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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Sammlung, welche, wenn sie durch ihre Einsicht und Rechtlichkeit imponirt hätte,
sich leicht über die Formel der Vereinbarung würde hinweggesetzt haben, an Boden im
Volke; die nur momentan unterdrückte conservative Partei erhob von Neuem ihr
Haupt, eine große Anzahl geachteter Zeitungen trat für die Regierung in die
Schranken und die Nationalversammlung zeigte sich bereit, mit dem ganzen Gewicht
ihres moralischen Ansehens die Krone zu unterstützen.

Wenn wir nun das Verfahren der Regierung dieser Lage der Dinge gegen¬
über verfolgen, so überkommt uns das unangenehme Gefühl, welches jedesmal
eintritt, wenn wir einen Spieler mit den besten Karten falsch spielen sehen. Die
Krone hat sich durch einzelne Verletzungen -- das rohe Austreten Jacoby's u. s. w.
-- verleiten lassen, ihren Trumpf voreilig auszuspielen.

Bei einem Charakter wie Friedrich oder Napoleon, der das Volk mit sich
fortriß, wäre ein Staatsstreich, wenn anch nicht zu loben, doch politisch zu recht¬
fertigen. Friedrich Wilhelm IV. ist nicht der Mann dazu. Sein ,Gemüth ist
leicht den wechselnden Eindrücken zugänglich, er leidet von der Kollision seiner
Gefühle und bei so ernsten Schritten kann jeder Moment des Zagens Verderben
bringen. Vielleicht ist das der Grund, daß Männer, wie Eichmann, Bonin, >
Düuhoff, denen man wahrhaftig einen zu weit getriebenen Liberalismus nicht
Schuld geben wird, sich weigerten, an einem Act Theil zu nehmen, bei welchem
ihnen Staffords Schicksal vor Augen schweben mußte. Offenbar war jener Ent¬
schluß, den nun die Radikalen ausbeuten werden, eine weit angelegte Verschwö¬
rung dahinter zu suchen, kein Originalgedanke; das Beispiel Oestreichs hat
ihn ins Leben gerufen, wie am 18. März die Berliner Barrikaden auf die Wie¬
ner folgten.

Der erste Schritt der CoutrereVolution war das Ministerium Brandenburg.
Wenn man das Ministerium Pfuel, das schon selber im Verdacht der Reaction
stand, durch ein neues, der Kammer noch ferner stehendes ersetzt, wenn man es
dem fast einstimmigen Votum der Kammer gegenüber ansteche hält, so ist das
die offne Erklärung, daß man auf constitutionelle Weise vorläufig nicht weiter
zu regieren gedenkt.

Um zu einem solchen Schritt greifen zu dürfen, muß man zuerst alle Mittel
des Gesetzes erschöpft haben. Zwar hatte sich bis dahin die Möglichkeit, eine
constitutionelle Majorität zu gewinnen, nicht herausgestellt, aber wenigstens ein
Versuch blieb übrig -- eine Combination der Centren. Denn eine Berufung
des Herrn Waldeck und seiner Gesinnungsgenossen wäre nichts anderes gewesen
als Auflösung des Staats.

Der Versuch mit Rodbertus aber durfte nicht umgangen werden. Diese
Männer dominirten die einzige compacte Partei und ihre bisherigen Angriffe gegen
die Regierung waren mehr persönlicher als principieller Natur. Auf die Rechte
war für jedes Ministerium zu zählen und so blieben nur zwei Fälle übrig: entweder


Sammlung, welche, wenn sie durch ihre Einsicht und Rechtlichkeit imponirt hätte,
sich leicht über die Formel der Vereinbarung würde hinweggesetzt haben, an Boden im
Volke; die nur momentan unterdrückte conservative Partei erhob von Neuem ihr
Haupt, eine große Anzahl geachteter Zeitungen trat für die Regierung in die
Schranken und die Nationalversammlung zeigte sich bereit, mit dem ganzen Gewicht
ihres moralischen Ansehens die Krone zu unterstützen.

Wenn wir nun das Verfahren der Regierung dieser Lage der Dinge gegen¬
über verfolgen, so überkommt uns das unangenehme Gefühl, welches jedesmal
eintritt, wenn wir einen Spieler mit den besten Karten falsch spielen sehen. Die
Krone hat sich durch einzelne Verletzungen — das rohe Austreten Jacoby's u. s. w.
— verleiten lassen, ihren Trumpf voreilig auszuspielen.

Bei einem Charakter wie Friedrich oder Napoleon, der das Volk mit sich
fortriß, wäre ein Staatsstreich, wenn anch nicht zu loben, doch politisch zu recht¬
fertigen. Friedrich Wilhelm IV. ist nicht der Mann dazu. Sein ,Gemüth ist
leicht den wechselnden Eindrücken zugänglich, er leidet von der Kollision seiner
Gefühle und bei so ernsten Schritten kann jeder Moment des Zagens Verderben
bringen. Vielleicht ist das der Grund, daß Männer, wie Eichmann, Bonin, >
Düuhoff, denen man wahrhaftig einen zu weit getriebenen Liberalismus nicht
Schuld geben wird, sich weigerten, an einem Act Theil zu nehmen, bei welchem
ihnen Staffords Schicksal vor Augen schweben mußte. Offenbar war jener Ent¬
schluß, den nun die Radikalen ausbeuten werden, eine weit angelegte Verschwö¬
rung dahinter zu suchen, kein Originalgedanke; das Beispiel Oestreichs hat
ihn ins Leben gerufen, wie am 18. März die Berliner Barrikaden auf die Wie¬
ner folgten.

Der erste Schritt der CoutrereVolution war das Ministerium Brandenburg.
Wenn man das Ministerium Pfuel, das schon selber im Verdacht der Reaction
stand, durch ein neues, der Kammer noch ferner stehendes ersetzt, wenn man es
dem fast einstimmigen Votum der Kammer gegenüber ansteche hält, so ist das
die offne Erklärung, daß man auf constitutionelle Weise vorläufig nicht weiter
zu regieren gedenkt.

Um zu einem solchen Schritt greifen zu dürfen, muß man zuerst alle Mittel
des Gesetzes erschöpft haben. Zwar hatte sich bis dahin die Möglichkeit, eine
constitutionelle Majorität zu gewinnen, nicht herausgestellt, aber wenigstens ein
Versuch blieb übrig — eine Combination der Centren. Denn eine Berufung
des Herrn Waldeck und seiner Gesinnungsgenossen wäre nichts anderes gewesen
als Auflösung des Staats.

Der Versuch mit Rodbertus aber durfte nicht umgangen werden. Diese
Männer dominirten die einzige compacte Partei und ihre bisherigen Angriffe gegen
die Regierung waren mehr persönlicher als principieller Natur. Auf die Rechte
war für jedes Ministerium zu zählen und so blieben nur zwei Fälle übrig: entweder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/278>, abgerufen am 29.06.2024.