Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Nationalversammlung, die auch souverain sein sollte, die auch im Namen der Revo¬
lution auftrat und die auf keine Weise eine bestimmte Grenze ihrer Befugnisse
den Sonderständen gegenüber festsetzen konnte. Hatte doch die Linke in Frankfurt
den einseitigen Beschluß veranlaßt, daß alle Gesetze, die den ihrigen zuwiderliefen,
null und nichtig sein sollten. Wer nun den Einfluß der Berliner Lust kennt,
mußte voraussehen, daß die preußische Versammlung entweder sich in directe
Opposition gegen die Frankfurter setzen, oder durch einen ungestümen Wetteifer ihr
den Vorrang des "Freiheitsbewußtseins" streitig machen würde. Es ist zu bei¬
den? gekommen.

Aber weit schlimmer als diese äußere Lage war die Zusammensetzung der Ver¬
sammlung. Die Wahlen nach Frankfurt hatte die Autorität bestimmt; die Ber¬
liner das Herz. Was dort geschehen sollte, wußte man nicht recht, man überließ
dieses Geschäft den "Herren" von Ruf und Ansehn. Hier aber handelte es sich
um die zunächstliegenden Interessen; man dcputirte also den Bruder Fleischer,
Bauer, Schulz u. s. w. Da wir an politischen Kapacitäten nicht überreich sind,
so ist also wohl erklärlich, daß Frankfurt den größten Theil unsrer Intelligenz
absorbirte, und für Berlin mehr Eifer als TaKnt übrig blieb.

Es schadet einer Versammlung nicht, wenn einige Fanatiker und einige
Nullen darunter sind. Die einen geben den Sauerteig, die andern das Wasser.
Wenn aber die Letzteren so zahlreich sind, daß sie ein Viertel der Versammlung
ausmachen, Menschen, die zum Theil nicht Deutsch können, die zum Theil in der
reactionären Kunst des Lesens und Schreibens sich nie versucht haben, die zur
ersten Male in ihrem Leben das Wort "Staat" "Verfassung" u. dergl. hören,
die also in ihrem gegenwärtigen Amte vollständig unzurechnungsfähig sind; --
wenn in der ganzen Versammlung kein fester Kern bewußter politischer Einsicht
sich vorfindet, der jenen Fanatikern das Gegengewicht hält, und ehrgeizige Avan-
turiers absorbirt; wenn der einzige Widerstand gegen jene Stegreifritter ein blos
ablehnender, ein "heulerischer" ist, um mich des technischen Ausdrucks zu be¬
diene" -- dann wird es nicht zu verwundern sein, wenn eine solche Versammlung
nicht einmal mit ihrer Geschäftsordnung fertig wird, geschweige mit der Verfassung,
wenn sie sich Tagelang in "factischen Berichtigungen" d. h. in persönlichen Zän¬
kereien herumdreht, und nur dann zu einem Beschluß kommt, wenn es sich darum
handelt, der Reaction, d. h. der Regierung irgend eine Impertinenz zu sagen,
oder durch ein einfaches Decret schönes Wetter als gesetzlichen Zustand zu procla-
miren. Und wenn sie das gethan, so ist sie sicher überzeugt, daß der Senat von
Rom und Athen nicht würdig war, ihr die Schuhriemen aufzulösen.

Mit inner solchen Versammlung läßt sich durch offne Vernunft, wie es
Camphausen versuchte, nicht regieren. Nach manchen vergeblichen Versuchen glaubte
dann die Regierung ans einfache Weise die Sache am leichtesten beizulegen. Sie
schickte alle Militärs und Beamten auf die Ministerbank, und mußte zu ihrem


Nationalversammlung, die auch souverain sein sollte, die auch im Namen der Revo¬
lution auftrat und die auf keine Weise eine bestimmte Grenze ihrer Befugnisse
den Sonderständen gegenüber festsetzen konnte. Hatte doch die Linke in Frankfurt
den einseitigen Beschluß veranlaßt, daß alle Gesetze, die den ihrigen zuwiderliefen,
null und nichtig sein sollten. Wer nun den Einfluß der Berliner Lust kennt,
mußte voraussehen, daß die preußische Versammlung entweder sich in directe
Opposition gegen die Frankfurter setzen, oder durch einen ungestümen Wetteifer ihr
den Vorrang des „Freiheitsbewußtseins" streitig machen würde. Es ist zu bei¬
den? gekommen.

Aber weit schlimmer als diese äußere Lage war die Zusammensetzung der Ver¬
sammlung. Die Wahlen nach Frankfurt hatte die Autorität bestimmt; die Ber¬
liner das Herz. Was dort geschehen sollte, wußte man nicht recht, man überließ
dieses Geschäft den „Herren" von Ruf und Ansehn. Hier aber handelte es sich
um die zunächstliegenden Interessen; man dcputirte also den Bruder Fleischer,
Bauer, Schulz u. s. w. Da wir an politischen Kapacitäten nicht überreich sind,
so ist also wohl erklärlich, daß Frankfurt den größten Theil unsrer Intelligenz
absorbirte, und für Berlin mehr Eifer als TaKnt übrig blieb.

Es schadet einer Versammlung nicht, wenn einige Fanatiker und einige
Nullen darunter sind. Die einen geben den Sauerteig, die andern das Wasser.
Wenn aber die Letzteren so zahlreich sind, daß sie ein Viertel der Versammlung
ausmachen, Menschen, die zum Theil nicht Deutsch können, die zum Theil in der
reactionären Kunst des Lesens und Schreibens sich nie versucht haben, die zur
ersten Male in ihrem Leben das Wort „Staat" „Verfassung" u. dergl. hören,
die also in ihrem gegenwärtigen Amte vollständig unzurechnungsfähig sind; —
wenn in der ganzen Versammlung kein fester Kern bewußter politischer Einsicht
sich vorfindet, der jenen Fanatikern das Gegengewicht hält, und ehrgeizige Avan-
turiers absorbirt; wenn der einzige Widerstand gegen jene Stegreifritter ein blos
ablehnender, ein „heulerischer" ist, um mich des technischen Ausdrucks zu be¬
diene» — dann wird es nicht zu verwundern sein, wenn eine solche Versammlung
nicht einmal mit ihrer Geschäftsordnung fertig wird, geschweige mit der Verfassung,
wenn sie sich Tagelang in „factischen Berichtigungen" d. h. in persönlichen Zän¬
kereien herumdreht, und nur dann zu einem Beschluß kommt, wenn es sich darum
handelt, der Reaction, d. h. der Regierung irgend eine Impertinenz zu sagen,
oder durch ein einfaches Decret schönes Wetter als gesetzlichen Zustand zu procla-
miren. Und wenn sie das gethan, so ist sie sicher überzeugt, daß der Senat von
Rom und Athen nicht würdig war, ihr die Schuhriemen aufzulösen.

Mit inner solchen Versammlung läßt sich durch offne Vernunft, wie es
Camphausen versuchte, nicht regieren. Nach manchen vergeblichen Versuchen glaubte
dann die Regierung ans einfache Weise die Sache am leichtesten beizulegen. Sie
schickte alle Militärs und Beamten auf die Ministerbank, und mußte zu ihrem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277032"/>
          <p xml:id="ID_795" prev="#ID_794"> Nationalversammlung, die auch souverain sein sollte, die auch im Namen der Revo¬<lb/>
lution auftrat und die auf keine Weise eine bestimmte Grenze ihrer Befugnisse<lb/>
den Sonderständen gegenüber festsetzen konnte. Hatte doch die Linke in Frankfurt<lb/>
den einseitigen Beschluß veranlaßt, daß alle Gesetze, die den ihrigen zuwiderliefen,<lb/>
null und nichtig sein sollten. Wer nun den Einfluß der Berliner Lust kennt,<lb/>
mußte voraussehen, daß die preußische Versammlung entweder sich in directe<lb/>
Opposition gegen die Frankfurter setzen, oder durch einen ungestümen Wetteifer ihr<lb/>
den Vorrang des &#x201E;Freiheitsbewußtseins" streitig machen würde. Es ist zu bei¬<lb/>
den? gekommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_796"> Aber weit schlimmer als diese äußere Lage war die Zusammensetzung der Ver¬<lb/>
sammlung. Die Wahlen nach Frankfurt hatte die Autorität bestimmt; die Ber¬<lb/>
liner das Herz. Was dort geschehen sollte, wußte man nicht recht, man überließ<lb/>
dieses Geschäft den &#x201E;Herren" von Ruf und Ansehn. Hier aber handelte es sich<lb/>
um die zunächstliegenden Interessen; man dcputirte also den Bruder Fleischer,<lb/>
Bauer, Schulz u. s. w. Da wir an politischen Kapacitäten nicht überreich sind,<lb/>
so ist also wohl erklärlich, daß Frankfurt den größten Theil unsrer Intelligenz<lb/>
absorbirte, und für Berlin mehr Eifer als TaKnt übrig blieb.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_797"> Es schadet einer Versammlung nicht, wenn einige Fanatiker und einige<lb/>
Nullen darunter sind. Die einen geben den Sauerteig, die andern das Wasser.<lb/>
Wenn aber die Letzteren so zahlreich sind, daß sie ein Viertel der Versammlung<lb/>
ausmachen, Menschen, die zum Theil nicht Deutsch können, die zum Theil in der<lb/>
reactionären Kunst des Lesens und Schreibens sich nie versucht haben, die zur<lb/>
ersten Male in ihrem Leben das Wort &#x201E;Staat" &#x201E;Verfassung" u. dergl. hören,<lb/>
die also in ihrem gegenwärtigen Amte vollständig unzurechnungsfähig sind; &#x2014;<lb/>
wenn in der ganzen Versammlung kein fester Kern bewußter politischer Einsicht<lb/>
sich vorfindet, der jenen Fanatikern das Gegengewicht hält, und ehrgeizige Avan-<lb/>
turiers absorbirt; wenn der einzige Widerstand gegen jene Stegreifritter ein blos<lb/>
ablehnender, ein &#x201E;heulerischer" ist, um mich des technischen Ausdrucks zu be¬<lb/>
diene» &#x2014; dann wird es nicht zu verwundern sein, wenn eine solche Versammlung<lb/>
nicht einmal mit ihrer Geschäftsordnung fertig wird, geschweige mit der Verfassung,<lb/>
wenn sie sich Tagelang in &#x201E;factischen Berichtigungen" d. h. in persönlichen Zän¬<lb/>
kereien herumdreht, und nur dann zu einem Beschluß kommt, wenn es sich darum<lb/>
handelt, der Reaction, d. h. der Regierung irgend eine Impertinenz zu sagen,<lb/>
oder durch ein einfaches Decret schönes Wetter als gesetzlichen Zustand zu procla-<lb/>
miren. Und wenn sie das gethan, so ist sie sicher überzeugt, daß der Senat von<lb/>
Rom und Athen nicht würdig war, ihr die Schuhriemen aufzulösen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_798" next="#ID_799"> Mit inner solchen Versammlung läßt sich durch offne Vernunft, wie es<lb/>
Camphausen versuchte, nicht regieren. Nach manchen vergeblichen Versuchen glaubte<lb/>
dann die Regierung ans einfache Weise die Sache am leichtesten beizulegen. Sie<lb/>
schickte alle Militärs und Beamten auf die Ministerbank, und mußte zu ihrem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0276] Nationalversammlung, die auch souverain sein sollte, die auch im Namen der Revo¬ lution auftrat und die auf keine Weise eine bestimmte Grenze ihrer Befugnisse den Sonderständen gegenüber festsetzen konnte. Hatte doch die Linke in Frankfurt den einseitigen Beschluß veranlaßt, daß alle Gesetze, die den ihrigen zuwiderliefen, null und nichtig sein sollten. Wer nun den Einfluß der Berliner Lust kennt, mußte voraussehen, daß die preußische Versammlung entweder sich in directe Opposition gegen die Frankfurter setzen, oder durch einen ungestümen Wetteifer ihr den Vorrang des „Freiheitsbewußtseins" streitig machen würde. Es ist zu bei¬ den? gekommen. Aber weit schlimmer als diese äußere Lage war die Zusammensetzung der Ver¬ sammlung. Die Wahlen nach Frankfurt hatte die Autorität bestimmt; die Ber¬ liner das Herz. Was dort geschehen sollte, wußte man nicht recht, man überließ dieses Geschäft den „Herren" von Ruf und Ansehn. Hier aber handelte es sich um die zunächstliegenden Interessen; man dcputirte also den Bruder Fleischer, Bauer, Schulz u. s. w. Da wir an politischen Kapacitäten nicht überreich sind, so ist also wohl erklärlich, daß Frankfurt den größten Theil unsrer Intelligenz absorbirte, und für Berlin mehr Eifer als TaKnt übrig blieb. Es schadet einer Versammlung nicht, wenn einige Fanatiker und einige Nullen darunter sind. Die einen geben den Sauerteig, die andern das Wasser. Wenn aber die Letzteren so zahlreich sind, daß sie ein Viertel der Versammlung ausmachen, Menschen, die zum Theil nicht Deutsch können, die zum Theil in der reactionären Kunst des Lesens und Schreibens sich nie versucht haben, die zur ersten Male in ihrem Leben das Wort „Staat" „Verfassung" u. dergl. hören, die also in ihrem gegenwärtigen Amte vollständig unzurechnungsfähig sind; — wenn in der ganzen Versammlung kein fester Kern bewußter politischer Einsicht sich vorfindet, der jenen Fanatikern das Gegengewicht hält, und ehrgeizige Avan- turiers absorbirt; wenn der einzige Widerstand gegen jene Stegreifritter ein blos ablehnender, ein „heulerischer" ist, um mich des technischen Ausdrucks zu be¬ diene» — dann wird es nicht zu verwundern sein, wenn eine solche Versammlung nicht einmal mit ihrer Geschäftsordnung fertig wird, geschweige mit der Verfassung, wenn sie sich Tagelang in „factischen Berichtigungen" d. h. in persönlichen Zän¬ kereien herumdreht, und nur dann zu einem Beschluß kommt, wenn es sich darum handelt, der Reaction, d. h. der Regierung irgend eine Impertinenz zu sagen, oder durch ein einfaches Decret schönes Wetter als gesetzlichen Zustand zu procla- miren. Und wenn sie das gethan, so ist sie sicher überzeugt, daß der Senat von Rom und Athen nicht würdig war, ihr die Schuhriemen aufzulösen. Mit inner solchen Versammlung läßt sich durch offne Vernunft, wie es Camphausen versuchte, nicht regieren. Nach manchen vergeblichen Versuchen glaubte dann die Regierung ans einfache Weise die Sache am leichtesten beizulegen. Sie schickte alle Militärs und Beamten auf die Ministerbank, und mußte zu ihrem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/276
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/276>, abgerufen am 26.06.2024.