Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Felde ziehn n. s. w. Zuweilen nimmt diese gedankenlose Jneinandermischnng zweier
widersprechender Systeme den genialen Schein der Paradoxie an, z. B. "Anarchie
ist die beste Staatsform, "ur lst das Volk noch nicht reif dazu," wo man die
Aufhebung aller Formen des Witzes halber auch eine Form nennt. Im Ganzen
aber liebt die Masse den Witz nicht, sie kehrt lieber das Pathos heraus, weil
dieses ihrem Gemüth mehr Nahrung gibt. Je unbefangener sie sich der bloßen
Leidenschaft überläßt, je reiner tritt ihr Princip hervor. In der letzten Demo-
kratcnversammlung zu Berlin rief der eine Bummler: "Der Bürger Ottensosser
will ein Demokrat sein, und spricht von Geschäftsordnung!" Das ist naiv und
darum consequent.

Aber praktisch ist dieses reine Princip der Revolution nicht durchzuführen.
Selbst wenn sie sich in einen Guerillakrieg zersplittert, der, wie es in Spanien
geschieht, den Zustand der Gewalt ins Unbestimmte verlängert, so ist doch das
conservative Element im Menschen zu mächtig, als daß nicht wenigstens Perioden-
weise ein Zustand der Ordnung und des Gehorsams eintreten sollte. Ein sieg¬
reicher General, eine Junta, oder anch ein revolutionärer Ausschuß gibt seinem
Willen den Stempel der Gesetzlichkeit und rasirt die souveränen Köpfe, die im
Glauben an das absolute Recht der Revolution sich gegen den eisernen Fuß sträu¬
ben, der gleichfalls im Namen der Revolution sie in deu Staub niedertritt, dieses
Symbol der unbedingten Gleichheit, in welchem kein Unterschied ist zwischen den
Atomen.

Die Reaction folgt nicht blos auf die Revolution, sie ist ""mittelbar mit
ihr verbunden, wie der Schatten mit der Einwirkn"g des Lichts auf Körper. Die
Revolution ist zugleich eine innere Umgestaltung. Sie ist ein Rausch, der epi¬
demisch wirkt. Der ehrliche Spießbürger radotirt in deu Phrase", die seine Jünger
ihm vorzwitscher", selbst wenn er die "Ruhe "in jeden Preis" will, so fordert
er sie. doch im Namen der Volkssouveränität. Das ist nicht blos äußerliche Furcht
vor den Knitteln der Souveräne in Lederhosen, es ist der allgemeine Schwindel,
dessen er sich nicht erwehren kann. Zuletzt wird in dem Blut, welches in unge-
wohnter Form fließt, Alles so berauscht, daß sich mit der Wuth der Leidenschaft
ein gewisser thierischer Stumpfsinn paart, der sich ans dem Lebe" nichts macht,
weil "er es nicht mehr versteht." Ein peinlicher Zustand, in dem dennoch der
Keim der eigentlichen Berechtigung für die Revolution liegt, vom höhern sittlichen
Standpunkt angesehen.

Wer hat nicht einmal den wunderbaren Reiz des Hazardspieleö empfunden,
das durch eine künstliche Abstraktion mitten in der Prosa des Alltagslebens eine."
e^raltirteu Zustand hervorzaubert, der den Menschen ebenso über als unter seine Na¬
tur stellt. Der Reiz des Spiels beruht auf der gemeinsten und unsinnigsten Lei¬
denschaft, dem Geiz, der Begierde nach Geld, dem bloßen Symbol des Genusses.
Aber zugleich erhebt es darüber; wenn man sonst jede" Heller umdreht, ehe man


32*

Felde ziehn n. s. w. Zuweilen nimmt diese gedankenlose Jneinandermischnng zweier
widersprechender Systeme den genialen Schein der Paradoxie an, z. B. „Anarchie
ist die beste Staatsform, »ur lst das Volk noch nicht reif dazu," wo man die
Aufhebung aller Formen des Witzes halber auch eine Form nennt. Im Ganzen
aber liebt die Masse den Witz nicht, sie kehrt lieber das Pathos heraus, weil
dieses ihrem Gemüth mehr Nahrung gibt. Je unbefangener sie sich der bloßen
Leidenschaft überläßt, je reiner tritt ihr Princip hervor. In der letzten Demo-
kratcnversammlung zu Berlin rief der eine Bummler: „Der Bürger Ottensosser
will ein Demokrat sein, und spricht von Geschäftsordnung!" Das ist naiv und
darum consequent.

Aber praktisch ist dieses reine Princip der Revolution nicht durchzuführen.
Selbst wenn sie sich in einen Guerillakrieg zersplittert, der, wie es in Spanien
geschieht, den Zustand der Gewalt ins Unbestimmte verlängert, so ist doch das
conservative Element im Menschen zu mächtig, als daß nicht wenigstens Perioden-
weise ein Zustand der Ordnung und des Gehorsams eintreten sollte. Ein sieg¬
reicher General, eine Junta, oder anch ein revolutionärer Ausschuß gibt seinem
Willen den Stempel der Gesetzlichkeit und rasirt die souveränen Köpfe, die im
Glauben an das absolute Recht der Revolution sich gegen den eisernen Fuß sträu¬
ben, der gleichfalls im Namen der Revolution sie in deu Staub niedertritt, dieses
Symbol der unbedingten Gleichheit, in welchem kein Unterschied ist zwischen den
Atomen.

Die Reaction folgt nicht blos auf die Revolution, sie ist »»mittelbar mit
ihr verbunden, wie der Schatten mit der Einwirkn»g des Lichts auf Körper. Die
Revolution ist zugleich eine innere Umgestaltung. Sie ist ein Rausch, der epi¬
demisch wirkt. Der ehrliche Spießbürger radotirt in deu Phrase», die seine Jünger
ihm vorzwitscher», selbst wenn er die „Ruhe »in jeden Preis" will, so fordert
er sie. doch im Namen der Volkssouveränität. Das ist nicht blos äußerliche Furcht
vor den Knitteln der Souveräne in Lederhosen, es ist der allgemeine Schwindel,
dessen er sich nicht erwehren kann. Zuletzt wird in dem Blut, welches in unge-
wohnter Form fließt, Alles so berauscht, daß sich mit der Wuth der Leidenschaft
ein gewisser thierischer Stumpfsinn paart, der sich ans dem Lebe» nichts macht,
weil „er es nicht mehr versteht." Ein peinlicher Zustand, in dem dennoch der
Keim der eigentlichen Berechtigung für die Revolution liegt, vom höhern sittlichen
Standpunkt angesehen.

Wer hat nicht einmal den wunderbaren Reiz des Hazardspieleö empfunden,
das durch eine künstliche Abstraktion mitten in der Prosa des Alltagslebens eine.»
e^raltirteu Zustand hervorzaubert, der den Menschen ebenso über als unter seine Na¬
tur stellt. Der Reiz des Spiels beruht auf der gemeinsten und unsinnigsten Lei¬
denschaft, dem Geiz, der Begierde nach Geld, dem bloßen Symbol des Genusses.
Aber zugleich erhebt es darüber; wenn man sonst jede» Heller umdreht, ehe man


32*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0259" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277015"/>
          <p xml:id="ID_742" prev="#ID_741"> Felde ziehn n. s. w. Zuweilen nimmt diese gedankenlose Jneinandermischnng zweier<lb/>
widersprechender Systeme den genialen Schein der Paradoxie an, z. B. &#x201E;Anarchie<lb/>
ist die beste Staatsform, »ur lst das Volk noch nicht reif dazu," wo man die<lb/>
Aufhebung aller Formen des Witzes halber auch eine Form nennt. Im Ganzen<lb/>
aber liebt die Masse den Witz nicht, sie kehrt lieber das Pathos heraus, weil<lb/>
dieses ihrem Gemüth mehr Nahrung gibt. Je unbefangener sie sich der bloßen<lb/>
Leidenschaft überläßt, je reiner tritt ihr Princip hervor. In der letzten Demo-<lb/>
kratcnversammlung zu Berlin rief der eine Bummler: &#x201E;Der Bürger Ottensosser<lb/>
will ein Demokrat sein, und spricht von Geschäftsordnung!" Das ist naiv und<lb/>
darum consequent.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_743"> Aber praktisch ist dieses reine Princip der Revolution nicht durchzuführen.<lb/>
Selbst wenn sie sich in einen Guerillakrieg zersplittert, der, wie es in Spanien<lb/>
geschieht, den Zustand der Gewalt ins Unbestimmte verlängert, so ist doch das<lb/>
conservative Element im Menschen zu mächtig, als daß nicht wenigstens Perioden-<lb/>
weise ein Zustand der Ordnung und des Gehorsams eintreten sollte. Ein sieg¬<lb/>
reicher General, eine Junta, oder anch ein revolutionärer Ausschuß gibt seinem<lb/>
Willen den Stempel der Gesetzlichkeit und rasirt die souveränen Köpfe, die im<lb/>
Glauben an das absolute Recht der Revolution sich gegen den eisernen Fuß sträu¬<lb/>
ben, der gleichfalls im Namen der Revolution sie in deu Staub niedertritt, dieses<lb/>
Symbol der unbedingten Gleichheit, in welchem kein Unterschied ist zwischen den<lb/>
Atomen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_744"> Die Reaction folgt nicht blos auf die Revolution, sie ist »»mittelbar mit<lb/>
ihr verbunden, wie der Schatten mit der Einwirkn»g des Lichts auf Körper. Die<lb/>
Revolution ist zugleich eine innere Umgestaltung. Sie ist ein Rausch, der epi¬<lb/>
demisch wirkt. Der ehrliche Spießbürger radotirt in deu Phrase», die seine Jünger<lb/>
ihm vorzwitscher», selbst wenn er die &#x201E;Ruhe »in jeden Preis" will, so fordert<lb/>
er sie. doch im Namen der Volkssouveränität. Das ist nicht blos äußerliche Furcht<lb/>
vor den Knitteln der Souveräne in Lederhosen, es ist der allgemeine Schwindel,<lb/>
dessen er sich nicht erwehren kann. Zuletzt wird in dem Blut, welches in unge-<lb/>
wohnter Form fließt, Alles so berauscht, daß sich mit der Wuth der Leidenschaft<lb/>
ein gewisser thierischer Stumpfsinn paart, der sich ans dem Lebe» nichts macht,<lb/>
weil &#x201E;er es nicht mehr versteht." Ein peinlicher Zustand, in dem dennoch der<lb/>
Keim der eigentlichen Berechtigung für die Revolution liegt, vom höhern sittlichen<lb/>
Standpunkt angesehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_745" next="#ID_746"> Wer hat nicht einmal den wunderbaren Reiz des Hazardspieleö empfunden,<lb/>
das durch eine künstliche Abstraktion mitten in der Prosa des Alltagslebens eine.»<lb/>
e^raltirteu Zustand hervorzaubert, der den Menschen ebenso über als unter seine Na¬<lb/>
tur stellt. Der Reiz des Spiels beruht auf der gemeinsten und unsinnigsten Lei¬<lb/>
denschaft, dem Geiz, der Begierde nach Geld, dem bloßen Symbol des Genusses.<lb/>
Aber zugleich erhebt es darüber; wenn man sonst jede» Heller umdreht, ehe man</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 32*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0259] Felde ziehn n. s. w. Zuweilen nimmt diese gedankenlose Jneinandermischnng zweier widersprechender Systeme den genialen Schein der Paradoxie an, z. B. „Anarchie ist die beste Staatsform, »ur lst das Volk noch nicht reif dazu," wo man die Aufhebung aller Formen des Witzes halber auch eine Form nennt. Im Ganzen aber liebt die Masse den Witz nicht, sie kehrt lieber das Pathos heraus, weil dieses ihrem Gemüth mehr Nahrung gibt. Je unbefangener sie sich der bloßen Leidenschaft überläßt, je reiner tritt ihr Princip hervor. In der letzten Demo- kratcnversammlung zu Berlin rief der eine Bummler: „Der Bürger Ottensosser will ein Demokrat sein, und spricht von Geschäftsordnung!" Das ist naiv und darum consequent. Aber praktisch ist dieses reine Princip der Revolution nicht durchzuführen. Selbst wenn sie sich in einen Guerillakrieg zersplittert, der, wie es in Spanien geschieht, den Zustand der Gewalt ins Unbestimmte verlängert, so ist doch das conservative Element im Menschen zu mächtig, als daß nicht wenigstens Perioden- weise ein Zustand der Ordnung und des Gehorsams eintreten sollte. Ein sieg¬ reicher General, eine Junta, oder anch ein revolutionärer Ausschuß gibt seinem Willen den Stempel der Gesetzlichkeit und rasirt die souveränen Köpfe, die im Glauben an das absolute Recht der Revolution sich gegen den eisernen Fuß sträu¬ ben, der gleichfalls im Namen der Revolution sie in deu Staub niedertritt, dieses Symbol der unbedingten Gleichheit, in welchem kein Unterschied ist zwischen den Atomen. Die Reaction folgt nicht blos auf die Revolution, sie ist »»mittelbar mit ihr verbunden, wie der Schatten mit der Einwirkn»g des Lichts auf Körper. Die Revolution ist zugleich eine innere Umgestaltung. Sie ist ein Rausch, der epi¬ demisch wirkt. Der ehrliche Spießbürger radotirt in deu Phrase», die seine Jünger ihm vorzwitscher», selbst wenn er die „Ruhe »in jeden Preis" will, so fordert er sie. doch im Namen der Volkssouveränität. Das ist nicht blos äußerliche Furcht vor den Knitteln der Souveräne in Lederhosen, es ist der allgemeine Schwindel, dessen er sich nicht erwehren kann. Zuletzt wird in dem Blut, welches in unge- wohnter Form fließt, Alles so berauscht, daß sich mit der Wuth der Leidenschaft ein gewisser thierischer Stumpfsinn paart, der sich ans dem Lebe» nichts macht, weil „er es nicht mehr versteht." Ein peinlicher Zustand, in dem dennoch der Keim der eigentlichen Berechtigung für die Revolution liegt, vom höhern sittlichen Standpunkt angesehen. Wer hat nicht einmal den wunderbaren Reiz des Hazardspieleö empfunden, das durch eine künstliche Abstraktion mitten in der Prosa des Alltagslebens eine.» e^raltirteu Zustand hervorzaubert, der den Menschen ebenso über als unter seine Na¬ tur stellt. Der Reiz des Spiels beruht auf der gemeinsten und unsinnigsten Lei¬ denschaft, dem Geiz, der Begierde nach Geld, dem bloßen Symbol des Genusses. Aber zugleich erhebt es darüber; wenn man sonst jede» Heller umdreht, ehe man 32*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/259
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/259>, abgerufen am 26.06.2024.