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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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sein; auch hatte das Volk ja ausdrücklich die Staatsverwaltung sich aus dem
Schimmer der alten Kammer erlesen.

Die thatsächliche Nichtbefriedigung der Volkswünsche schuf eine demokrati¬
sche Partei und ihren Einfluß. Junge talentvolle Juristen, Accesststen, die seit
Jahren im Ständehaus täglich sämmtlich beschäftigt wurden und so Gelegenheit
hatten, neben dem äußeren Debattenleben in den Sitzungen das innere, heimische
Getriebe der tausend und aber tausend Menschlichkeiten und Intriguen, der Par¬
teien, wie die Charaktere der Einzelnen gründlich kennen zu lernen und die zu¬
gleich als Kammerberichterstatter der einflußreichen Preßorgane sich ein selbststän¬
diges Urtheil über alle Vorgänge bilden konnten, durch die tägliche Anschauung
der Wirkungen parlamentarischer Beredsamkeit nicht geringen Durst nach dereinsti-
ger Selbstgeltung einsaugen mußten -- nehmen eine nicht geringe Stellung unter
unseren Demokraten ein. Ein Herr Stuetz, der zugleich auch in früherer amt¬
lichen Beschäftigung auf dem Bureau der Münchner Polizei deren Wesen genug¬
sam kennen gelernt, vertritt als eifrigstes Mitglied der demokratischen Partei und
thätiger Mitarbeiter ihrer hiesigen Preßorgane, der "deutschen constitutionellen
Zeitung" und des "Vorwärts" den erwähnten Stand. Es kommen hinzu Männer
die in der juristischen Praxis theils selbstthätig, wie der k. Advocat Riedl, theils
als Concipisten bei Advocaten und Gerichten, wie Dr. Hermann, Dr. Greiner
und die Rechtspractikanten Gebrüder Wagner reiche Gelegenheit gefunden haben,
die allerdings in vielen Punkten fast unbeschreibliche Mangelhaftigkeit der Rechts-
zustände im Allgemeinen, wie insonderheit Baiern und die in Folge dessen tief
gewurzelte Fäulniß socialer Zustände, die im Süden wohl mit einem trügerischen
Firniß überzogen ist, kennen und würdigen zu lernen. Wir wissen, daß die deut¬
sche Bewegung seit Jahren von den Männern getragen war, die auf dem Poden
der Rechtstheorie oder Nechtspraxis standen. Tiefer, als man auf den Höhen der
Staatsmacht ahnte und glaubte, war der Theorienstreit der Germanisten und Ro¬
manisten mit dem ganzen modernen Leben Deutschlands verflochten. Wie die
Männer der Rechtsteuntuiß die Schleswig-holsteinische Frage als den scharfe" po¬
litischen Eckstein in den Vordergrund der Neuzeit geschoben, wie entscheidende
Wendepuncte das Verbot der Advocatenversammlung in Preußen, die Rechtsfrage
des vereinigte" Landtages und die Germanistenversammlung für Deutschland ge¬
worden, weiß und fühlt Jeder, der mit dem innern Zusammenhange der äußeren
Ereignisse bekannt ist. So ist es erklärlich, daß auch bei uns in den ersten Tagen
des März die Bewegung von Männern geleitet wurde, die mit einer schneidigen
Rechtslogik an die politischen Verhältnisse hervortraten. - Die oben genannten
Männer, namentlich Dr. Hermann und Or. Grein er haben das Verdienst,
die dunkeln Gefühle des erregten Volkes zu einem klaren Ausdruck und zur be¬
stimmten Willensäußerung gebracht und den wilden Strom der Selbsthilfe des
Volkes, in welchem republikanische und communistische Elemente, wenn auch in


sein; auch hatte das Volk ja ausdrücklich die Staatsverwaltung sich aus dem
Schimmer der alten Kammer erlesen.

Die thatsächliche Nichtbefriedigung der Volkswünsche schuf eine demokrati¬
sche Partei und ihren Einfluß. Junge talentvolle Juristen, Accesststen, die seit
Jahren im Ständehaus täglich sämmtlich beschäftigt wurden und so Gelegenheit
hatten, neben dem äußeren Debattenleben in den Sitzungen das innere, heimische
Getriebe der tausend und aber tausend Menschlichkeiten und Intriguen, der Par¬
teien, wie die Charaktere der Einzelnen gründlich kennen zu lernen und die zu¬
gleich als Kammerberichterstatter der einflußreichen Preßorgane sich ein selbststän¬
diges Urtheil über alle Vorgänge bilden konnten, durch die tägliche Anschauung
der Wirkungen parlamentarischer Beredsamkeit nicht geringen Durst nach dereinsti-
ger Selbstgeltung einsaugen mußten — nehmen eine nicht geringe Stellung unter
unseren Demokraten ein. Ein Herr Stuetz, der zugleich auch in früherer amt¬
lichen Beschäftigung auf dem Bureau der Münchner Polizei deren Wesen genug¬
sam kennen gelernt, vertritt als eifrigstes Mitglied der demokratischen Partei und
thätiger Mitarbeiter ihrer hiesigen Preßorgane, der „deutschen constitutionellen
Zeitung" und des „Vorwärts" den erwähnten Stand. Es kommen hinzu Männer
die in der juristischen Praxis theils selbstthätig, wie der k. Advocat Riedl, theils
als Concipisten bei Advocaten und Gerichten, wie Dr. Hermann, Dr. Greiner
und die Rechtspractikanten Gebrüder Wagner reiche Gelegenheit gefunden haben,
die allerdings in vielen Punkten fast unbeschreibliche Mangelhaftigkeit der Rechts-
zustände im Allgemeinen, wie insonderheit Baiern und die in Folge dessen tief
gewurzelte Fäulniß socialer Zustände, die im Süden wohl mit einem trügerischen
Firniß überzogen ist, kennen und würdigen zu lernen. Wir wissen, daß die deut¬
sche Bewegung seit Jahren von den Männern getragen war, die auf dem Poden
der Rechtstheorie oder Nechtspraxis standen. Tiefer, als man auf den Höhen der
Staatsmacht ahnte und glaubte, war der Theorienstreit der Germanisten und Ro¬
manisten mit dem ganzen modernen Leben Deutschlands verflochten. Wie die
Männer der Rechtsteuntuiß die Schleswig-holsteinische Frage als den scharfe» po¬
litischen Eckstein in den Vordergrund der Neuzeit geschoben, wie entscheidende
Wendepuncte das Verbot der Advocatenversammlung in Preußen, die Rechtsfrage
des vereinigte» Landtages und die Germanistenversammlung für Deutschland ge¬
worden, weiß und fühlt Jeder, der mit dem innern Zusammenhange der äußeren
Ereignisse bekannt ist. So ist es erklärlich, daß auch bei uns in den ersten Tagen
des März die Bewegung von Männern geleitet wurde, die mit einer schneidigen
Rechtslogik an die politischen Verhältnisse hervortraten. - Die oben genannten
Männer, namentlich Dr. Hermann und Or. Grein er haben das Verdienst,
die dunkeln Gefühle des erregten Volkes zu einem klaren Ausdruck und zur be¬
stimmten Willensäußerung gebracht und den wilden Strom der Selbsthilfe des
Volkes, in welchem republikanische und communistische Elemente, wenn auch in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/268>, abgerufen am 22.07.2024.