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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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seiner Natur nach verschieden ist, die Interessen kreuzen sich, während die Radi
talem überall die gleiche Aufgabe hatten, die bestehenden Staatsverhältnisse auf¬
zulösen. In der Nationalversammlung geschlagen, pflanzten sie die Fahne des Par¬
tikularismus auf, wenn sie es auch nicht verschmähten, z. B. in Oestreich, zum
Deckmantel ihrer revolutionären Bestrebungen, die Einheitsfarben aufzustecken. Die
konservative Partei beharrte in einer rein ablehnenden Thätigkeit, sie fürchtete
und haßte, ohne die Kraft zu haben, aus sich selber einen schöpferischen Gedanken
hervorzurufen. Sie hatte zur Widerlegung ihrer Gegner eine Sophistik wie die
anderen auch; die Parteien spielten mit ihren Stichwörtern Fangball und man konnte
zuletzt in der allgemeinen Begriffsverwirrung sagen, es wußte keiner mehr, was er
dachte, geschweige was er wollte.

So entschied endlich die rohe Gewalt. Die "Demokraten" haben sie herauf¬
beschworen, sie wendete sich nun gegen sie. Wie die spanischen Republikaner den
Militärterrorismus Narvaez', die Pariser Socialisten das Regiment Cavaignac
und gar die Sehnsucht nach dem Namen des alten Kaiserreichs hervorriefen, so
der italienische Aufstand der Sieg Radetzky's, der polnische die Herrschaft Pfuels.
Prag erlag den Kanonen des Fürsten Windischgrätz, der schwindelnde Ehrgeiz
der Magyaren gab dein Schwert des Krvatenhäuptlings den rechtlichen Vorwand
und die Gaminwirthschast in Berlin hat endlich Wrangel und Brandenburg das
Heft in die Hände gegeben.

Soll es damit endigen? Sollen wir uns ans dem Despotismus der Diplo¬
maten nur darum gerettet haben, um dem noch viel schlimmern Joch der Solda¬
teska zu verfallen? Wo die Gewalt entscheidet, muß es stets dahin kommen,
denn im Faustrecht herrscht die gepanzerte Faust.

Noch ist es uicht so schlimm. Wohl haben wir alle gesündigt. Wenn die
Radikalen durch die Aushöhlung aller sittlichen Begriffe den einzigen Boden der
Freiheit -- den Rechtsboden unterwühlt haben, so hat die conservative Partei
durch aristokratische Absonderung, durch eitlen Egoismus und durch sittliche Halt¬
losigkeit ihr in die Hände gearbeitet. Wir stehn an einem gefährlichern Abgrund,
als der, aus welchem uns die elastische Gewalt der revolutionären Leidenschaft
entführt hat. Der schöne Traum ist vorüber, die kalte Reflexion, die Nachwehen
des Rausches flößen uns Erbitterung ein, aber keinen Muth. Die schöne, aber
trügerische Poesie der Freiheit haben wir verloren.

Aber nicht den-Glauben der Freiheit. Die Vernunft ist unverwüstlich, sie
überlebt die Thorheiten der Menschen, die in ihrem Namen schwärmen. Die Ge¬
fahr, die jetzt ernst uns entgegentritt, gibt unserer Leidenschaft einen Inhalt.
Man sehe, wie schnell der Ernst der Situation die so ganz schlechte Berliner Ver¬
sammlung verwandelt hat. Sie hat Haltung gewonnen, wenn sich auch noch viel
Theaterprunk hineinmischt.

Wollen wir dieser Gefahr ^- die um so ernster ist, je mehr jetzt die Schwächen


seiner Natur nach verschieden ist, die Interessen kreuzen sich, während die Radi
talem überall die gleiche Aufgabe hatten, die bestehenden Staatsverhältnisse auf¬
zulösen. In der Nationalversammlung geschlagen, pflanzten sie die Fahne des Par¬
tikularismus auf, wenn sie es auch nicht verschmähten, z. B. in Oestreich, zum
Deckmantel ihrer revolutionären Bestrebungen, die Einheitsfarben aufzustecken. Die
konservative Partei beharrte in einer rein ablehnenden Thätigkeit, sie fürchtete
und haßte, ohne die Kraft zu haben, aus sich selber einen schöpferischen Gedanken
hervorzurufen. Sie hatte zur Widerlegung ihrer Gegner eine Sophistik wie die
anderen auch; die Parteien spielten mit ihren Stichwörtern Fangball und man konnte
zuletzt in der allgemeinen Begriffsverwirrung sagen, es wußte keiner mehr, was er
dachte, geschweige was er wollte.

So entschied endlich die rohe Gewalt. Die „Demokraten" haben sie herauf¬
beschworen, sie wendete sich nun gegen sie. Wie die spanischen Republikaner den
Militärterrorismus Narvaez', die Pariser Socialisten das Regiment Cavaignac
und gar die Sehnsucht nach dem Namen des alten Kaiserreichs hervorriefen, so
der italienische Aufstand der Sieg Radetzky's, der polnische die Herrschaft Pfuels.
Prag erlag den Kanonen des Fürsten Windischgrätz, der schwindelnde Ehrgeiz
der Magyaren gab dein Schwert des Krvatenhäuptlings den rechtlichen Vorwand
und die Gaminwirthschast in Berlin hat endlich Wrangel und Brandenburg das
Heft in die Hände gegeben.

Soll es damit endigen? Sollen wir uns ans dem Despotismus der Diplo¬
maten nur darum gerettet haben, um dem noch viel schlimmern Joch der Solda¬
teska zu verfallen? Wo die Gewalt entscheidet, muß es stets dahin kommen,
denn im Faustrecht herrscht die gepanzerte Faust.

Noch ist es uicht so schlimm. Wohl haben wir alle gesündigt. Wenn die
Radikalen durch die Aushöhlung aller sittlichen Begriffe den einzigen Boden der
Freiheit — den Rechtsboden unterwühlt haben, so hat die conservative Partei
durch aristokratische Absonderung, durch eitlen Egoismus und durch sittliche Halt¬
losigkeit ihr in die Hände gearbeitet. Wir stehn an einem gefährlichern Abgrund,
als der, aus welchem uns die elastische Gewalt der revolutionären Leidenschaft
entführt hat. Der schöne Traum ist vorüber, die kalte Reflexion, die Nachwehen
des Rausches flößen uns Erbitterung ein, aber keinen Muth. Die schöne, aber
trügerische Poesie der Freiheit haben wir verloren.

Aber nicht den-Glauben der Freiheit. Die Vernunft ist unverwüstlich, sie
überlebt die Thorheiten der Menschen, die in ihrem Namen schwärmen. Die Ge¬
fahr, die jetzt ernst uns entgegentritt, gibt unserer Leidenschaft einen Inhalt.
Man sehe, wie schnell der Ernst der Situation die so ganz schlechte Berliner Ver¬
sammlung verwandelt hat. Sie hat Haltung gewonnen, wenn sich auch noch viel
Theaterprunk hineinmischt.

Wollen wir dieser Gefahr ^- die um so ernster ist, je mehr jetzt die Schwächen


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[0264] seiner Natur nach verschieden ist, die Interessen kreuzen sich, während die Radi talem überall die gleiche Aufgabe hatten, die bestehenden Staatsverhältnisse auf¬ zulösen. In der Nationalversammlung geschlagen, pflanzten sie die Fahne des Par¬ tikularismus auf, wenn sie es auch nicht verschmähten, z. B. in Oestreich, zum Deckmantel ihrer revolutionären Bestrebungen, die Einheitsfarben aufzustecken. Die konservative Partei beharrte in einer rein ablehnenden Thätigkeit, sie fürchtete und haßte, ohne die Kraft zu haben, aus sich selber einen schöpferischen Gedanken hervorzurufen. Sie hatte zur Widerlegung ihrer Gegner eine Sophistik wie die anderen auch; die Parteien spielten mit ihren Stichwörtern Fangball und man konnte zuletzt in der allgemeinen Begriffsverwirrung sagen, es wußte keiner mehr, was er dachte, geschweige was er wollte. So entschied endlich die rohe Gewalt. Die „Demokraten" haben sie herauf¬ beschworen, sie wendete sich nun gegen sie. Wie die spanischen Republikaner den Militärterrorismus Narvaez', die Pariser Socialisten das Regiment Cavaignac und gar die Sehnsucht nach dem Namen des alten Kaiserreichs hervorriefen, so der italienische Aufstand der Sieg Radetzky's, der polnische die Herrschaft Pfuels. Prag erlag den Kanonen des Fürsten Windischgrätz, der schwindelnde Ehrgeiz der Magyaren gab dein Schwert des Krvatenhäuptlings den rechtlichen Vorwand und die Gaminwirthschast in Berlin hat endlich Wrangel und Brandenburg das Heft in die Hände gegeben. Soll es damit endigen? Sollen wir uns ans dem Despotismus der Diplo¬ maten nur darum gerettet haben, um dem noch viel schlimmern Joch der Solda¬ teska zu verfallen? Wo die Gewalt entscheidet, muß es stets dahin kommen, denn im Faustrecht herrscht die gepanzerte Faust. Noch ist es uicht so schlimm. Wohl haben wir alle gesündigt. Wenn die Radikalen durch die Aushöhlung aller sittlichen Begriffe den einzigen Boden der Freiheit — den Rechtsboden unterwühlt haben, so hat die conservative Partei durch aristokratische Absonderung, durch eitlen Egoismus und durch sittliche Halt¬ losigkeit ihr in die Hände gearbeitet. Wir stehn an einem gefährlichern Abgrund, als der, aus welchem uns die elastische Gewalt der revolutionären Leidenschaft entführt hat. Der schöne Traum ist vorüber, die kalte Reflexion, die Nachwehen des Rausches flößen uns Erbitterung ein, aber keinen Muth. Die schöne, aber trügerische Poesie der Freiheit haben wir verloren. Aber nicht den-Glauben der Freiheit. Die Vernunft ist unverwüstlich, sie überlebt die Thorheiten der Menschen, die in ihrem Namen schwärmen. Die Ge¬ fahr, die jetzt ernst uns entgegentritt, gibt unserer Leidenschaft einen Inhalt. Man sehe, wie schnell der Ernst der Situation die so ganz schlechte Berliner Ver¬ sammlung verwandelt hat. Sie hat Haltung gewonnen, wenn sich auch noch viel Theaterprunk hineinmischt. Wollen wir dieser Gefahr ^- die um so ernster ist, je mehr jetzt die Schwächen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/264>, abgerufen am 22.07.2024.