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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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fortgeschritten sei. Dieses Lobes ist es vorläufig quitt, und wir danken das zum
größten Theil dem Lehrcursus, welchen ihm seine Constituante gegeben hat. --
Von der Stellung derselben zur Nation, zur Einwohnerschaft und den Clubs von
Berlin will ich schweigen. Es genüge zu sagen, daß sie so nichtswürdig als mög-
lich war. Wenn die Linke ans reiner Menschenliebe für alle Forderungen und
Klagen einzelner Klassen, Städte und Distrikte als Vertreterin auftrat, für die
armen Invaliden, die armen Weber und Spinner, so mag man das so lange
für gerechtfertigt halten, als dnrch die Verwendung wirklich ein guter Zweck zu
erreichen war; obgleich die Herrn Elsner, Stein und Consorten recht gut wußten,
daß ihre Petitionen für Weber und Spinner die Constituante nur aufhalten wür¬
den, ohne den armen Elenden, deren Anwälte sie spielten, irgend zu helfen. Aber
die Rolle, welche sie in den Berliner Clubs, der Volksbewegung spielte, war
eben so lächerlich, als nichtswürdig. Die feierlichen Beerdigungen der Tumul-
tuanten, die Sicherheitskarten der demokratischen Clubs, dies Kokettiren und Jn-
triguiren mit dem souveränen Pöbel hat die gesammte Linke, Jakoby und Waldeck
an der Spitze, politisch entehrt, sie sind vorläufig todt für die weitere Entwicklung
unserer Revolution, gerichtet durch die Verachtung der Vernünftigen; man könnte
ihnen verzeihen, daß sie nicht klüger sind, aber man muß ihnen vorwerfen, daß
sie durch eine große Zeit nicht besser geworden sind.

Ein zweiter Vorwurf, der die Berliner Versammlung trifft, ist der, daß in
ihr das gesammte demokratische Leben der Nation als eine Lüge, als niederträch¬
tige Farce erschien. Es ist bei keiner Deputirteuversammlung möglich, die jedes¬
malige wechselnde Meinung der Majorität des Volkes zur Geltung zu bringen,
sie soll aber stets deu Zweck habe", die Ueberzeugungen der verständigen Männer,
welche das Vertrauen des Landes haben, in Gesetze zu verwandeln. Wie stand
es mit den Majoritäten in der Constituante, wo außer Michael Mroß noch un-
gefähr 20 saßen, die ihre Stimmen nicht verkauften, sondern verschenkten an die
erste beste gute Lunge, oder um einen biedern Schlag ans die Schulter, und etwa
100 andere, die von Constitution nicht mehr wußten, als daß sie selbst eine gute
hätten. Die Unverschämtheit, mit welcher bei den Abstimmungen diese Stimmen
geworben worden, war nur übertroffen durch die dumme Pfiffigkeit derer, welche
sich werben ließen.

Das ist ein kläglicher Zustand. Und wenn eine solche Versammlung aus
Antipathie gegen die Minister und aus Mangel an festen politischen Ansichten
einen Beschluß fassen kann, wie über das Großherzogthum Posen, wenn die In¬
triguen einer ehrgeizigen Partei so weit reichen, daß sie deutsches Recht und
deutsche Interessen verrathen, die vernünftigen Resultate des Frühjahrkampfts in
Posen, welche durch preußisches Blut gewonnen sind, vernichten können, aus Par-
teieigensinn, ans verletzter Eitelkeit, und wenn die Majorität seiner Kammer bei
einer solchen Partei steht, und wenn das preußische Volt zu einem solchen Ver-


fortgeschritten sei. Dieses Lobes ist es vorläufig quitt, und wir danken das zum
größten Theil dem Lehrcursus, welchen ihm seine Constituante gegeben hat. —
Von der Stellung derselben zur Nation, zur Einwohnerschaft und den Clubs von
Berlin will ich schweigen. Es genüge zu sagen, daß sie so nichtswürdig als mög-
lich war. Wenn die Linke ans reiner Menschenliebe für alle Forderungen und
Klagen einzelner Klassen, Städte und Distrikte als Vertreterin auftrat, für die
armen Invaliden, die armen Weber und Spinner, so mag man das so lange
für gerechtfertigt halten, als dnrch die Verwendung wirklich ein guter Zweck zu
erreichen war; obgleich die Herrn Elsner, Stein und Consorten recht gut wußten,
daß ihre Petitionen für Weber und Spinner die Constituante nur aufhalten wür¬
den, ohne den armen Elenden, deren Anwälte sie spielten, irgend zu helfen. Aber
die Rolle, welche sie in den Berliner Clubs, der Volksbewegung spielte, war
eben so lächerlich, als nichtswürdig. Die feierlichen Beerdigungen der Tumul-
tuanten, die Sicherheitskarten der demokratischen Clubs, dies Kokettiren und Jn-
triguiren mit dem souveränen Pöbel hat die gesammte Linke, Jakoby und Waldeck
an der Spitze, politisch entehrt, sie sind vorläufig todt für die weitere Entwicklung
unserer Revolution, gerichtet durch die Verachtung der Vernünftigen; man könnte
ihnen verzeihen, daß sie nicht klüger sind, aber man muß ihnen vorwerfen, daß
sie durch eine große Zeit nicht besser geworden sind.

Ein zweiter Vorwurf, der die Berliner Versammlung trifft, ist der, daß in
ihr das gesammte demokratische Leben der Nation als eine Lüge, als niederträch¬
tige Farce erschien. Es ist bei keiner Deputirteuversammlung möglich, die jedes¬
malige wechselnde Meinung der Majorität des Volkes zur Geltung zu bringen,
sie soll aber stets deu Zweck habe», die Ueberzeugungen der verständigen Männer,
welche das Vertrauen des Landes haben, in Gesetze zu verwandeln. Wie stand
es mit den Majoritäten in der Constituante, wo außer Michael Mroß noch un-
gefähr 20 saßen, die ihre Stimmen nicht verkauften, sondern verschenkten an die
erste beste gute Lunge, oder um einen biedern Schlag ans die Schulter, und etwa
100 andere, die von Constitution nicht mehr wußten, als daß sie selbst eine gute
hätten. Die Unverschämtheit, mit welcher bei den Abstimmungen diese Stimmen
geworben worden, war nur übertroffen durch die dumme Pfiffigkeit derer, welche
sich werben ließen.

Das ist ein kläglicher Zustand. Und wenn eine solche Versammlung aus
Antipathie gegen die Minister und aus Mangel an festen politischen Ansichten
einen Beschluß fassen kann, wie über das Großherzogthum Posen, wenn die In¬
triguen einer ehrgeizigen Partei so weit reichen, daß sie deutsches Recht und
deutsche Interessen verrathen, die vernünftigen Resultate des Frühjahrkampfts in
Posen, welche durch preußisches Blut gewonnen sind, vernichten können, aus Par-
teieigensinn, ans verletzter Eitelkeit, und wenn die Majorität seiner Kammer bei
einer solchen Partei steht, und wenn das preußische Volt zu einem solchen Ver-


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[0298] fortgeschritten sei. Dieses Lobes ist es vorläufig quitt, und wir danken das zum größten Theil dem Lehrcursus, welchen ihm seine Constituante gegeben hat. — Von der Stellung derselben zur Nation, zur Einwohnerschaft und den Clubs von Berlin will ich schweigen. Es genüge zu sagen, daß sie so nichtswürdig als mög- lich war. Wenn die Linke ans reiner Menschenliebe für alle Forderungen und Klagen einzelner Klassen, Städte und Distrikte als Vertreterin auftrat, für die armen Invaliden, die armen Weber und Spinner, so mag man das so lange für gerechtfertigt halten, als dnrch die Verwendung wirklich ein guter Zweck zu erreichen war; obgleich die Herrn Elsner, Stein und Consorten recht gut wußten, daß ihre Petitionen für Weber und Spinner die Constituante nur aufhalten wür¬ den, ohne den armen Elenden, deren Anwälte sie spielten, irgend zu helfen. Aber die Rolle, welche sie in den Berliner Clubs, der Volksbewegung spielte, war eben so lächerlich, als nichtswürdig. Die feierlichen Beerdigungen der Tumul- tuanten, die Sicherheitskarten der demokratischen Clubs, dies Kokettiren und Jn- triguiren mit dem souveränen Pöbel hat die gesammte Linke, Jakoby und Waldeck an der Spitze, politisch entehrt, sie sind vorläufig todt für die weitere Entwicklung unserer Revolution, gerichtet durch die Verachtung der Vernünftigen; man könnte ihnen verzeihen, daß sie nicht klüger sind, aber man muß ihnen vorwerfen, daß sie durch eine große Zeit nicht besser geworden sind. Ein zweiter Vorwurf, der die Berliner Versammlung trifft, ist der, daß in ihr das gesammte demokratische Leben der Nation als eine Lüge, als niederträch¬ tige Farce erschien. Es ist bei keiner Deputirteuversammlung möglich, die jedes¬ malige wechselnde Meinung der Majorität des Volkes zur Geltung zu bringen, sie soll aber stets deu Zweck habe», die Ueberzeugungen der verständigen Männer, welche das Vertrauen des Landes haben, in Gesetze zu verwandeln. Wie stand es mit den Majoritäten in der Constituante, wo außer Michael Mroß noch un- gefähr 20 saßen, die ihre Stimmen nicht verkauften, sondern verschenkten an die erste beste gute Lunge, oder um einen biedern Schlag ans die Schulter, und etwa 100 andere, die von Constitution nicht mehr wußten, als daß sie selbst eine gute hätten. Die Unverschämtheit, mit welcher bei den Abstimmungen diese Stimmen geworben worden, war nur übertroffen durch die dumme Pfiffigkeit derer, welche sich werben ließen. Das ist ein kläglicher Zustand. Und wenn eine solche Versammlung aus Antipathie gegen die Minister und aus Mangel an festen politischen Ansichten einen Beschluß fassen kann, wie über das Großherzogthum Posen, wenn die In¬ triguen einer ehrgeizigen Partei so weit reichen, daß sie deutsches Recht und deutsche Interessen verrathen, die vernünftigen Resultate des Frühjahrkampfts in Posen, welche durch preußisches Blut gewonnen sind, vernichten können, aus Par- teieigensinn, ans verletzter Eitelkeit, und wenn die Majorität seiner Kammer bei einer solchen Partei steht, und wenn das preußische Volt zu einem solchen Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/298>, abgerufen am 22.07.2024.