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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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je länger sich die Gesellschaft zusammenlebte, je mehr die Parteien sich organisirtett,
desto schlechter wurde der Eindruck ihrer Verhandlungen, desto geringer die Ach¬
tung vor dem gegenseitigen Talent und der politischen Einsicht, desto frivoler,
gemeiner die Physiognomie der Reden und Debatten. Woher kam das? Weil
selbst die begabten, verständigen Männer der Versammlung sich gedrückt und ent-
muthigt fühlten durch die Rohheit, Spießbürgerlichkeit und Beschränktheit ihrer
Umgebung, es fehlte das schnelle Verständniß des Ungewöhnlichen, die fühlbare
Aufmerksamkeit, welche unter Gebildeten auch dem Gegner Schwung und Feuer
gibt; die Freude der Klugen über das Gute und Schöne, selbst wenn es von den
Lippen eines Feindes kommt, vor Allem aber in den Parteien selbst kräftige Hal-
tung und männliche Zuversicht; an ihrer Statt überall Breite, Heftigkeit, freches
Wiederkäuen von Zeituugsphrasen, im besten Fall naive Rohheit; Piper und
Dierschkc stachen zuletzt noch vortheilhaft ab gegen Baumstark und Berg, die Pe¬
danten und geistreichen Faiseurs. Diese widerwärtige Atmosphäre der Versammlung
lag centnerschwer auf den Besseren und manches Talent der früheren Landtage,
das man wegwerfend mit "verbraucht" abfertigte, weil es den früheren Eindruck,
und Effekt nicht machte, war sicher nnr befangen und verstimmt und gedrückt durch
die schlechte Luft in der es athmen mußte. Noch mehr die guten Kräfte dieses
Sommers, z. B. die Beamten, welche ihre erste parlamentarische Schule in die¬
ser Versammlung durchmachten; im Anfang ironisch und reflektircnd über dem
Treiben, wurden sie in das Gewirr der Parteien hineingezogen, durch die seichte
Politik der Parteien bestimmt, es wurde ihnen leicht durch juridische und admi¬
nistrative Kenntnisse Einfluß und Bedeutung zu gewinnen, ihre Eitelkeit bestach
sie, ihr Ehrgeiz wurde wach; stand doch nur ein unpopuläres Ministerium zwi¬
schen ihnen und der höchsten Beamtensehnsucht, dem Portefeuille; sie erhielten auch
für Oberflächliches, Ungründliches leicht und billig Beifall, sie versäumten also
sich gründlich ans ihre Reden vorzubereiten, Lücken im Wissen auszufüllen, sich
mangelnde Detailkenutuiß durch schnelle Studien zu erwerben und so kam es, daß
auch verständige, tüchtige Männer durch die parlamentarische Thätigkeit dieses
Sommers uicht gefördet wurden, sondern in Zänkereien und schwächlicher Oppo¬
sition verkümmerten. -- Und das preußische Volk? Seit einem halben Jahr waren
die Berichte und Verhandlungen der Nationalversammlung ein Haupttheil seiner
Lektüre. Jeder weiß, wie das anhaltende Lesen unbedeutender und schlechter Bü'
cher auch den Gescheutesten zurückbringt, die Nation hat dasselbe Schicksal gehabt.
Erinnert Euch an Eure Besuche der Wirthshäuser, der politischen Clubs; jeden
Kreuz- und Quersprung der Constituante hat das Volk mitgemacht, jede einfältige
Redensart, jede politische Kannegießerei ist von der ganzen ungeheuren Masse der
Empfänglichen mitgemacht worden, um so lieber, da Ton und Wortschwall der
Verhandlungen dem Volk so sehr verständlich waren. Preuße" hatte bis zu die¬
sem Sommer das Lob, der Staat zu sein, wo die Volksaufklärung am weitesten


je länger sich die Gesellschaft zusammenlebte, je mehr die Parteien sich organisirtett,
desto schlechter wurde der Eindruck ihrer Verhandlungen, desto geringer die Ach¬
tung vor dem gegenseitigen Talent und der politischen Einsicht, desto frivoler,
gemeiner die Physiognomie der Reden und Debatten. Woher kam das? Weil
selbst die begabten, verständigen Männer der Versammlung sich gedrückt und ent-
muthigt fühlten durch die Rohheit, Spießbürgerlichkeit und Beschränktheit ihrer
Umgebung, es fehlte das schnelle Verständniß des Ungewöhnlichen, die fühlbare
Aufmerksamkeit, welche unter Gebildeten auch dem Gegner Schwung und Feuer
gibt; die Freude der Klugen über das Gute und Schöne, selbst wenn es von den
Lippen eines Feindes kommt, vor Allem aber in den Parteien selbst kräftige Hal-
tung und männliche Zuversicht; an ihrer Statt überall Breite, Heftigkeit, freches
Wiederkäuen von Zeituugsphrasen, im besten Fall naive Rohheit; Piper und
Dierschkc stachen zuletzt noch vortheilhaft ab gegen Baumstark und Berg, die Pe¬
danten und geistreichen Faiseurs. Diese widerwärtige Atmosphäre der Versammlung
lag centnerschwer auf den Besseren und manches Talent der früheren Landtage,
das man wegwerfend mit „verbraucht" abfertigte, weil es den früheren Eindruck,
und Effekt nicht machte, war sicher nnr befangen und verstimmt und gedrückt durch
die schlechte Luft in der es athmen mußte. Noch mehr die guten Kräfte dieses
Sommers, z. B. die Beamten, welche ihre erste parlamentarische Schule in die¬
ser Versammlung durchmachten; im Anfang ironisch und reflektircnd über dem
Treiben, wurden sie in das Gewirr der Parteien hineingezogen, durch die seichte
Politik der Parteien bestimmt, es wurde ihnen leicht durch juridische und admi¬
nistrative Kenntnisse Einfluß und Bedeutung zu gewinnen, ihre Eitelkeit bestach
sie, ihr Ehrgeiz wurde wach; stand doch nur ein unpopuläres Ministerium zwi¬
schen ihnen und der höchsten Beamtensehnsucht, dem Portefeuille; sie erhielten auch
für Oberflächliches, Ungründliches leicht und billig Beifall, sie versäumten also
sich gründlich ans ihre Reden vorzubereiten, Lücken im Wissen auszufüllen, sich
mangelnde Detailkenutuiß durch schnelle Studien zu erwerben und so kam es, daß
auch verständige, tüchtige Männer durch die parlamentarische Thätigkeit dieses
Sommers uicht gefördet wurden, sondern in Zänkereien und schwächlicher Oppo¬
sition verkümmerten. — Und das preußische Volk? Seit einem halben Jahr waren
die Berichte und Verhandlungen der Nationalversammlung ein Haupttheil seiner
Lektüre. Jeder weiß, wie das anhaltende Lesen unbedeutender und schlechter Bü'
cher auch den Gescheutesten zurückbringt, die Nation hat dasselbe Schicksal gehabt.
Erinnert Euch an Eure Besuche der Wirthshäuser, der politischen Clubs; jeden
Kreuz- und Quersprung der Constituante hat das Volk mitgemacht, jede einfältige
Redensart, jede politische Kannegießerei ist von der ganzen ungeheuren Masse der
Empfänglichen mitgemacht worden, um so lieber, da Ton und Wortschwall der
Verhandlungen dem Volk so sehr verständlich waren. Preuße» hatte bis zu die¬
sem Sommer das Lob, der Staat zu sein, wo die Volksaufklärung am weitesten


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[0297] je länger sich die Gesellschaft zusammenlebte, je mehr die Parteien sich organisirtett, desto schlechter wurde der Eindruck ihrer Verhandlungen, desto geringer die Ach¬ tung vor dem gegenseitigen Talent und der politischen Einsicht, desto frivoler, gemeiner die Physiognomie der Reden und Debatten. Woher kam das? Weil selbst die begabten, verständigen Männer der Versammlung sich gedrückt und ent- muthigt fühlten durch die Rohheit, Spießbürgerlichkeit und Beschränktheit ihrer Umgebung, es fehlte das schnelle Verständniß des Ungewöhnlichen, die fühlbare Aufmerksamkeit, welche unter Gebildeten auch dem Gegner Schwung und Feuer gibt; die Freude der Klugen über das Gute und Schöne, selbst wenn es von den Lippen eines Feindes kommt, vor Allem aber in den Parteien selbst kräftige Hal- tung und männliche Zuversicht; an ihrer Statt überall Breite, Heftigkeit, freches Wiederkäuen von Zeituugsphrasen, im besten Fall naive Rohheit; Piper und Dierschkc stachen zuletzt noch vortheilhaft ab gegen Baumstark und Berg, die Pe¬ danten und geistreichen Faiseurs. Diese widerwärtige Atmosphäre der Versammlung lag centnerschwer auf den Besseren und manches Talent der früheren Landtage, das man wegwerfend mit „verbraucht" abfertigte, weil es den früheren Eindruck, und Effekt nicht machte, war sicher nnr befangen und verstimmt und gedrückt durch die schlechte Luft in der es athmen mußte. Noch mehr die guten Kräfte dieses Sommers, z. B. die Beamten, welche ihre erste parlamentarische Schule in die¬ ser Versammlung durchmachten; im Anfang ironisch und reflektircnd über dem Treiben, wurden sie in das Gewirr der Parteien hineingezogen, durch die seichte Politik der Parteien bestimmt, es wurde ihnen leicht durch juridische und admi¬ nistrative Kenntnisse Einfluß und Bedeutung zu gewinnen, ihre Eitelkeit bestach sie, ihr Ehrgeiz wurde wach; stand doch nur ein unpopuläres Ministerium zwi¬ schen ihnen und der höchsten Beamtensehnsucht, dem Portefeuille; sie erhielten auch für Oberflächliches, Ungründliches leicht und billig Beifall, sie versäumten also sich gründlich ans ihre Reden vorzubereiten, Lücken im Wissen auszufüllen, sich mangelnde Detailkenutuiß durch schnelle Studien zu erwerben und so kam es, daß auch verständige, tüchtige Männer durch die parlamentarische Thätigkeit dieses Sommers uicht gefördet wurden, sondern in Zänkereien und schwächlicher Oppo¬ sition verkümmerten. — Und das preußische Volk? Seit einem halben Jahr waren die Berichte und Verhandlungen der Nationalversammlung ein Haupttheil seiner Lektüre. Jeder weiß, wie das anhaltende Lesen unbedeutender und schlechter Bü' cher auch den Gescheutesten zurückbringt, die Nation hat dasselbe Schicksal gehabt. Erinnert Euch an Eure Besuche der Wirthshäuser, der politischen Clubs; jeden Kreuz- und Quersprung der Constituante hat das Volk mitgemacht, jede einfältige Redensart, jede politische Kannegießerei ist von der ganzen ungeheuren Masse der Empfänglichen mitgemacht worden, um so lieber, da Ton und Wortschwall der Verhandlungen dem Volk so sehr verständlich waren. Preuße» hatte bis zu die¬ sem Sommer das Lob, der Staat zu sein, wo die Volksaufklärung am weitesten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/297>, abgerufen am 22.07.2024.