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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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rath an deutscher Sache stillschweigt, so ist das ein sehr kläglicher Zustand, so
demüthigend und peinlich, daß die Verachtung, mit welcher die Frankfurter Natio¬
nalversammlung über diesen Beschluß hinwegging , kaum noch ein trauriges Lächeln
hervorrufen kann.

So, Michel Mroß, würde Einer sprechen, der über diese schlechte Wirthschaft
ernsthaft böse werden könnte. Zwischen mir und Dir paßt das nicht, laß uns
die Sachen etwas gemüthlicher betrachten. Wenn wir vor der Berliner Versamm¬
lung große Verehrung empfinden, so wird diese womöglich noch übertroffen dnrch
die Hochachtung, welche wir gegen die energischen Maßregeln des Hofes hegen.
Mroß, wie war es für den Hof möglich, so ungeschickt zu sein! Seit einem hal¬
ben Jahre arbeitete die Versammlung gemeinsam mit uns und anderen Freunden
der Freiheit dahin, sich zu vernichten. Recht emsig, gleichsam wüthend hat sie
dahin gearbeitet, die Achtung vor sich zu untergraben. Noch vier Wochen Frist
und sie hatte sich in der öffentlichen Meinung total todtgeschlagen, und wir
beide, Ihr und ich hätten uns gegenseitig mit den Rockärmeln die Thränen abge¬
trocknet. Hätte sie nichts anderes ruinirt, der Conflict mit Frankfurt hätte dazu
geholfen, und ächt demokratisch und parlamentarisch wäre die Sache abgegangen,
ohne Trommeln, Bajonette und ähnlichen Theaterplunder. In vier Wochen war
ein Ministerium NodbertnS - Berg abgenutzt, verbraucht, überwunden, freilich hätte
am Ende dieser Zeit Rodbertus wahrscheinlich vom Berliner Volk die Ohrfeigen
erhalten, die er jetzt als Ministercaudidat auszutheilen den Vorzug hatte. Jeden¬
falls konnte dann der König sagen: ich habe Alles versucht, aber mein Volk sieht,
es ist mit ihnen nicht zu regieren, sie sind leider zu dumm; und das Volk hätte
dann unbedenklich seinen Weihnachtsstolleu gegessen und sich zu neuen Wahlen an¬
geschickt. Statt dessen setzt man 239--50 strahlende Märtyrerkronen ans 230--50
wunderbare Köpfe und versperrt sich dnrch diese heilige Gruppe alle Zukunft.
Bis jetzt hat die Versammlung allein der Vorwurf getroffen, daß sie durch ihre
langweiligen Reden den Styl des preußischen Volks verderbe, und jetzt bewirkt
die Krone dnrch ihren kurzweiligen Belagerungszustand dasselbe. Sie bringt die
guten Berliner und andere Landestheile zu Mitgefühl, Hitze, Einseitigkeit, empört
die Tagesstimmnng gegen sich und verlängert unseren lästigen Durchgang zu einem
freien gesetzlich geschützten Leben wenigstens um ein Vierteljahr. War das zu
glauben? Seht, Michael, das ging so zu. Als die Nationalversammlung hin
und hertanmelte, wie ein stark betrunkener Mann und duftiges Zeug machte, ver¬
lor man auch in Potsdam die Ruhe und den Kopf und der König rang die
Hände und sprach zu seinen Getreuen: Es ist unmöglich, mit ihnen zu regieren
(da hatte er Recht) und ihr müßt mich von ihnen befreien (da hatte er, wie ge¬
sagt, Unrecht, die Versammlung selbst mußte das Land von sich befreien, er durste
nnr leise nachhelfen). Darauf schüttelten Mehrere die Köpfe, auch der alte Pfuel
und der König sprach traurig: Pfuel, auch Du? und wandte sich zu Wrangel


rath an deutscher Sache stillschweigt, so ist das ein sehr kläglicher Zustand, so
demüthigend und peinlich, daß die Verachtung, mit welcher die Frankfurter Natio¬
nalversammlung über diesen Beschluß hinwegging , kaum noch ein trauriges Lächeln
hervorrufen kann.

So, Michel Mroß, würde Einer sprechen, der über diese schlechte Wirthschaft
ernsthaft böse werden könnte. Zwischen mir und Dir paßt das nicht, laß uns
die Sachen etwas gemüthlicher betrachten. Wenn wir vor der Berliner Versamm¬
lung große Verehrung empfinden, so wird diese womöglich noch übertroffen dnrch
die Hochachtung, welche wir gegen die energischen Maßregeln des Hofes hegen.
Mroß, wie war es für den Hof möglich, so ungeschickt zu sein! Seit einem hal¬
ben Jahre arbeitete die Versammlung gemeinsam mit uns und anderen Freunden
der Freiheit dahin, sich zu vernichten. Recht emsig, gleichsam wüthend hat sie
dahin gearbeitet, die Achtung vor sich zu untergraben. Noch vier Wochen Frist
und sie hatte sich in der öffentlichen Meinung total todtgeschlagen, und wir
beide, Ihr und ich hätten uns gegenseitig mit den Rockärmeln die Thränen abge¬
trocknet. Hätte sie nichts anderes ruinirt, der Conflict mit Frankfurt hätte dazu
geholfen, und ächt demokratisch und parlamentarisch wäre die Sache abgegangen,
ohne Trommeln, Bajonette und ähnlichen Theaterplunder. In vier Wochen war
ein Ministerium NodbertnS - Berg abgenutzt, verbraucht, überwunden, freilich hätte
am Ende dieser Zeit Rodbertus wahrscheinlich vom Berliner Volk die Ohrfeigen
erhalten, die er jetzt als Ministercaudidat auszutheilen den Vorzug hatte. Jeden¬
falls konnte dann der König sagen: ich habe Alles versucht, aber mein Volk sieht,
es ist mit ihnen nicht zu regieren, sie sind leider zu dumm; und das Volk hätte
dann unbedenklich seinen Weihnachtsstolleu gegessen und sich zu neuen Wahlen an¬
geschickt. Statt dessen setzt man 239—50 strahlende Märtyrerkronen ans 230—50
wunderbare Köpfe und versperrt sich dnrch diese heilige Gruppe alle Zukunft.
Bis jetzt hat die Versammlung allein der Vorwurf getroffen, daß sie durch ihre
langweiligen Reden den Styl des preußischen Volks verderbe, und jetzt bewirkt
die Krone dnrch ihren kurzweiligen Belagerungszustand dasselbe. Sie bringt die
guten Berliner und andere Landestheile zu Mitgefühl, Hitze, Einseitigkeit, empört
die Tagesstimmnng gegen sich und verlängert unseren lästigen Durchgang zu einem
freien gesetzlich geschützten Leben wenigstens um ein Vierteljahr. War das zu
glauben? Seht, Michael, das ging so zu. Als die Nationalversammlung hin
und hertanmelte, wie ein stark betrunkener Mann und duftiges Zeug machte, ver¬
lor man auch in Potsdam die Ruhe und den Kopf und der König rang die
Hände und sprach zu seinen Getreuen: Es ist unmöglich, mit ihnen zu regieren
(da hatte er Recht) und ihr müßt mich von ihnen befreien (da hatte er, wie ge¬
sagt, Unrecht, die Versammlung selbst mußte das Land von sich befreien, er durste
nnr leise nachhelfen). Darauf schüttelten Mehrere die Köpfe, auch der alte Pfuel
und der König sprach traurig: Pfuel, auch Du? und wandte sich zu Wrangel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/299>, abgerufen am 22.07.2024.