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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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ihn ausgibt, wirft man hier Goldstücke ohne Bedenken auf eine Karte. Der Spie¬
ler wird abergläubisch in der Beobachtung der wechselnden Combinationen; während
sein Verstand ihm deutlich sagt, daß all seine Berechnungen auf einer unsinnigen
Voraussetzung beruhen, kann er sich ihrer doch nicht erwehren. Und doch liegt
in diesem Zustand momentanen Wahnsinns eine Art wilder Poesie.

Ganz ähnlich verhält es sich mit der Revolution. Sie unterbricht den Aber¬
glauben des absoluten Egoismus, der in der Sicherheit des gewohnten Besitzes
auch die besten Menschen befängt. In der Revolution wird das ganze System
des Besitzes in Frage gestellt; die Vorstellungen scheinen sich zu verwandeln mit
den neuen Anschauungen. Im Zustand des Rausches, wie in der Liebe, kommt
der Mensch sich stets vollkommen vor, weil sein Idealismus frei heraustritt. Es
ist das eine Täuschung, denn die Herrschaft der einen Seite des Wesens wird dem
Wesen nicht gerecht, denn die andern Seiten werden nur scheinbar überwunden.
Am andern Morgen geht der Spieler seinem gewohnten Geschäfte nach, nur
mit etwas Dumpfheit im Kopfe; und wenn der Rausch ausgeschlafen ist, hat
es mit dem Idealismus nicht mehr viel ans sich. In der französischen Revolu¬
tion quoll mit dem Blutstrahl aus dem Haupt des "tugendhaften" Robespierre
das alte Recht des Egoismus neu hervor. Aber die Erinnerung an einem Zu¬
stand, in welchem die Seele sich frei fühlte vou den Bedingungen, die sie sonst
zum Knecht machten, bleibt wie ein Traum im Herzen, wie die geheime Poesie, die
zurückgedrängt werden kann, aber auch als Schatten das Leben adelt.

Mau überschätzt die Leidenschaft, wenn man sie, wie Herr Vogt in der Pauls-
kirche und die Fourricristcn, für die alleinige productive Gewalt hält. Freilich
wird eine Ueberzeugung erst dann prodnctiv, wenn sie zum Glaube" wird, wenn
sie also die weitere Reflexion ausschließt. Der Zustand der Landschaft selbst aber
ist die Unfreiheit und darum wider die ideelle Natur des Menschen; nur als vor¬
übergehender Proceß ist sie im Recht. Der einmalige Rausch des Spiels stählt
die Nerven, festgehalten, wird er zum Laster, zum Wahnsinn. Mit der Leiden¬
schaft für Ideen ist es noch schlimmer, weil der unmittelbare sinnliche Reiz fehlt;
man steigert sie daher künstlich um sie zu erhalten und leitet sie in verkehrte Wege.
Um so gewaltiger wird dann bei einem plötzlichen Umschwung die Reaction; --
nicht die bloß äußerliche der Gewalt, soudern die innere des Gemüths.

Unsere deutsche Revolution hatte das Glück und das Unglück, in ihrer ersten
Erscheinung zu leicht auszusehen. Eben weil sie sich so bequem, so ganz vou selbst
machte, fehlte ihr die sittliche Tiefe. Um zu siegen, hatte man die Leidenschaften
beschworen; nnn fand die Leidenschaft keinen Gegenstand. Alles war fertig, ehe man
das Schwert gezogen -- ich meine natürlich nnr die kritische, negative Aufgabe --
nnn mußte man nach einem Objekt suchen und darum zeichnete man das Gespenst
der Reaction an die Wand. Man dachte sich nichts bestimmtes dabei, mau wollte
nur einen Gegensatz haben, um die Flamme sich nicht in sich selbst verzehren zu


ihn ausgibt, wirft man hier Goldstücke ohne Bedenken auf eine Karte. Der Spie¬
ler wird abergläubisch in der Beobachtung der wechselnden Combinationen; während
sein Verstand ihm deutlich sagt, daß all seine Berechnungen auf einer unsinnigen
Voraussetzung beruhen, kann er sich ihrer doch nicht erwehren. Und doch liegt
in diesem Zustand momentanen Wahnsinns eine Art wilder Poesie.

Ganz ähnlich verhält es sich mit der Revolution. Sie unterbricht den Aber¬
glauben des absoluten Egoismus, der in der Sicherheit des gewohnten Besitzes
auch die besten Menschen befängt. In der Revolution wird das ganze System
des Besitzes in Frage gestellt; die Vorstellungen scheinen sich zu verwandeln mit
den neuen Anschauungen. Im Zustand des Rausches, wie in der Liebe, kommt
der Mensch sich stets vollkommen vor, weil sein Idealismus frei heraustritt. Es
ist das eine Täuschung, denn die Herrschaft der einen Seite des Wesens wird dem
Wesen nicht gerecht, denn die andern Seiten werden nur scheinbar überwunden.
Am andern Morgen geht der Spieler seinem gewohnten Geschäfte nach, nur
mit etwas Dumpfheit im Kopfe; und wenn der Rausch ausgeschlafen ist, hat
es mit dem Idealismus nicht mehr viel ans sich. In der französischen Revolu¬
tion quoll mit dem Blutstrahl aus dem Haupt des „tugendhaften" Robespierre
das alte Recht des Egoismus neu hervor. Aber die Erinnerung an einem Zu¬
stand, in welchem die Seele sich frei fühlte vou den Bedingungen, die sie sonst
zum Knecht machten, bleibt wie ein Traum im Herzen, wie die geheime Poesie, die
zurückgedrängt werden kann, aber auch als Schatten das Leben adelt.

Mau überschätzt die Leidenschaft, wenn man sie, wie Herr Vogt in der Pauls-
kirche und die Fourricristcn, für die alleinige productive Gewalt hält. Freilich
wird eine Ueberzeugung erst dann prodnctiv, wenn sie zum Glaube» wird, wenn
sie also die weitere Reflexion ausschließt. Der Zustand der Landschaft selbst aber
ist die Unfreiheit und darum wider die ideelle Natur des Menschen; nur als vor¬
übergehender Proceß ist sie im Recht. Der einmalige Rausch des Spiels stählt
die Nerven, festgehalten, wird er zum Laster, zum Wahnsinn. Mit der Leiden¬
schaft für Ideen ist es noch schlimmer, weil der unmittelbare sinnliche Reiz fehlt;
man steigert sie daher künstlich um sie zu erhalten und leitet sie in verkehrte Wege.
Um so gewaltiger wird dann bei einem plötzlichen Umschwung die Reaction; —
nicht die bloß äußerliche der Gewalt, soudern die innere des Gemüths.

Unsere deutsche Revolution hatte das Glück und das Unglück, in ihrer ersten
Erscheinung zu leicht auszusehen. Eben weil sie sich so bequem, so ganz vou selbst
machte, fehlte ihr die sittliche Tiefe. Um zu siegen, hatte man die Leidenschaften
beschworen; nnn fand die Leidenschaft keinen Gegenstand. Alles war fertig, ehe man
das Schwert gezogen — ich meine natürlich nnr die kritische, negative Aufgabe —
nnn mußte man nach einem Objekt suchen und darum zeichnete man das Gespenst
der Reaction an die Wand. Man dachte sich nichts bestimmtes dabei, mau wollte
nur einen Gegensatz haben, um die Flamme sich nicht in sich selbst verzehren zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/260>, abgerufen am 22.11.2024.