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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Quell ewiger Unklarheit und Kollisionen. Der Umfang der Reichsgesetzgebung
läßt sich nur empirisch nach der Zweckmäßigkeit in jedem einzelnen Fall bestimmen.
Solche empirische Entscheidungen müssen aber der Legislative, nicht der Reichs¬
gewalt überlassen werden. Das Reichsgericht muß als solches nach einem Princip
entscheiden und es kommt in die schiefste Stellung, wenn sich zeigt, daß es ein
solches nicht giebt.

Mittermaier, der Berichterstatter des Verfassungsausschusses, will das
Reichsgericht in einen politischen Areopag verwandeln, in Geschworne, die nicht
nach principiellen Bestimmungen, sondern nach bestem Wissen und Gewissen ent¬
scheiden. Aber wozu diesen Umweg, warum diese Befugniß der Legislative entzie¬
hen, der sie am natürlichsten zukommt? Es ist lächerlich, von einer Entwickelung
der Reichsgesetzgebung erst durch das Reichsgericht zu sprechen.

Die Bestimmungen wären auch hier als Umkehr von denen des Verfassungs-
ausschusses zu fassen. Der Berfassuugsausschuß stellt die gesetzgebende Kompetenz
der Einzelstaaten als die Regel hin, die Kompetenz des Reichs als die Ausnahme.
Es wäre umgekehrt die ganze Gesetzgebung der Competenz des Reichs zu über¬
weisen und die Ausnahmen zu Gunsten der Einzelstaaten positiv auszusprechen.
Diese Ausnahmen dürfen nur so weit gehen, als es nöthig, damit die Selbstver¬
waltung der Einzelstaaten eine Totalität bildet. Die Aufgabe der Provinzial-
kammern wird demnach lediglich sein: 1) Die Controle der einheimischen Ver¬
waltung. 2) Die Votirung des einheimischen Budgets. 3) Die Feststellung der
^Modalität, nach welcher Neichslasten aufgebracht werden, wo diese vom Reich den
Einzelstaaten überlassen ist. 4) Die specialisirende Anwendung und Vervollständi¬
gung solcher Gesetze, bei welchen sich die Reichsgesetzgebung ausdrücklich auf die
principiellen Grundzüge beschränkt hat. 5) Die Wahrnehmung des Provinzial-
interesses durch Petitionen an die Reichsgewalt, in sofern die Petitionen der Kam¬
mern mehr als andere berücksichtigt werden müßten.

Diese Aufgabe eröffnet den Einzelkammern ein so hinlängliches Feld frucht¬
barer Thätigkeit, daß selbst die preußische Kammer sich daran vollkommen genügen
lassen kann. Eine Körperschaft für Specialgesetzgebung, die einer so wichtigen und
ausgedehnten Verwaltung, wie der preußischen, zur Seite steht, würde natur¬
gemäß die beste Vorschule von Staatsmännern für alle Zweige des Neichsdienstes,
des parlamentarischen wie des exe-cutiven, sein, und somit auch von dieser Seite
Preußen seine große Bedeutung für Deutschland behalten und charakteristisch auf
das Reich einwirken. Und entwickelt nicht jetzt schon die preußische Constituante
eine fruchtbare Thätigkeit einzig auf dem Gebiete der Specialgesetzgebung, zu
welcher die ländlichen Verhältnisse vorzugsweise gehören?

Die richterlichen Attribute der Reichsgewalt übergehe ich als vorläufig minder
wichtig. Höchst wichtig ist dagegen die Frage nach der Entwicklung der Reichs¬
verfassung, d.h. nach der Erweiterung der Reichsgewalt. Der Versassungsausschuß


Quell ewiger Unklarheit und Kollisionen. Der Umfang der Reichsgesetzgebung
läßt sich nur empirisch nach der Zweckmäßigkeit in jedem einzelnen Fall bestimmen.
Solche empirische Entscheidungen müssen aber der Legislative, nicht der Reichs¬
gewalt überlassen werden. Das Reichsgericht muß als solches nach einem Princip
entscheiden und es kommt in die schiefste Stellung, wenn sich zeigt, daß es ein
solches nicht giebt.

Mittermaier, der Berichterstatter des Verfassungsausschusses, will das
Reichsgericht in einen politischen Areopag verwandeln, in Geschworne, die nicht
nach principiellen Bestimmungen, sondern nach bestem Wissen und Gewissen ent¬
scheiden. Aber wozu diesen Umweg, warum diese Befugniß der Legislative entzie¬
hen, der sie am natürlichsten zukommt? Es ist lächerlich, von einer Entwickelung
der Reichsgesetzgebung erst durch das Reichsgericht zu sprechen.

Die Bestimmungen wären auch hier als Umkehr von denen des Verfassungs-
ausschusses zu fassen. Der Berfassuugsausschuß stellt die gesetzgebende Kompetenz
der Einzelstaaten als die Regel hin, die Kompetenz des Reichs als die Ausnahme.
Es wäre umgekehrt die ganze Gesetzgebung der Competenz des Reichs zu über¬
weisen und die Ausnahmen zu Gunsten der Einzelstaaten positiv auszusprechen.
Diese Ausnahmen dürfen nur so weit gehen, als es nöthig, damit die Selbstver¬
waltung der Einzelstaaten eine Totalität bildet. Die Aufgabe der Provinzial-
kammern wird demnach lediglich sein: 1) Die Controle der einheimischen Ver¬
waltung. 2) Die Votirung des einheimischen Budgets. 3) Die Feststellung der
^Modalität, nach welcher Neichslasten aufgebracht werden, wo diese vom Reich den
Einzelstaaten überlassen ist. 4) Die specialisirende Anwendung und Vervollständi¬
gung solcher Gesetze, bei welchen sich die Reichsgesetzgebung ausdrücklich auf die
principiellen Grundzüge beschränkt hat. 5) Die Wahrnehmung des Provinzial-
interesses durch Petitionen an die Reichsgewalt, in sofern die Petitionen der Kam¬
mern mehr als andere berücksichtigt werden müßten.

Diese Aufgabe eröffnet den Einzelkammern ein so hinlängliches Feld frucht¬
barer Thätigkeit, daß selbst die preußische Kammer sich daran vollkommen genügen
lassen kann. Eine Körperschaft für Specialgesetzgebung, die einer so wichtigen und
ausgedehnten Verwaltung, wie der preußischen, zur Seite steht, würde natur¬
gemäß die beste Vorschule von Staatsmännern für alle Zweige des Neichsdienstes,
des parlamentarischen wie des exe-cutiven, sein, und somit auch von dieser Seite
Preußen seine große Bedeutung für Deutschland behalten und charakteristisch auf
das Reich einwirken. Und entwickelt nicht jetzt schon die preußische Constituante
eine fruchtbare Thätigkeit einzig auf dem Gebiete der Specialgesetzgebung, zu
welcher die ländlichen Verhältnisse vorzugsweise gehören?

Die richterlichen Attribute der Reichsgewalt übergehe ich als vorläufig minder
wichtig. Höchst wichtig ist dagegen die Frage nach der Entwicklung der Reichs¬
verfassung, d.h. nach der Erweiterung der Reichsgewalt. Der Versassungsausschuß


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[0290] Quell ewiger Unklarheit und Kollisionen. Der Umfang der Reichsgesetzgebung läßt sich nur empirisch nach der Zweckmäßigkeit in jedem einzelnen Fall bestimmen. Solche empirische Entscheidungen müssen aber der Legislative, nicht der Reichs¬ gewalt überlassen werden. Das Reichsgericht muß als solches nach einem Princip entscheiden und es kommt in die schiefste Stellung, wenn sich zeigt, daß es ein solches nicht giebt. Mittermaier, der Berichterstatter des Verfassungsausschusses, will das Reichsgericht in einen politischen Areopag verwandeln, in Geschworne, die nicht nach principiellen Bestimmungen, sondern nach bestem Wissen und Gewissen ent¬ scheiden. Aber wozu diesen Umweg, warum diese Befugniß der Legislative entzie¬ hen, der sie am natürlichsten zukommt? Es ist lächerlich, von einer Entwickelung der Reichsgesetzgebung erst durch das Reichsgericht zu sprechen. Die Bestimmungen wären auch hier als Umkehr von denen des Verfassungs- ausschusses zu fassen. Der Berfassuugsausschuß stellt die gesetzgebende Kompetenz der Einzelstaaten als die Regel hin, die Kompetenz des Reichs als die Ausnahme. Es wäre umgekehrt die ganze Gesetzgebung der Competenz des Reichs zu über¬ weisen und die Ausnahmen zu Gunsten der Einzelstaaten positiv auszusprechen. Diese Ausnahmen dürfen nur so weit gehen, als es nöthig, damit die Selbstver¬ waltung der Einzelstaaten eine Totalität bildet. Die Aufgabe der Provinzial- kammern wird demnach lediglich sein: 1) Die Controle der einheimischen Ver¬ waltung. 2) Die Votirung des einheimischen Budgets. 3) Die Feststellung der ^Modalität, nach welcher Neichslasten aufgebracht werden, wo diese vom Reich den Einzelstaaten überlassen ist. 4) Die specialisirende Anwendung und Vervollständi¬ gung solcher Gesetze, bei welchen sich die Reichsgesetzgebung ausdrücklich auf die principiellen Grundzüge beschränkt hat. 5) Die Wahrnehmung des Provinzial- interesses durch Petitionen an die Reichsgewalt, in sofern die Petitionen der Kam¬ mern mehr als andere berücksichtigt werden müßten. Diese Aufgabe eröffnet den Einzelkammern ein so hinlängliches Feld frucht¬ barer Thätigkeit, daß selbst die preußische Kammer sich daran vollkommen genügen lassen kann. Eine Körperschaft für Specialgesetzgebung, die einer so wichtigen und ausgedehnten Verwaltung, wie der preußischen, zur Seite steht, würde natur¬ gemäß die beste Vorschule von Staatsmännern für alle Zweige des Neichsdienstes, des parlamentarischen wie des exe-cutiven, sein, und somit auch von dieser Seite Preußen seine große Bedeutung für Deutschland behalten und charakteristisch auf das Reich einwirken. Und entwickelt nicht jetzt schon die preußische Constituante eine fruchtbare Thätigkeit einzig auf dem Gebiete der Specialgesetzgebung, zu welcher die ländlichen Verhältnisse vorzugsweise gehören? Die richterlichen Attribute der Reichsgewalt übergehe ich als vorläufig minder wichtig. Höchst wichtig ist dagegen die Frage nach der Entwicklung der Reichs¬ verfassung, d.h. nach der Erweiterung der Reichsgewalt. Der Versassungsausschuß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/290>, abgerufen am 27.12.2024.