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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Nation, und sie brachte die Reminiscenzen Rousseau's und der alten Classiker mit.
Die französische Revolution war naiv, wie es ihre Aufklärung gewesen war; wir
haben die Schule durchgemacht und unser Enthusiasmus war von ironischen Mo¬
menten zersetzt. Wir wissen zuviel, wir mußten uns in die Naivität unsers Idea¬
lismus erst hineinreflectiren.

Das galt von dem modernen Franzoseu ebenso. Wie viel Reflectirtes liegt
in den romantischen Revolutionsgeschichten von Louis Biene, Michelet, Lamartine,
den Unheilvögeln, die dem Sturm der Revolution vorangingen! Welcher Thea-
terprunk in der wüsten Lehre des Socialismus, selbst in seinen Problemen, die
nnr die Poesie einer George Sand zu einer idealen Berechtigung zu erheben Ver¬
mochte. Die Poesie ist ein gefährliches Vehikel der Politik; der 15. Mai und
der 18. Juni geben davon ein gränelvolles Zeugniß. Aber die Tragödie hatte
einen Schluß, weil sie energisch und concentrirt war; die Auflösung führte
zwar in die gemeine Prosa eines Cavaignac -- nach Lamartine's hohem Anflug
ein herber Schluß, wie wir ihn in Shakespear's Gemälden finden; aber die
Heftigkeit des Fiebers rettete den Staat vor dem langsamen Hinsieche".

Unsere Lage war nicht so glücklich. Es fehlte der reale Brennpunkt für die
Strahlen des Freiheitsgefühls; man suchte einen idealen. Man fand ihn i" der
Einheit Deutschlands -- eigentlich nur der Ort, wohin man alles Schöne und
Vortreffliche hinstellte, was man im Herzen trug. Das Vorparlament trat zu¬
sammen -- der erste falsche Schritt der Revolution, weil er ein unbestimmtes Ziel
in Aussicht stellte und eine unbestimmte Furcht erregte. Als das Vorparlament
die deutsche Republik aus begreiflichen Gründen nicht einrichtete, boten die conse-
anentcn Revolutionärs wie Karl Moor das lüderliche Gesinde! Süddeutschlands
uns, UM eine Republik zu gründen, gegen welche Rom und Sparta Nonnenklöster
gewesen wäre". So war schon das revolutionäre Vorparlament in der Reaktion.
Gleichzeitig gab Oestreich eine "Konstitution" - - eine Phrase wie jede andere
auch -, wie aber eine Verfassung bei einer Reihe Völker von verschiedenen
Zungen möglich sei, darüber machten sich diese Staatsmänner keine Gedanken.
Die Studenten in Wien durchschwärmten eine Revolution nach der ändern, es
war ein heiteres Treiben, aber zu übermüthig um lange dauern zu können. Man
übersteigerte seine Kräfte und konnte darum der Lähmung nicht entgehen. Son¬
derbarer Weise wurde die Nationalversammlung, als der Sammelplatz der größten
Intelligenz in Deutschland, das Centrum der Reaction; denn wo Verstand ist,
strebt man nach einem gesetzlichen Zustand. So suchten die stoffloser Idealisten
einen andern Mittelpunkt; es organisirten sich die demokratischen Vereine. Es dit
bete sich eine eigne Classe von commis on'^-^ours der Freiheit, die in den Städten
Gastrollen gaben und überall zu Hause warett -- die Polen, das Volk des blos ideellen
Vaterlandes, gaben den Kern zu dieser Armee. Die conservative Partei der ver¬
schiedenen Staaten und Städte konnte nicht so zusammenhalten, weil das Positive


Nation, und sie brachte die Reminiscenzen Rousseau's und der alten Classiker mit.
Die französische Revolution war naiv, wie es ihre Aufklärung gewesen war; wir
haben die Schule durchgemacht und unser Enthusiasmus war von ironischen Mo¬
menten zersetzt. Wir wissen zuviel, wir mußten uns in die Naivität unsers Idea¬
lismus erst hineinreflectiren.

Das galt von dem modernen Franzoseu ebenso. Wie viel Reflectirtes liegt
in den romantischen Revolutionsgeschichten von Louis Biene, Michelet, Lamartine,
den Unheilvögeln, die dem Sturm der Revolution vorangingen! Welcher Thea-
terprunk in der wüsten Lehre des Socialismus, selbst in seinen Problemen, die
nnr die Poesie einer George Sand zu einer idealen Berechtigung zu erheben Ver¬
mochte. Die Poesie ist ein gefährliches Vehikel der Politik; der 15. Mai und
der 18. Juni geben davon ein gränelvolles Zeugniß. Aber die Tragödie hatte
einen Schluß, weil sie energisch und concentrirt war; die Auflösung führte
zwar in die gemeine Prosa eines Cavaignac — nach Lamartine's hohem Anflug
ein herber Schluß, wie wir ihn in Shakespear's Gemälden finden; aber die
Heftigkeit des Fiebers rettete den Staat vor dem langsamen Hinsieche».

Unsere Lage war nicht so glücklich. Es fehlte der reale Brennpunkt für die
Strahlen des Freiheitsgefühls; man suchte einen idealen. Man fand ihn i» der
Einheit Deutschlands — eigentlich nur der Ort, wohin man alles Schöne und
Vortreffliche hinstellte, was man im Herzen trug. Das Vorparlament trat zu¬
sammen — der erste falsche Schritt der Revolution, weil er ein unbestimmtes Ziel
in Aussicht stellte und eine unbestimmte Furcht erregte. Als das Vorparlament
die deutsche Republik aus begreiflichen Gründen nicht einrichtete, boten die conse-
anentcn Revolutionärs wie Karl Moor das lüderliche Gesinde! Süddeutschlands
uns, UM eine Republik zu gründen, gegen welche Rom und Sparta Nonnenklöster
gewesen wäre». So war schon das revolutionäre Vorparlament in der Reaktion.
Gleichzeitig gab Oestreich eine „Konstitution" - - eine Phrase wie jede andere
auch -, wie aber eine Verfassung bei einer Reihe Völker von verschiedenen
Zungen möglich sei, darüber machten sich diese Staatsmänner keine Gedanken.
Die Studenten in Wien durchschwärmten eine Revolution nach der ändern, es
war ein heiteres Treiben, aber zu übermüthig um lange dauern zu können. Man
übersteigerte seine Kräfte und konnte darum der Lähmung nicht entgehen. Son¬
derbarer Weise wurde die Nationalversammlung, als der Sammelplatz der größten
Intelligenz in Deutschland, das Centrum der Reaction; denn wo Verstand ist,
strebt man nach einem gesetzlichen Zustand. So suchten die stoffloser Idealisten
einen andern Mittelpunkt; es organisirten sich die demokratischen Vereine. Es dit
bete sich eine eigne Classe von commis on'^-^ours der Freiheit, die in den Städten
Gastrollen gaben und überall zu Hause warett — die Polen, das Volk des blos ideellen
Vaterlandes, gaben den Kern zu dieser Armee. Die conservative Partei der ver¬
schiedenen Staaten und Städte konnte nicht so zusammenhalten, weil das Positive


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/263>, abgerufen am 21.11.2024.