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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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hört, im Vordergrunde. Die noch rechtzeitige Nachgiebigkeit des Königs Ludwig
und seine Verwilligungen, die Errungenschaften vom K. März haben die Herrschaft
wilder dämonischer Kräfte beschworen und die erste Grundlage der neuen Ord¬
nung der Dinge unterbreitet.

Diese Errungenschaften waren das Banner, um das sich augenblicklich alle
schaarten, die Ziehenden und die Gezogenen, die Aufrichtigen und die Intriguanten.
Die Ultramontanen dursten in fester Consequenz die Freiheit der Kirche hoffen,
die Männer des aufrichtigen Constitutionalismus sahen nun die durch so lange Jahre
vor allen übrigen deutschen Staaten gerühmte Charte, ihren aufrichtigen Stolz,
eine unbedingte Wahrheit werden, die Demokraten rechneten auf die in der Ge¬
schichte nie ausgebliebene Konsequenz der politischen Ideen und Zugeständnisse und
die Monarchischeonstitutionellcn wollten sich dem Glauben überlassen, daß die alte
Anhänglichkeit an die Krone nunmehr neue größere Auflagen erleben werde, die
süddeutsche oder bairische Fraction endlich, aus Männern so ziemlich aller Farben
zusammengesetzt, hatte den glorreichen und in Deutschland mit Recht bewunderten
Voraustritt Baierns als ein ganz besonders günstiges Omen für Realisirung ihres
Ideales zu feiern, wie sie es auch heute ist, der im Anschauen der Lage der
östreichischen Gesammtmonarchie beim bloßen Klänge der Namen: "Tirol, Salz¬
burg, Innviertel" das Herz höher, ja aufrichtiger als je seit den Märztagen schlägt.

Hätte Baiern zur Zeit, wo seine alte verbrauchte und diffamirte Abel'sche
Kammer durch ein intriguirtes Volksdrängen, ganz gegen die ursprüngliche Willens¬
richtung des Königs, zusammentreten mußte, eine neue Kammer erhalten, so wurde
man jedenfalls der Gefahr neuer tiefergreifender demokratischen Bewegung entgan¬
gen sein. Allein es kam anders. Im innersten Widerspruch mit der neuen Zeit
und den bereits erfolgten Zugeständnissen versammelten sich die alten Stände, den
Bau der Neuzeit zu berathen und auszuführen. Dies hat sehr schädlich nach zwei
Seiten gewirkt und erst eine demokratische Partei ins Dasein gerufen. Auch
die besonnensten Gemüther mußten von dem Erlebniß sonderbar ergriffen werden,
daß die Minister in allen wesentlichen Dingen liberaler erschienen als die Kammer
und wiederum konnten sich Minister wohl nicht auf die Höhe und zum innigsten
und heiligsten Verständniß des wahren Geistes der Zeit emporgetragen fühlen, die
im ersten Anlauf eines guten einfachen Willens die sogenannte Volksvertretung
weit überragten.

Die an geschwätzige Unthätigkeit und geistlose Unterwürfigkeit gewöhnte Kam¬
mer hatte sich an die Rechtlichkeit des liberalen Bürgerminifteriums in vollster
Gemüthlichkeit dahingegeben, und die Minister ihrerseits ruhten aus den unschwer
errungenen Lorbeeren behaglich zuerst, in wachsender Selbstgenügsamkeit später aus.
Im Grunde war ja der stürmisch ausgesprochene Vvlkswillen für schnelle Einbe¬
rufung des Landtags möglichst erfüllt worden und Minister und Stände sonnt
ohne besondere Schuld, denn beide Theile mußten dem Volke genugsam bekannt


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hört, im Vordergrunde. Die noch rechtzeitige Nachgiebigkeit des Königs Ludwig
und seine Verwilligungen, die Errungenschaften vom K. März haben die Herrschaft
wilder dämonischer Kräfte beschworen und die erste Grundlage der neuen Ord¬
nung der Dinge unterbreitet.

Diese Errungenschaften waren das Banner, um das sich augenblicklich alle
schaarten, die Ziehenden und die Gezogenen, die Aufrichtigen und die Intriguanten.
Die Ultramontanen dursten in fester Consequenz die Freiheit der Kirche hoffen,
die Männer des aufrichtigen Constitutionalismus sahen nun die durch so lange Jahre
vor allen übrigen deutschen Staaten gerühmte Charte, ihren aufrichtigen Stolz,
eine unbedingte Wahrheit werden, die Demokraten rechneten auf die in der Ge¬
schichte nie ausgebliebene Konsequenz der politischen Ideen und Zugeständnisse und
die Monarchischeonstitutionellcn wollten sich dem Glauben überlassen, daß die alte
Anhänglichkeit an die Krone nunmehr neue größere Auflagen erleben werde, die
süddeutsche oder bairische Fraction endlich, aus Männern so ziemlich aller Farben
zusammengesetzt, hatte den glorreichen und in Deutschland mit Recht bewunderten
Voraustritt Baierns als ein ganz besonders günstiges Omen für Realisirung ihres
Ideales zu feiern, wie sie es auch heute ist, der im Anschauen der Lage der
östreichischen Gesammtmonarchie beim bloßen Klänge der Namen: „Tirol, Salz¬
burg, Innviertel" das Herz höher, ja aufrichtiger als je seit den Märztagen schlägt.

Hätte Baiern zur Zeit, wo seine alte verbrauchte und diffamirte Abel'sche
Kammer durch ein intriguirtes Volksdrängen, ganz gegen die ursprüngliche Willens¬
richtung des Königs, zusammentreten mußte, eine neue Kammer erhalten, so wurde
man jedenfalls der Gefahr neuer tiefergreifender demokratischen Bewegung entgan¬
gen sein. Allein es kam anders. Im innersten Widerspruch mit der neuen Zeit
und den bereits erfolgten Zugeständnissen versammelten sich die alten Stände, den
Bau der Neuzeit zu berathen und auszuführen. Dies hat sehr schädlich nach zwei
Seiten gewirkt und erst eine demokratische Partei ins Dasein gerufen. Auch
die besonnensten Gemüther mußten von dem Erlebniß sonderbar ergriffen werden,
daß die Minister in allen wesentlichen Dingen liberaler erschienen als die Kammer
und wiederum konnten sich Minister wohl nicht auf die Höhe und zum innigsten
und heiligsten Verständniß des wahren Geistes der Zeit emporgetragen fühlen, die
im ersten Anlauf eines guten einfachen Willens die sogenannte Volksvertretung
weit überragten.

Die an geschwätzige Unthätigkeit und geistlose Unterwürfigkeit gewöhnte Kam¬
mer hatte sich an die Rechtlichkeit des liberalen Bürgerminifteriums in vollster
Gemüthlichkeit dahingegeben, und die Minister ihrerseits ruhten aus den unschwer
errungenen Lorbeeren behaglich zuerst, in wachsender Selbstgenügsamkeit später aus.
Im Grunde war ja der stürmisch ausgesprochene Vvlkswillen für schnelle Einbe¬
rufung des Landtags möglichst erfüllt worden und Minister und Stände sonnt
ohne besondere Schuld, denn beide Theile mußten dem Volke genugsam bekannt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/267>, abgerufen am 25.12.2024.