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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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aber wir haben andere Geschichten von kleinen Ursachen und großen Wirkungen,
z. B. wo ein Glas Wasser, das eine Frau der andern aufs Kleid gießt, über
das Schicksal eines Landes entscheidet, oder wo ein König sich entschließt Krieg
zu führen, weil er durch Verstopfung melancholisch geworden ist; aber alle diese
Geschichten sind aus der Zeit, wo das Leben und Gedeihen der Volker noch
von der Willkür, den Launen Einzelner 'abhing. Das fortan unmöglich zu
machen, haben wir ja eben in diesem Frühjahr die Revolution gemacht; --
es ist uns beim Teufel schlecht genug bekomme"; die Willkür der Krone regiert
nicht mehr unser Schicksal, sondern der Hintere von Michael Mroß und Consorten.
Das war ein schöner Tausch mein Junge! -- Uebrigens hoffe ich, daß du nicht
ohne gute Gründe aufgestanden bist. Daß Dir Phillips ein Glas Kümmel, oder
die polnischen Herren einen Thaler versprochen haben, glaube ich nicht; wcchrschcin-
lich hattest Du gerade Deinen freundlichen gutherzigen Tag, wo Du grundsätzlich
noch auf jede Fragestellung mit Ja stimmtest; jedenfalls genügte es, daß man
Dir einen Schlag auf den Rücken gab und zurief: stoi! oder Hot! oder eine ähn¬
liche Ermunterung.

Aber der Ton in dem ich zu Euch rede, Michel Mroß, unsre Leser fin¬
den ihn frivol. Es gibt aber gewisse Dinge, welche man mit Humor abfertigen
muß, weil der Ernst zu gräulich wäre. Wollte man sich aber überwinden ernst¬
haft darüber zu sprechen, die Leute würden es für Spaß halten. Der Euch dies
schreibt, was Ihr nicht lesen und nicht verstehen könnt, Ihr Hanswurst, ist ein
geborner Preuße und seit sechs Monaten ist seine Seele durch die quälenden Em¬
pfindungen der Demüthigung und der Schaam über das erbärmliche politische
Treiben in seinem Vaterlande so gefüllt, daß der lang unterdrückte Schmerz sich
nicht meh? in die Maske der Ironie zu verbergen vermag. Seit sechs Monaten,
seit die Constituante ihre Sitzungen begann, haben die Preußen eine Schmach
erfahren, die in ihrer Geschichte unerhört ist. Die Nationalversammlung hat
zuerst ihre Mitglieder, dann das preußische Volk bornirt. Den Beweis findet
man in den stenographischen Berichten jeder einzelnen Sitzung. Ist eine Rede
darunter, welche ruhig gelesen, über der Mittelmäßigkeit steht? ist irgendwo ein
großer Blick, staatsmännische Weisheit, logische Schärfe, auch nur gewandte Dia¬
lektik zu bewundern? Ist uicht das beste, was in ihr gesprochen, so mittelmäßig,
daß der Maßstab für gut und schlecht verloren gehen mußte? Und das Gewöhn¬
liche in ihr, ist es nicht erbärmlich gewesen. Erbärmlich die Interpellationen,
die Intriguen der Parteien, der ewige Hader um die Geschäftsordnung! Wer
das Urtheil für übertrieben hält, der vergleiche die Berliner Sitzungen mit denen
in Frankfurt, wo dasselbe Thema verhandelt wurde, oder er vergleiche sie selbst
mit den entsprechenden des vereinigten Landtags. Es ist ein Unterschied wie zwi¬
schen einem Satyr und Apoll. Jede politische Versammlung hat wüste inhaltleere
Tage, auch die Frankfurter hat deren mehrere, in Berlin waren sie Regel und


aber wir haben andere Geschichten von kleinen Ursachen und großen Wirkungen,
z. B. wo ein Glas Wasser, das eine Frau der andern aufs Kleid gießt, über
das Schicksal eines Landes entscheidet, oder wo ein König sich entschließt Krieg
zu führen, weil er durch Verstopfung melancholisch geworden ist; aber alle diese
Geschichten sind aus der Zeit, wo das Leben und Gedeihen der Volker noch
von der Willkür, den Launen Einzelner 'abhing. Das fortan unmöglich zu
machen, haben wir ja eben in diesem Frühjahr die Revolution gemacht; —
es ist uns beim Teufel schlecht genug bekomme»; die Willkür der Krone regiert
nicht mehr unser Schicksal, sondern der Hintere von Michael Mroß und Consorten.
Das war ein schöner Tausch mein Junge! — Uebrigens hoffe ich, daß du nicht
ohne gute Gründe aufgestanden bist. Daß Dir Phillips ein Glas Kümmel, oder
die polnischen Herren einen Thaler versprochen haben, glaube ich nicht; wcchrschcin-
lich hattest Du gerade Deinen freundlichen gutherzigen Tag, wo Du grundsätzlich
noch auf jede Fragestellung mit Ja stimmtest; jedenfalls genügte es, daß man
Dir einen Schlag auf den Rücken gab und zurief: stoi! oder Hot! oder eine ähn¬
liche Ermunterung.

Aber der Ton in dem ich zu Euch rede, Michel Mroß, unsre Leser fin¬
den ihn frivol. Es gibt aber gewisse Dinge, welche man mit Humor abfertigen
muß, weil der Ernst zu gräulich wäre. Wollte man sich aber überwinden ernst¬
haft darüber zu sprechen, die Leute würden es für Spaß halten. Der Euch dies
schreibt, was Ihr nicht lesen und nicht verstehen könnt, Ihr Hanswurst, ist ein
geborner Preuße und seit sechs Monaten ist seine Seele durch die quälenden Em¬
pfindungen der Demüthigung und der Schaam über das erbärmliche politische
Treiben in seinem Vaterlande so gefüllt, daß der lang unterdrückte Schmerz sich
nicht meh? in die Maske der Ironie zu verbergen vermag. Seit sechs Monaten,
seit die Constituante ihre Sitzungen begann, haben die Preußen eine Schmach
erfahren, die in ihrer Geschichte unerhört ist. Die Nationalversammlung hat
zuerst ihre Mitglieder, dann das preußische Volk bornirt. Den Beweis findet
man in den stenographischen Berichten jeder einzelnen Sitzung. Ist eine Rede
darunter, welche ruhig gelesen, über der Mittelmäßigkeit steht? ist irgendwo ein
großer Blick, staatsmännische Weisheit, logische Schärfe, auch nur gewandte Dia¬
lektik zu bewundern? Ist uicht das beste, was in ihr gesprochen, so mittelmäßig,
daß der Maßstab für gut und schlecht verloren gehen mußte? Und das Gewöhn¬
liche in ihr, ist es nicht erbärmlich gewesen. Erbärmlich die Interpellationen,
die Intriguen der Parteien, der ewige Hader um die Geschäftsordnung! Wer
das Urtheil für übertrieben hält, der vergleiche die Berliner Sitzungen mit denen
in Frankfurt, wo dasselbe Thema verhandelt wurde, oder er vergleiche sie selbst
mit den entsprechenden des vereinigten Landtags. Es ist ein Unterschied wie zwi¬
schen einem Satyr und Apoll. Jede politische Versammlung hat wüste inhaltleere
Tage, auch die Frankfurter hat deren mehrere, in Berlin waren sie Regel und


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[0296] aber wir haben andere Geschichten von kleinen Ursachen und großen Wirkungen, z. B. wo ein Glas Wasser, das eine Frau der andern aufs Kleid gießt, über das Schicksal eines Landes entscheidet, oder wo ein König sich entschließt Krieg zu führen, weil er durch Verstopfung melancholisch geworden ist; aber alle diese Geschichten sind aus der Zeit, wo das Leben und Gedeihen der Volker noch von der Willkür, den Launen Einzelner 'abhing. Das fortan unmöglich zu machen, haben wir ja eben in diesem Frühjahr die Revolution gemacht; — es ist uns beim Teufel schlecht genug bekomme»; die Willkür der Krone regiert nicht mehr unser Schicksal, sondern der Hintere von Michael Mroß und Consorten. Das war ein schöner Tausch mein Junge! — Uebrigens hoffe ich, daß du nicht ohne gute Gründe aufgestanden bist. Daß Dir Phillips ein Glas Kümmel, oder die polnischen Herren einen Thaler versprochen haben, glaube ich nicht; wcchrschcin- lich hattest Du gerade Deinen freundlichen gutherzigen Tag, wo Du grundsätzlich noch auf jede Fragestellung mit Ja stimmtest; jedenfalls genügte es, daß man Dir einen Schlag auf den Rücken gab und zurief: stoi! oder Hot! oder eine ähn¬ liche Ermunterung. Aber der Ton in dem ich zu Euch rede, Michel Mroß, unsre Leser fin¬ den ihn frivol. Es gibt aber gewisse Dinge, welche man mit Humor abfertigen muß, weil der Ernst zu gräulich wäre. Wollte man sich aber überwinden ernst¬ haft darüber zu sprechen, die Leute würden es für Spaß halten. Der Euch dies schreibt, was Ihr nicht lesen und nicht verstehen könnt, Ihr Hanswurst, ist ein geborner Preuße und seit sechs Monaten ist seine Seele durch die quälenden Em¬ pfindungen der Demüthigung und der Schaam über das erbärmliche politische Treiben in seinem Vaterlande so gefüllt, daß der lang unterdrückte Schmerz sich nicht meh? in die Maske der Ironie zu verbergen vermag. Seit sechs Monaten, seit die Constituante ihre Sitzungen begann, haben die Preußen eine Schmach erfahren, die in ihrer Geschichte unerhört ist. Die Nationalversammlung hat zuerst ihre Mitglieder, dann das preußische Volk bornirt. Den Beweis findet man in den stenographischen Berichten jeder einzelnen Sitzung. Ist eine Rede darunter, welche ruhig gelesen, über der Mittelmäßigkeit steht? ist irgendwo ein großer Blick, staatsmännische Weisheit, logische Schärfe, auch nur gewandte Dia¬ lektik zu bewundern? Ist uicht das beste, was in ihr gesprochen, so mittelmäßig, daß der Maßstab für gut und schlecht verloren gehen mußte? Und das Gewöhn¬ liche in ihr, ist es nicht erbärmlich gewesen. Erbärmlich die Interpellationen, die Intriguen der Parteien, der ewige Hader um die Geschäftsordnung! Wer das Urtheil für übertrieben hält, der vergleiche die Berliner Sitzungen mit denen in Frankfurt, wo dasselbe Thema verhandelt wurde, oder er vergleiche sie selbst mit den entsprechenden des vereinigten Landtags. Es ist ein Unterschied wie zwi¬ schen einem Satyr und Apoll. Jede politische Versammlung hat wüste inhaltleere Tage, auch die Frankfurter hat deren mehrere, in Berlin waren sie Regel und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/296>, abgerufen am 22.07.2024.