Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Schrecken erfahren, daß anch in diesen Kreisen die Influenz der neuen Ideen sich
geltend machte. Der alte Pfuel stimmte für den Rodbertns'schen Antrag, eine
indirecte Kriegserklärung gegen Oestreich! So entschloß sie sich zuletzt zur Contre-
revolution. Was waren die zunächst liegenden Gründe?

Einmal waren sie materieller Natur. Die Kammern hatten eine Reihe von
Gesetzen gegeben, welche die Krone im Innersten verletzen mußten. So die
Abschaffung des Adels. Es fällt mir nicht ein, diese absurden Decrete auf irgeud
eine Weise in Schutz zu nehmen, aber die Regierung vergaß, daß diese Beschlüsse
zunächst nur Entwürfe waren, über welche sie sich erst nach Vollendung der ge-
sammten Verfassung würde auszusprechen haben -- in welcher Zeit sich erwarten ließ,
daß die Stimmung des Volkes durch mancherlei Betrachtung sich wesentlich modificiren
würde. Entweder ging dann die Versammlung mit oder sie verlor ihren Boden,
und die Theorie der "Vereinbarung" trat dann in ihre Rechte. Im Uebrigen
lag in vielen Punkten die Kollision mir in der Phrase; so wie die berühmten
EabinetSfragen über Anerkennung der Revolution, über den Befehl an die Offtciere,
nicht reactionär zu sein u. s. w. Das Ministerium Auerswald erkannte die Revo¬
lution an, welche das Ministerium Camphausen geleugnet hatte, Pfuel vollzog den
Befehl an die Officiers, den Auerswald nicht hatte genehmigen wollen, und es
war in beiden Fällen nichts verloren. Ueber die Formel "von Gottes Gnaden"
garnicht zureden. Ernsterwares freilich mit solchen Beschlüssen die unmittelbar in
den Besitz eingreifen, wie eben jene Aufhebung der Jagdgerechtigkeit. Aber hier
durste die Regierung nicht vergessen, daß unter den obwaltenden Umständen eine
unter gesetzlichen Formen eintretende Veränderung des Besitzstandes immer einer
gewaltsamen vorzuziehen ist, und daß, wenn einmal das Princip, die Existenz einer
constituirenden Versammlung anerkannt ist, man sich auch in seine Konsequenzen,
die organische Gesetzgebung, zu finden hat.

Nun kommt freilich zu jenen materiellen Bedenken das wichtigere formelle: wie
sind jene Gesetze in der Versammlung entstanden? Mit vollem Recht hat Wil¬
helm Jordan in Frankfurt diese Entstehungsweise scharf accentuirt. Wenn Tag
für Tag Pöbelmassen auf den Treppen lagern, die Deputirten, welche ihnen nicht
gehorchen, auf die frechste Weise insultiren und mißhandeln, wenn sie ihnen von
Zeit zu Zeit die Thüre vernageln, um sie durch Hunger zur Abstimmung in ihrem
Sinn zu zwingen, wenn die Bürgerwehr sich unfähig zeigt, diesem Unfug zu steuern
die Versammlung selbst den Heroismus der Feigheit so weit treibt, sich vertrauend
der Gnade und Barmherzigkeit des Berliner Volks zu übergeben; wenn unter
diesen Umständen zuweilen von uur Einer Stimme, Beschlüsse gefaßt werden,
welche die Existenz des Staats bedrohen so darf man der Krone wohl nicht
das Recht absprechen, im Interesse des gesammten Staates sich nach Mitteln um¬
zusehen , diesem Zustand partiellen Terrorismus ein Ende zu machen.

Ein solches Mittel mußte sich leicht finden. Mehr und mehr verlor die Ver-


Schrecken erfahren, daß anch in diesen Kreisen die Influenz der neuen Ideen sich
geltend machte. Der alte Pfuel stimmte für den Rodbertns'schen Antrag, eine
indirecte Kriegserklärung gegen Oestreich! So entschloß sie sich zuletzt zur Contre-
revolution. Was waren die zunächst liegenden Gründe?

Einmal waren sie materieller Natur. Die Kammern hatten eine Reihe von
Gesetzen gegeben, welche die Krone im Innersten verletzen mußten. So die
Abschaffung des Adels. Es fällt mir nicht ein, diese absurden Decrete auf irgeud
eine Weise in Schutz zu nehmen, aber die Regierung vergaß, daß diese Beschlüsse
zunächst nur Entwürfe waren, über welche sie sich erst nach Vollendung der ge-
sammten Verfassung würde auszusprechen haben — in welcher Zeit sich erwarten ließ,
daß die Stimmung des Volkes durch mancherlei Betrachtung sich wesentlich modificiren
würde. Entweder ging dann die Versammlung mit oder sie verlor ihren Boden,
und die Theorie der „Vereinbarung" trat dann in ihre Rechte. Im Uebrigen
lag in vielen Punkten die Kollision mir in der Phrase; so wie die berühmten
EabinetSfragen über Anerkennung der Revolution, über den Befehl an die Offtciere,
nicht reactionär zu sein u. s. w. Das Ministerium Auerswald erkannte die Revo¬
lution an, welche das Ministerium Camphausen geleugnet hatte, Pfuel vollzog den
Befehl an die Officiers, den Auerswald nicht hatte genehmigen wollen, und es
war in beiden Fällen nichts verloren. Ueber die Formel „von Gottes Gnaden"
garnicht zureden. Ernsterwares freilich mit solchen Beschlüssen die unmittelbar in
den Besitz eingreifen, wie eben jene Aufhebung der Jagdgerechtigkeit. Aber hier
durste die Regierung nicht vergessen, daß unter den obwaltenden Umständen eine
unter gesetzlichen Formen eintretende Veränderung des Besitzstandes immer einer
gewaltsamen vorzuziehen ist, und daß, wenn einmal das Princip, die Existenz einer
constituirenden Versammlung anerkannt ist, man sich auch in seine Konsequenzen,
die organische Gesetzgebung, zu finden hat.

Nun kommt freilich zu jenen materiellen Bedenken das wichtigere formelle: wie
sind jene Gesetze in der Versammlung entstanden? Mit vollem Recht hat Wil¬
helm Jordan in Frankfurt diese Entstehungsweise scharf accentuirt. Wenn Tag
für Tag Pöbelmassen auf den Treppen lagern, die Deputirten, welche ihnen nicht
gehorchen, auf die frechste Weise insultiren und mißhandeln, wenn sie ihnen von
Zeit zu Zeit die Thüre vernageln, um sie durch Hunger zur Abstimmung in ihrem
Sinn zu zwingen, wenn die Bürgerwehr sich unfähig zeigt, diesem Unfug zu steuern
die Versammlung selbst den Heroismus der Feigheit so weit treibt, sich vertrauend
der Gnade und Barmherzigkeit des Berliner Volks zu übergeben; wenn unter
diesen Umständen zuweilen von uur Einer Stimme, Beschlüsse gefaßt werden,
welche die Existenz des Staats bedrohen so darf man der Krone wohl nicht
das Recht absprechen, im Interesse des gesammten Staates sich nach Mitteln um¬
zusehen , diesem Zustand partiellen Terrorismus ein Ende zu machen.

Ein solches Mittel mußte sich leicht finden. Mehr und mehr verlor die Ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0277" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277033"/>
          <p xml:id="ID_799" prev="#ID_798"> Schrecken erfahren, daß anch in diesen Kreisen die Influenz der neuen Ideen sich<lb/>
geltend machte. Der alte Pfuel stimmte für den Rodbertns'schen Antrag, eine<lb/>
indirecte Kriegserklärung gegen Oestreich! So entschloß sie sich zuletzt zur Contre-<lb/>
revolution. Was waren die zunächst liegenden Gründe?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_800"> Einmal waren sie materieller Natur. Die Kammern hatten eine Reihe von<lb/>
Gesetzen gegeben, welche die Krone im Innersten verletzen mußten. So die<lb/>
Abschaffung des Adels. Es fällt mir nicht ein, diese absurden Decrete auf irgeud<lb/>
eine Weise in Schutz zu nehmen, aber die Regierung vergaß, daß diese Beschlüsse<lb/>
zunächst nur Entwürfe waren, über welche sie sich erst nach Vollendung der ge-<lb/>
sammten Verfassung würde auszusprechen haben &#x2014; in welcher Zeit sich erwarten ließ,<lb/>
daß die Stimmung des Volkes durch mancherlei Betrachtung sich wesentlich modificiren<lb/>
würde. Entweder ging dann die Versammlung mit oder sie verlor ihren Boden,<lb/>
und die Theorie der &#x201E;Vereinbarung" trat dann in ihre Rechte. Im Uebrigen<lb/>
lag in vielen Punkten die Kollision mir in der Phrase; so wie die berühmten<lb/>
EabinetSfragen über Anerkennung der Revolution, über den Befehl an die Offtciere,<lb/>
nicht reactionär zu sein u. s. w. Das Ministerium Auerswald erkannte die Revo¬<lb/>
lution an, welche das Ministerium Camphausen geleugnet hatte, Pfuel vollzog den<lb/>
Befehl an die Officiers, den Auerswald nicht hatte genehmigen wollen, und es<lb/>
war in beiden Fällen nichts verloren. Ueber die Formel &#x201E;von Gottes Gnaden"<lb/>
garnicht zureden. Ernsterwares freilich mit solchen Beschlüssen die unmittelbar in<lb/>
den Besitz eingreifen, wie eben jene Aufhebung der Jagdgerechtigkeit. Aber hier<lb/>
durste die Regierung nicht vergessen, daß unter den obwaltenden Umständen eine<lb/>
unter gesetzlichen Formen eintretende Veränderung des Besitzstandes immer einer<lb/>
gewaltsamen vorzuziehen ist, und daß, wenn einmal das Princip, die Existenz einer<lb/>
constituirenden Versammlung anerkannt ist, man sich auch in seine Konsequenzen,<lb/>
die organische Gesetzgebung, zu finden hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_801"> Nun kommt freilich zu jenen materiellen Bedenken das wichtigere formelle: wie<lb/>
sind jene Gesetze in der Versammlung entstanden? Mit vollem Recht hat Wil¬<lb/>
helm Jordan in Frankfurt diese Entstehungsweise scharf accentuirt. Wenn Tag<lb/>
für Tag Pöbelmassen auf den Treppen lagern, die Deputirten, welche ihnen nicht<lb/>
gehorchen, auf die frechste Weise insultiren und mißhandeln, wenn sie ihnen von<lb/>
Zeit zu Zeit die Thüre vernageln, um sie durch Hunger zur Abstimmung in ihrem<lb/>
Sinn zu zwingen, wenn die Bürgerwehr sich unfähig zeigt, diesem Unfug zu steuern<lb/>
die Versammlung selbst den Heroismus der Feigheit so weit treibt, sich vertrauend<lb/>
der Gnade und Barmherzigkeit des Berliner Volks zu übergeben; wenn unter<lb/>
diesen Umständen zuweilen von uur Einer Stimme, Beschlüsse gefaßt werden,<lb/>
welche die Existenz des Staats bedrohen so darf man der Krone wohl nicht<lb/>
das Recht absprechen, im Interesse des gesammten Staates sich nach Mitteln um¬<lb/>
zusehen , diesem Zustand partiellen Terrorismus ein Ende zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_802" next="#ID_803"> Ein solches Mittel mußte sich leicht finden. Mehr und mehr verlor die Ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0277] Schrecken erfahren, daß anch in diesen Kreisen die Influenz der neuen Ideen sich geltend machte. Der alte Pfuel stimmte für den Rodbertns'schen Antrag, eine indirecte Kriegserklärung gegen Oestreich! So entschloß sie sich zuletzt zur Contre- revolution. Was waren die zunächst liegenden Gründe? Einmal waren sie materieller Natur. Die Kammern hatten eine Reihe von Gesetzen gegeben, welche die Krone im Innersten verletzen mußten. So die Abschaffung des Adels. Es fällt mir nicht ein, diese absurden Decrete auf irgeud eine Weise in Schutz zu nehmen, aber die Regierung vergaß, daß diese Beschlüsse zunächst nur Entwürfe waren, über welche sie sich erst nach Vollendung der ge- sammten Verfassung würde auszusprechen haben — in welcher Zeit sich erwarten ließ, daß die Stimmung des Volkes durch mancherlei Betrachtung sich wesentlich modificiren würde. Entweder ging dann die Versammlung mit oder sie verlor ihren Boden, und die Theorie der „Vereinbarung" trat dann in ihre Rechte. Im Uebrigen lag in vielen Punkten die Kollision mir in der Phrase; so wie die berühmten EabinetSfragen über Anerkennung der Revolution, über den Befehl an die Offtciere, nicht reactionär zu sein u. s. w. Das Ministerium Auerswald erkannte die Revo¬ lution an, welche das Ministerium Camphausen geleugnet hatte, Pfuel vollzog den Befehl an die Officiers, den Auerswald nicht hatte genehmigen wollen, und es war in beiden Fällen nichts verloren. Ueber die Formel „von Gottes Gnaden" garnicht zureden. Ernsterwares freilich mit solchen Beschlüssen die unmittelbar in den Besitz eingreifen, wie eben jene Aufhebung der Jagdgerechtigkeit. Aber hier durste die Regierung nicht vergessen, daß unter den obwaltenden Umständen eine unter gesetzlichen Formen eintretende Veränderung des Besitzstandes immer einer gewaltsamen vorzuziehen ist, und daß, wenn einmal das Princip, die Existenz einer constituirenden Versammlung anerkannt ist, man sich auch in seine Konsequenzen, die organische Gesetzgebung, zu finden hat. Nun kommt freilich zu jenen materiellen Bedenken das wichtigere formelle: wie sind jene Gesetze in der Versammlung entstanden? Mit vollem Recht hat Wil¬ helm Jordan in Frankfurt diese Entstehungsweise scharf accentuirt. Wenn Tag für Tag Pöbelmassen auf den Treppen lagern, die Deputirten, welche ihnen nicht gehorchen, auf die frechste Weise insultiren und mißhandeln, wenn sie ihnen von Zeit zu Zeit die Thüre vernageln, um sie durch Hunger zur Abstimmung in ihrem Sinn zu zwingen, wenn die Bürgerwehr sich unfähig zeigt, diesem Unfug zu steuern die Versammlung selbst den Heroismus der Feigheit so weit treibt, sich vertrauend der Gnade und Barmherzigkeit des Berliner Volks zu übergeben; wenn unter diesen Umständen zuweilen von uur Einer Stimme, Beschlüsse gefaßt werden, welche die Existenz des Staats bedrohen so darf man der Krone wohl nicht das Recht absprechen, im Interesse des gesammten Staates sich nach Mitteln um¬ zusehen , diesem Zustand partiellen Terrorismus ein Ende zu machen. Ein solches Mittel mußte sich leicht finden. Mehr und mehr verlor die Ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/277
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/277>, abgerufen am 29.06.2024.