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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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hat darüber bis jetzt nur den §. 6. "Die einzelnen deutschen Staaten behalten
ihre Selbstständigkeit, soweit dieselbe nicht durch die Reichsverfassung beschränkt
ist; sie haben alle staatlichen Hoheiten und Rechte, soweit diese nicht der Reichs¬
gewalt ausdrücklich übertragen sind" mit dem so gut wie nichts entschieden ist.
Er wäre sehr gefährlich, wenn damit der jetzige Territvrialbestand der einzelnen
Staaten in der Verfassung garantirt würde. Indeß hat der Ausschuß durch seinen
Berichterstatter Riesser die Erklärung gegeben, daß der Paragraph nur ein
Princip enthalte und von der Gestaltung der TerritonalverlMnisse unabhängig
sei. Wenn sich dieses Bedenken erledigt, so ist jedenfalls die Bestimmung uner¬
läßlich, daß die Erweiterung der Reichsgewalt jederzeit von der Reichsgewalt unter
gewissen Modalitäten beschlossen werden kann. Der schwankende Begriff des Bun¬
desstaates entscheidet diesen Punct nicht, hier ist eine positive Bestimmung nöthig.
Die Bundesverfassung kann als ein Vertrag aufgefaßt werden, dem sich die Con¬
trahenten nur unter der Voraussetzung seiner Unverändertheit zu unterwerfen haben,
so daß sie bei jeder Abänderung in das Recht des Ausscheidens zurücktreten. So
wäre zwar nicht die Ausführung der Bundesgewalt innerhalb des bestehenden Ver¬
trags, wohl aber die Entwickelung der Verfassung von dem Veto der Einzelstaaten
abhängig. Um dem zu begegnen, muß die Entscheidung über die Fortbildung der
Verfassung der alleinigen Competenz der Centralgewalt überwiesen werben, unter
ähnlichen Modalitäten, wie sie alle Verfassungen für Abänderung ihrer Grund¬
gesetze vorschreiben: langsamerer Geschäftsgang, größere Stimmeneinhelligkeit, als
bei einfachen Majoritätsbeschlüssen u. s. w. Die Einzelstaaten dürfen, wenn ihnen
im Staatenhans ein Antheil an der Reichsgewalt eingeräumt sein wird, als solche
in keinem Falle mehr ein Veto haben, auch in dem nicht, wenn die Reichsgewalt
ihre Aufhebung beschließt. Ferner muß der Grundsatz ausgesprochen werden, daß
Deutschland dem Auslande gegenüber lediglich eine Einheit bildet und daß jede
Veränderung in der Competenz der verfassungsmäßigen Gewalten lediglich eine
innere Angelegenheit ist, unabhängig von der Anerkennung der auswärtigen Staaten,
d. h. die deutschen Einzelstaaten haben keine völkerrechtliche Existenz, außerordent¬
liche Gesandtschaften der Dynastien sind Familienangelegenheiten (bei Heirathen und
Gratulationen) und nicht im Namen eines Staats zu beglaubigen.

Die Hauptquelle für die Selbstständigkeit der Einzelstaaten ist, wie schon be¬
merkt, ihre Selbstverwaltung. Diese soll nicht angetastet werden, außer auf den
Gebieten, welche die Verfassung im unumgänglichen Interesse der Einheit theils
schon jetzt dem Reiche vindicirt, theils vielleicht noch in Anspruch nehmen muß.
Es liegt in der Natur des deutschen Volkes, daß dasselbe nie einen strengen Ein¬
heitsstaat bilden wird. Eine andere Frage ist, ob die jetzige Territorialabstufung
Deutschlands zweckmäßige Abschnitte der Selbstverwaltung bildet. Dies führt auf
die Frage der Mediatisirung. Das Verlangen, die politische Organisation
Deutschlands ans die naturwüchsige Grundlage des Stammesnnterschiedes, statt


hat darüber bis jetzt nur den §. 6. „Die einzelnen deutschen Staaten behalten
ihre Selbstständigkeit, soweit dieselbe nicht durch die Reichsverfassung beschränkt
ist; sie haben alle staatlichen Hoheiten und Rechte, soweit diese nicht der Reichs¬
gewalt ausdrücklich übertragen sind" mit dem so gut wie nichts entschieden ist.
Er wäre sehr gefährlich, wenn damit der jetzige Territvrialbestand der einzelnen
Staaten in der Verfassung garantirt würde. Indeß hat der Ausschuß durch seinen
Berichterstatter Riesser die Erklärung gegeben, daß der Paragraph nur ein
Princip enthalte und von der Gestaltung der TerritonalverlMnisse unabhängig
sei. Wenn sich dieses Bedenken erledigt, so ist jedenfalls die Bestimmung uner¬
läßlich, daß die Erweiterung der Reichsgewalt jederzeit von der Reichsgewalt unter
gewissen Modalitäten beschlossen werden kann. Der schwankende Begriff des Bun¬
desstaates entscheidet diesen Punct nicht, hier ist eine positive Bestimmung nöthig.
Die Bundesverfassung kann als ein Vertrag aufgefaßt werden, dem sich die Con¬
trahenten nur unter der Voraussetzung seiner Unverändertheit zu unterwerfen haben,
so daß sie bei jeder Abänderung in das Recht des Ausscheidens zurücktreten. So
wäre zwar nicht die Ausführung der Bundesgewalt innerhalb des bestehenden Ver¬
trags, wohl aber die Entwickelung der Verfassung von dem Veto der Einzelstaaten
abhängig. Um dem zu begegnen, muß die Entscheidung über die Fortbildung der
Verfassung der alleinigen Competenz der Centralgewalt überwiesen werben, unter
ähnlichen Modalitäten, wie sie alle Verfassungen für Abänderung ihrer Grund¬
gesetze vorschreiben: langsamerer Geschäftsgang, größere Stimmeneinhelligkeit, als
bei einfachen Majoritätsbeschlüssen u. s. w. Die Einzelstaaten dürfen, wenn ihnen
im Staatenhans ein Antheil an der Reichsgewalt eingeräumt sein wird, als solche
in keinem Falle mehr ein Veto haben, auch in dem nicht, wenn die Reichsgewalt
ihre Aufhebung beschließt. Ferner muß der Grundsatz ausgesprochen werden, daß
Deutschland dem Auslande gegenüber lediglich eine Einheit bildet und daß jede
Veränderung in der Competenz der verfassungsmäßigen Gewalten lediglich eine
innere Angelegenheit ist, unabhängig von der Anerkennung der auswärtigen Staaten,
d. h. die deutschen Einzelstaaten haben keine völkerrechtliche Existenz, außerordent¬
liche Gesandtschaften der Dynastien sind Familienangelegenheiten (bei Heirathen und
Gratulationen) und nicht im Namen eines Staats zu beglaubigen.

Die Hauptquelle für die Selbstständigkeit der Einzelstaaten ist, wie schon be¬
merkt, ihre Selbstverwaltung. Diese soll nicht angetastet werden, außer auf den
Gebieten, welche die Verfassung im unumgänglichen Interesse der Einheit theils
schon jetzt dem Reiche vindicirt, theils vielleicht noch in Anspruch nehmen muß.
Es liegt in der Natur des deutschen Volkes, daß dasselbe nie einen strengen Ein¬
heitsstaat bilden wird. Eine andere Frage ist, ob die jetzige Territorialabstufung
Deutschlands zweckmäßige Abschnitte der Selbstverwaltung bildet. Dies führt auf
die Frage der Mediatisirung. Das Verlangen, die politische Organisation
Deutschlands ans die naturwüchsige Grundlage des Stammesnnterschiedes, statt


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[0291] hat darüber bis jetzt nur den §. 6. „Die einzelnen deutschen Staaten behalten ihre Selbstständigkeit, soweit dieselbe nicht durch die Reichsverfassung beschränkt ist; sie haben alle staatlichen Hoheiten und Rechte, soweit diese nicht der Reichs¬ gewalt ausdrücklich übertragen sind" mit dem so gut wie nichts entschieden ist. Er wäre sehr gefährlich, wenn damit der jetzige Territvrialbestand der einzelnen Staaten in der Verfassung garantirt würde. Indeß hat der Ausschuß durch seinen Berichterstatter Riesser die Erklärung gegeben, daß der Paragraph nur ein Princip enthalte und von der Gestaltung der TerritonalverlMnisse unabhängig sei. Wenn sich dieses Bedenken erledigt, so ist jedenfalls die Bestimmung uner¬ läßlich, daß die Erweiterung der Reichsgewalt jederzeit von der Reichsgewalt unter gewissen Modalitäten beschlossen werden kann. Der schwankende Begriff des Bun¬ desstaates entscheidet diesen Punct nicht, hier ist eine positive Bestimmung nöthig. Die Bundesverfassung kann als ein Vertrag aufgefaßt werden, dem sich die Con¬ trahenten nur unter der Voraussetzung seiner Unverändertheit zu unterwerfen haben, so daß sie bei jeder Abänderung in das Recht des Ausscheidens zurücktreten. So wäre zwar nicht die Ausführung der Bundesgewalt innerhalb des bestehenden Ver¬ trags, wohl aber die Entwickelung der Verfassung von dem Veto der Einzelstaaten abhängig. Um dem zu begegnen, muß die Entscheidung über die Fortbildung der Verfassung der alleinigen Competenz der Centralgewalt überwiesen werben, unter ähnlichen Modalitäten, wie sie alle Verfassungen für Abänderung ihrer Grund¬ gesetze vorschreiben: langsamerer Geschäftsgang, größere Stimmeneinhelligkeit, als bei einfachen Majoritätsbeschlüssen u. s. w. Die Einzelstaaten dürfen, wenn ihnen im Staatenhans ein Antheil an der Reichsgewalt eingeräumt sein wird, als solche in keinem Falle mehr ein Veto haben, auch in dem nicht, wenn die Reichsgewalt ihre Aufhebung beschließt. Ferner muß der Grundsatz ausgesprochen werden, daß Deutschland dem Auslande gegenüber lediglich eine Einheit bildet und daß jede Veränderung in der Competenz der verfassungsmäßigen Gewalten lediglich eine innere Angelegenheit ist, unabhängig von der Anerkennung der auswärtigen Staaten, d. h. die deutschen Einzelstaaten haben keine völkerrechtliche Existenz, außerordent¬ liche Gesandtschaften der Dynastien sind Familienangelegenheiten (bei Heirathen und Gratulationen) und nicht im Namen eines Staats zu beglaubigen. Die Hauptquelle für die Selbstständigkeit der Einzelstaaten ist, wie schon be¬ merkt, ihre Selbstverwaltung. Diese soll nicht angetastet werden, außer auf den Gebieten, welche die Verfassung im unumgänglichen Interesse der Einheit theils schon jetzt dem Reiche vindicirt, theils vielleicht noch in Anspruch nehmen muß. Es liegt in der Natur des deutschen Volkes, daß dasselbe nie einen strengen Ein¬ heitsstaat bilden wird. Eine andere Frage ist, ob die jetzige Territorialabstufung Deutschlands zweckmäßige Abschnitte der Selbstverwaltung bildet. Dies führt auf die Frage der Mediatisirung. Das Verlangen, die politische Organisation Deutschlands ans die naturwüchsige Grundlage des Stammesnnterschiedes, statt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/291>, abgerufen am 22.07.2024.