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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Ministerium in Cöln reden -- daß Berg privatim die angeführte Frage in ihrer All¬
gemeinheit für vollkommen unpraktisch erklärte -- daß Waldeck, früher wenigstens,
bigotter Katholik war. Die Anklagen, welche die Reaction an diesen letzten Punkt
knüpft, sind leicht zu errathen.

Fragt sich nun, ob unter diesem Konglomerat von Interessen und Kräften ein
gewaltiges Talent ist, das die Entschiedener an sich zu ziehen, die Unentschlossenen
hinzureißen und so die verworrene Masse zu ordnen und nach einem bestimmten Ziele
hinzuführen versteht? Wir wollen nicht ungerecht sein, es sitzt manch ein fähiger Red¬
ner, manch ein scharfer Dialektiker, manch ein erfahrner Mann auf den Bänken im
Schauspielhause; nur das Einzige fehlt, was uns retten konnte, ein schaffender, orga-
nisirender Genius. So haben wir eine Kammer, die den zerrütteten Staat organisiren
soll und nicht einmal sich selber zu organisiren weiß. Nehmen wir zunächst die Ultras
der Rechten, sie bestehen einzig aus rheinischen Juristen und Ultramontanen, einigen
Beamten und hohen Adligen. Ihr Vertreter auf der Tribune ist Reichensperger,
ein eleganter, talentvoller Redner und allem Anschein nach eine edle Natur. Er ist
freier, unbefangner in seinem ganzen Wesen, als seine Kollegen; das Verbissene, Ge¬
hässige, was diese charakterisirt, sucht man in seinen Mienen und Bewegungen verge¬
bens. An Kenntnissen fehlt eS ihm nicht, das hat er namentlich bei juristischen Fragen
zur Genüge bewiesen. Doch steht er leider auf dem specifisch-christlichen Standpunkte,
der die Mystik des Gemüthes zur Richtschnur politischer Einrichtungen nehmen will --
so bei der Debatte über die Todesstrafe -- und was schlimmer ist, er geht seinen eigenen
Weg und läßt sich auf Bildung einer Partei nicht ein -- vielleicht eben wegen der
Elemente, die ihn umgeben. Auf diese Weise zeigt sich zwischen den Extremen aus
beiden Seiten eine merkwürdige Aehnlichkeit, der Mangel jedes bestimmten Prinzipes --
ihr ganzes Bestreben ist negativ. Die äußerste Linke will unbesehens Alles schwächen
und untergraben, was noch zusammenhält in dem zerrütteten Staate, die äußerste Rechte
Alles beibehalten, was sich irgend conserviren läßt. Nicht als ob sie die Wiederkehr
der alten Zustände wünschten, aber sie können sick, nicht entschließen, die Revolution
mit ihren Conseaueuzen anzuerkennen, sie begreifen nicht, daß die Verwandlung des
absoluten Staates in einen constitutionellen eine Umwälzung ist und bleibt, die in
allen Zweigen radikale Veränderungen nothwendig macht, mag diese Umgestaltung nnn
am IN. von oben oder in der folgenden Nacht von unten ausgegangen sein, sie sehen
nicht ein, wie man nur durch schnelles Zugeständniß des Nothwendigen vermeiden kann,
späterhin auch das geben zu müssen, was vom Uebel ist. Welche Partei bei diesem
Streite im Vortheil ist, die bewegliche, unbestimmt drängende mit ihrer Stütze im
Volke und im Zeitgeiste, oder die thatlose, der Verbindung mit der Camarilla ver¬
dächtigte, leuchtet von selbst ein. So bilden die Ultras der Rechten hier anders als
in Frankfurt eine leblose unbedeutende Masse. Ob Einzelne von ihnen wirklich aus
perfide Pläne des Hofes eingehen, ist zum mindesten höchst zweifelhaft. Die wenigen
Redner dieser Partei haben sich niemals den constitutionellen Maximen abgeneigt gezeigt,
nur ließen sie sich, nach ihrem hergebrachten Systeme, nie darauf ein, die Initiative zu
ergreisen bei den zur Reorganisation des Staates nothwendigen Schritten, ja sie wider¬
setzten sich der Berathung über die Habeascorpusacte, über die Umgestaltung des Land¬
rechtes so lange wie möglich, obwohl sie dann in freisinniger Weise an der Debatte
Theil nahmen. Sie wurden selbst, wie die äußerste Linke, durch ihren Eifer für das
Wohl des Volkes zu uupractischen Extravaganzen verleitet; so wollte Walt her, ob¬
wohl selbst Jurist, den Freunden und Verwandten jedes Gefangenen freien Zutritt


Ministerium in Cöln reden — daß Berg privatim die angeführte Frage in ihrer All¬
gemeinheit für vollkommen unpraktisch erklärte — daß Waldeck, früher wenigstens,
bigotter Katholik war. Die Anklagen, welche die Reaction an diesen letzten Punkt
knüpft, sind leicht zu errathen.

Fragt sich nun, ob unter diesem Konglomerat von Interessen und Kräften ein
gewaltiges Talent ist, das die Entschiedener an sich zu ziehen, die Unentschlossenen
hinzureißen und so die verworrene Masse zu ordnen und nach einem bestimmten Ziele
hinzuführen versteht? Wir wollen nicht ungerecht sein, es sitzt manch ein fähiger Red¬
ner, manch ein scharfer Dialektiker, manch ein erfahrner Mann auf den Bänken im
Schauspielhause; nur das Einzige fehlt, was uns retten konnte, ein schaffender, orga-
nisirender Genius. So haben wir eine Kammer, die den zerrütteten Staat organisiren
soll und nicht einmal sich selber zu organisiren weiß. Nehmen wir zunächst die Ultras
der Rechten, sie bestehen einzig aus rheinischen Juristen und Ultramontanen, einigen
Beamten und hohen Adligen. Ihr Vertreter auf der Tribune ist Reichensperger,
ein eleganter, talentvoller Redner und allem Anschein nach eine edle Natur. Er ist
freier, unbefangner in seinem ganzen Wesen, als seine Kollegen; das Verbissene, Ge¬
hässige, was diese charakterisirt, sucht man in seinen Mienen und Bewegungen verge¬
bens. An Kenntnissen fehlt eS ihm nicht, das hat er namentlich bei juristischen Fragen
zur Genüge bewiesen. Doch steht er leider auf dem specifisch-christlichen Standpunkte,
der die Mystik des Gemüthes zur Richtschnur politischer Einrichtungen nehmen will —
so bei der Debatte über die Todesstrafe — und was schlimmer ist, er geht seinen eigenen
Weg und läßt sich auf Bildung einer Partei nicht ein — vielleicht eben wegen der
Elemente, die ihn umgeben. Auf diese Weise zeigt sich zwischen den Extremen aus
beiden Seiten eine merkwürdige Aehnlichkeit, der Mangel jedes bestimmten Prinzipes —
ihr ganzes Bestreben ist negativ. Die äußerste Linke will unbesehens Alles schwächen
und untergraben, was noch zusammenhält in dem zerrütteten Staate, die äußerste Rechte
Alles beibehalten, was sich irgend conserviren läßt. Nicht als ob sie die Wiederkehr
der alten Zustände wünschten, aber sie können sick, nicht entschließen, die Revolution
mit ihren Conseaueuzen anzuerkennen, sie begreifen nicht, daß die Verwandlung des
absoluten Staates in einen constitutionellen eine Umwälzung ist und bleibt, die in
allen Zweigen radikale Veränderungen nothwendig macht, mag diese Umgestaltung nnn
am IN. von oben oder in der folgenden Nacht von unten ausgegangen sein, sie sehen
nicht ein, wie man nur durch schnelles Zugeständniß des Nothwendigen vermeiden kann,
späterhin auch das geben zu müssen, was vom Uebel ist. Welche Partei bei diesem
Streite im Vortheil ist, die bewegliche, unbestimmt drängende mit ihrer Stütze im
Volke und im Zeitgeiste, oder die thatlose, der Verbindung mit der Camarilla ver¬
dächtigte, leuchtet von selbst ein. So bilden die Ultras der Rechten hier anders als
in Frankfurt eine leblose unbedeutende Masse. Ob Einzelne von ihnen wirklich aus
perfide Pläne des Hofes eingehen, ist zum mindesten höchst zweifelhaft. Die wenigen
Redner dieser Partei haben sich niemals den constitutionellen Maximen abgeneigt gezeigt,
nur ließen sie sich, nach ihrem hergebrachten Systeme, nie darauf ein, die Initiative zu
ergreisen bei den zur Reorganisation des Staates nothwendigen Schritten, ja sie wider¬
setzten sich der Berathung über die Habeascorpusacte, über die Umgestaltung des Land¬
rechtes so lange wie möglich, obwohl sie dann in freisinniger Weise an der Debatte
Theil nahmen. Sie wurden selbst, wie die äußerste Linke, durch ihren Eifer für das
Wohl des Volkes zu uupractischen Extravaganzen verleitet; so wollte Walt her, ob¬
wohl selbst Jurist, den Freunden und Verwandten jedes Gefangenen freien Zutritt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/190>, abgerufen am 25.12.2024.