der und macht doch keinen Eindruck, denn es wirkt nicht unmittelbar auf die
Phantasie, es bedarf der Beihilfe der Reflexion. Am allerwenigsten ertrüge es
eine künstlerische Darstellung, und die Maler haben sich damit begnügt, eine große
Verwirrung während des Baues auszudrücken, über deren Veranlassung mau dann
seine Gelehrsamkeit zu befragen hat, ebenso wie die Darsteller des Pfingstfestes
den halb verdrehten, halb exaltirten Gebärden der Jünger und dem Staunen und
Entsetzen ihrer Zuhörer kein anderes sinnliches Motiv unterzuschieben wußte», als
die unvermeidliche weiße Taube, die in der Mitte schwebt und deren Zusammen¬
hang mit der Bewegung unter den Aposteln nur durch die Schule erläutert wird.

Dagegen liegt in der biblischen Legende eine größere sittliche Tiefe. In dem
heidnischen Mythus steht Kraft gegen Kraft; der Kampf ist ein rein äußerlicher
und sein Ende Vernichtung der einen, ohne daß dieser Untergang irgend einer
neuen Schöpfung zu Gute käme. Die Völkerscheidung dagegen ist an sich etwas
Vernünftiges; das Uebermaß der Kraft, welches der Neid der antiken Götter nur
durch einfache Negation zu widerlegen wußte, lenkt der biblische Gott in seine
gesetzlichen Grenzen und gibt ihm dadurch seine relative Berechtigung. Die Ver¬
schiedenheit der Sprachen ist nur der bestimmte Ausdruck für die sittliche Verschie¬
denheit der Volkseigenthümlichkeiten, durch tyrannische Gewalt in einen unfrucht¬
baren Staatsmechanismus zusammengepreßt, gibt ihnen die Freiheit erst das Recht
des Lebens. Die Unterschiede sind nicht mehr gebunden, sie widersprechen sich
nicht, sie ergänzen sich gegenseitig zu dem schönen Bilde der Menschheit. Nicht
in die Höhe, wie das Gelüst des übermüthigen Genius es will, sondern in die
Breite geht der Strom des Lebens. Das Ideal — die vollkommene
Menschheit— ist nicht in der einzelnen Erscheinung, sondern in
der Gesammtheit der in freier Eigenthümlichkeit aufblühenden
Erscheinungen; nur in der Fülle des Lebens, nicht in der einsam abstracten
Tiefe des einzelnen Menschenbildes realisirt sich die Gottheit.

Aus dieser Betrachtung ergibt sich die Wendung, welche die Sage in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/307>, abgerufen am 22.07.2024.