Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.lassen. Diese unnatürliche Erregung dauerte so lange, bis endlich auch der Ab¬ Es ist ein Unterschied zwischen Reaction und Reaction. Der Idealismus Die gesunde Reaction besteht in der Kritik des Verstandes gegen die will¬ Eine andere Reaktion ist dann die Leidenschaft der Besitzenden, die durch die lassen. Diese unnatürliche Erregung dauerte so lange, bis endlich auch der Ab¬ Es ist ein Unterschied zwischen Reaction und Reaction. Der Idealismus Die gesunde Reaction besteht in der Kritik des Verstandes gegen die will¬ Eine andere Reaktion ist dann die Leidenschaft der Besitzenden, die durch die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0261" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277017"/> <p xml:id="ID_750" prev="#ID_749"> lassen. Diese unnatürliche Erregung dauerte so lange, bis endlich auch der Ab¬<lb/> spannung die wirkliche Reaction folgte. Sie ist jetzt da, und um so gefährli¬<lb/> cher, weil sie selber in der Form der Leidenschaft auftritt.</p><lb/> <p xml:id="ID_751"> Es ist ein Unterschied zwischen Reaction und Reaction. Der Idealismus<lb/> ist reich an Wünschen, die ihm als Forderungen der Vernunft erscheinen.<lb/> Alle Menschen sollen gleich, alle glücklich, alle frei sein. Als Leidenschaft wen¬<lb/> det er sich gegen die Erscheinungen des wirklichen Lebens, die diesen For¬<lb/> derungen unmittelbar widersprechen. Er schafft den Adel ab, vielleicht anch<lb/> das Königthum; er decretirt Aufhebung des Proletariats; practischer ausgedrückt,<lb/> er vindicirt den Armen das Recht, dem Reichen zu nehmen, was dieser zu viel<lb/> hat. Vielleicht siegt die Leidenschaft, denn schon ihr Ausbruch deutet auf die Hohl¬<lb/> heit des Gebäudes, gegen das sie gerichtet ist. Nun geht es aber an das Detail.<lb/> Bald merkt man, daß durch bloße Decrete die „Krankheiten der Gesellschaft" nicht<lb/> gehoben werden; statt aber die Unmöglichkeit zu erkennen, im Sturm ein neues<lb/> System der Gesellschaft zu begründen, wird man ungeduldig; in dem Aberglau¬<lb/> ben an das Princip, dem man huldigt, sucht man die Schwierigkeiten der Aus¬<lb/> führung nur in dem boshaften Widerstand der Egoisten. Es kommt zum Terro¬<lb/> rismus, zur absoluten Herrschaft einer phantastischen Gewalt, endlich zur geheime»<lb/> Wuth, zuerst gegen diese Gewalt, dann gegen die Principien, aus denen sie ent¬<lb/> sprang — zur Reaction. So war der Verlauf der größten Tragödie der Welt¬<lb/> geschichte, der ersten französischen Revolution.</p><lb/> <p xml:id="ID_752"> Die gesunde Reaction besteht in der Kritik des Verstandes gegen die will¬<lb/> kürliche Freiheit des Idealismus. Dieselbe Kritik, welche früher die Ideale des<lb/> Bestehenden, den legitimen Glauben, auflöst. Die Grenzboten haben diese<lb/> Kritik zu ihrer Aufgabe gemacht, wie früher die Jahrbücher die Illusionen des<lb/> conventionellen Lebens analysirten. Eine solche Kritik ist nicht ein Feind der Prin¬<lb/> cipien, welche die Revolution hervorriefen; sie allein ist vielmehr im Stande, ihnen<lb/> ein Maaß und damit eine bestimmte Gestalt zu geben. In viel größerem Maa߬<lb/> stab, als ein Journal es vermag, übt die Nationalversammlung zu Frankfurt,<lb/> eine drr würdigsten Erscheinungen, welche die Geschichte kennt, jene Kritik an den<lb/> Illusionen — an der Romantik der Revolution. — Sie ist daher - - nicht con-<lb/> servativ, denn das ist eine unfruchtbare Stellung, sondern reaktionär gegen den<lb/> Wahnsinn der Leidenschaft, wie das die Apostel dieses Wahnsinns ganz richtig<lb/> ausgesprochen haben. Aber nur durch diese reaktionäre Haltung ist eine wahrhaft<lb/> organisirende, eine schöpferische Thätigkeit möglich.</p><lb/> <p xml:id="ID_753" next="#ID_754"> Eine andere Reaktion ist dann die Leidenschaft der Besitzenden, die durch die<lb/> neuen Ideen beunruhigt und gefährdet werden. Sie ist ohnmächtig, so lang der<lb/> neue Geist die Kritik nicht verliert, denn die Idee ist allmächtig, wenn sie bei<lb/> Verstände bleibt; wenn sie aber mit dem Bewußtsein auch die Macht über sich<lb/> selber aufgiebt, so wird keine Deklamation, kein Dekret und kein Schaffot im</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0261]
lassen. Diese unnatürliche Erregung dauerte so lange, bis endlich auch der Ab¬
spannung die wirkliche Reaction folgte. Sie ist jetzt da, und um so gefährli¬
cher, weil sie selber in der Form der Leidenschaft auftritt.
Es ist ein Unterschied zwischen Reaction und Reaction. Der Idealismus
ist reich an Wünschen, die ihm als Forderungen der Vernunft erscheinen.
Alle Menschen sollen gleich, alle glücklich, alle frei sein. Als Leidenschaft wen¬
det er sich gegen die Erscheinungen des wirklichen Lebens, die diesen For¬
derungen unmittelbar widersprechen. Er schafft den Adel ab, vielleicht anch
das Königthum; er decretirt Aufhebung des Proletariats; practischer ausgedrückt,
er vindicirt den Armen das Recht, dem Reichen zu nehmen, was dieser zu viel
hat. Vielleicht siegt die Leidenschaft, denn schon ihr Ausbruch deutet auf die Hohl¬
heit des Gebäudes, gegen das sie gerichtet ist. Nun geht es aber an das Detail.
Bald merkt man, daß durch bloße Decrete die „Krankheiten der Gesellschaft" nicht
gehoben werden; statt aber die Unmöglichkeit zu erkennen, im Sturm ein neues
System der Gesellschaft zu begründen, wird man ungeduldig; in dem Aberglau¬
ben an das Princip, dem man huldigt, sucht man die Schwierigkeiten der Aus¬
führung nur in dem boshaften Widerstand der Egoisten. Es kommt zum Terro¬
rismus, zur absoluten Herrschaft einer phantastischen Gewalt, endlich zur geheime»
Wuth, zuerst gegen diese Gewalt, dann gegen die Principien, aus denen sie ent¬
sprang — zur Reaction. So war der Verlauf der größten Tragödie der Welt¬
geschichte, der ersten französischen Revolution.
Die gesunde Reaction besteht in der Kritik des Verstandes gegen die will¬
kürliche Freiheit des Idealismus. Dieselbe Kritik, welche früher die Ideale des
Bestehenden, den legitimen Glauben, auflöst. Die Grenzboten haben diese
Kritik zu ihrer Aufgabe gemacht, wie früher die Jahrbücher die Illusionen des
conventionellen Lebens analysirten. Eine solche Kritik ist nicht ein Feind der Prin¬
cipien, welche die Revolution hervorriefen; sie allein ist vielmehr im Stande, ihnen
ein Maaß und damit eine bestimmte Gestalt zu geben. In viel größerem Maa߬
stab, als ein Journal es vermag, übt die Nationalversammlung zu Frankfurt,
eine drr würdigsten Erscheinungen, welche die Geschichte kennt, jene Kritik an den
Illusionen — an der Romantik der Revolution. — Sie ist daher - - nicht con-
servativ, denn das ist eine unfruchtbare Stellung, sondern reaktionär gegen den
Wahnsinn der Leidenschaft, wie das die Apostel dieses Wahnsinns ganz richtig
ausgesprochen haben. Aber nur durch diese reaktionäre Haltung ist eine wahrhaft
organisirende, eine schöpferische Thätigkeit möglich.
Eine andere Reaktion ist dann die Leidenschaft der Besitzenden, die durch die
neuen Ideen beunruhigt und gefährdet werden. Sie ist ohnmächtig, so lang der
neue Geist die Kritik nicht verliert, denn die Idee ist allmächtig, wenn sie bei
Verstände bleibt; wenn sie aber mit dem Bewußtsein auch die Macht über sich
selber aufgiebt, so wird keine Deklamation, kein Dekret und kein Schaffot im
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |