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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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der Südslaven, für dynastische Zwecke auszubeuten gewesen wäre; die Czechen er¬
kannten, daß die Pfingstwoche ein störender Rechenfehler in dem großen Problem
der slavischen Politik, ein blutiger Fleck auf allen ihren vergangenen und zu¬
künftigen Loyalitätsadressen sei, daß es eine Uebereilung gewesen, die Autonomie
Böhmens durch das forcirte Mittel der Waffengewalt mit Wegwerfung der schwarz¬
gelben Maske erzwingen zu wollen. Das stillschweigende Geständniß der wechsel¬
seitigen Taktlosigkeit wurde zur schnellen Versöhnung, Windischgrätz kann nun mit.
vollem Recht die verkannten Czechen als gute östreichische Unterthanen bei Hose
empfehlen. Er durste ihnen auch in seinem Manifeste ohne Anstand eröffnen, daß
ihn zwar keine in konstitutionellem Wege erlassene Ordre, sondern sein Pflicht¬
gefühl zum Schutze der Dynastie und der staatlichen Einheit Oestreichs abrufe;
denn er sah es ja ein, wie sehr sie sich in Gemeinschaft mit den übrigen Slaven
für die Integrität der Monarchie und für den Monarchen selbst interessiren. Aus
ahnliche Weise, aber mit weniger Erfolg berief sich der Ban den Wienern gegen¬
über auf sein Pflichtgefühl. "Er sei," so erklärt er selbst, "da er auf seinem Wege
von dem in Wien losgebrochenen Aufstande gehört, in die Nähe Wiens gezogen,
obgleich er als k. Commissär in Ungarn eine andere Richtung hätte einschlagen
können; aber als k. k. General mußte er kommen, wie einer, der einen Brand
gewahr wird, in die Nähe eilt um zu helfen, zwar nicht gerufen, aber be¬
reit, die Befehle seines Kaisers zu vollziehen." So hängen also die nächsten
Schicksale des freien Oestreichs von dem Pflichtgefühl seiner Generale ab, von
dumm wir nicht wissen können, wie viel sie vor Gott verantworten wollen, ob¬
gleich wir die Gewißheit haben, daß kein Minister für sie die Verantwortung
übernimmt. Die Czechen aber vertrauen sich viel lieber der Gewissenhaftigkeit der
t. 1'. Generale, als dem Radikalismus der Wiener an blos deshalb, weil die
lebten schwarzrothgoldne Bänder tragen.

Gleich am ". October, als die ersten Nachrichten aus Wien die Bewohner
Prags noch zu sehr betäubten, als daß sie zu einem einigermaßen abgeschlossenen
Urtheil darüber hätten kommen sollen, schickte der deutsche Verein an die slovimsk-i
lixm in>d der kaufmännische Verein an die czechische Bürgerressouree eine Deputa¬
tion mit dem freundlichen Anerbieten, mit vereinten Kräften, ohne Berücksichti¬
gung des nationalen Unterschiedes der Reaction und Anarchie entgegenarbeiten zu
wollen. Dies scheint aber nur ein formeller Schritt gewesen zu sein; von mehr
prcMscher Bedeutung ist die Vereinigung der "too-insini lip-i, mit dem Studenten¬
ausschüsse, die noch an demselben Tage erfolgte. Der letztere besteht ohnehin blos
aus slavischen Mitgliedern, und auch unsere Studentenschaft, in der doch früher
der Utraguismus der beiden Nationalitäten sich geltend machte, ist jetzt durchaus
slavisirt. Die mit dem Studentenausschüsse vereinigte slovanskü linii ließ nun
sogleich einen Aufruf ergehen, worin sie sich gegen jede gewaltsame Handlung der
Reichstagsminorität, welche diese zur Gefährdung der Gleichberechtigung der Na-


der Südslaven, für dynastische Zwecke auszubeuten gewesen wäre; die Czechen er¬
kannten, daß die Pfingstwoche ein störender Rechenfehler in dem großen Problem
der slavischen Politik, ein blutiger Fleck auf allen ihren vergangenen und zu¬
künftigen Loyalitätsadressen sei, daß es eine Uebereilung gewesen, die Autonomie
Böhmens durch das forcirte Mittel der Waffengewalt mit Wegwerfung der schwarz¬
gelben Maske erzwingen zu wollen. Das stillschweigende Geständniß der wechsel¬
seitigen Taktlosigkeit wurde zur schnellen Versöhnung, Windischgrätz kann nun mit.
vollem Recht die verkannten Czechen als gute östreichische Unterthanen bei Hose
empfehlen. Er durste ihnen auch in seinem Manifeste ohne Anstand eröffnen, daß
ihn zwar keine in konstitutionellem Wege erlassene Ordre, sondern sein Pflicht¬
gefühl zum Schutze der Dynastie und der staatlichen Einheit Oestreichs abrufe;
denn er sah es ja ein, wie sehr sie sich in Gemeinschaft mit den übrigen Slaven
für die Integrität der Monarchie und für den Monarchen selbst interessiren. Aus
ahnliche Weise, aber mit weniger Erfolg berief sich der Ban den Wienern gegen¬
über auf sein Pflichtgefühl. „Er sei," so erklärt er selbst, „da er auf seinem Wege
von dem in Wien losgebrochenen Aufstande gehört, in die Nähe Wiens gezogen,
obgleich er als k. Commissär in Ungarn eine andere Richtung hätte einschlagen
können; aber als k. k. General mußte er kommen, wie einer, der einen Brand
gewahr wird, in die Nähe eilt um zu helfen, zwar nicht gerufen, aber be¬
reit, die Befehle seines Kaisers zu vollziehen." So hängen also die nächsten
Schicksale des freien Oestreichs von dem Pflichtgefühl seiner Generale ab, von
dumm wir nicht wissen können, wie viel sie vor Gott verantworten wollen, ob¬
gleich wir die Gewißheit haben, daß kein Minister für sie die Verantwortung
übernimmt. Die Czechen aber vertrauen sich viel lieber der Gewissenhaftigkeit der
t. 1'. Generale, als dem Radikalismus der Wiener an blos deshalb, weil die
lebten schwarzrothgoldne Bänder tragen.

Gleich am «. October, als die ersten Nachrichten aus Wien die Bewohner
Prags noch zu sehr betäubten, als daß sie zu einem einigermaßen abgeschlossenen
Urtheil darüber hätten kommen sollen, schickte der deutsche Verein an die slovimsk-i
lixm in>d der kaufmännische Verein an die czechische Bürgerressouree eine Deputa¬
tion mit dem freundlichen Anerbieten, mit vereinten Kräften, ohne Berücksichti¬
gung des nationalen Unterschiedes der Reaction und Anarchie entgegenarbeiten zu
wollen. Dies scheint aber nur ein formeller Schritt gewesen zu sein; von mehr
prcMscher Bedeutung ist die Vereinigung der «too-insini lip-i, mit dem Studenten¬
ausschüsse, die noch an demselben Tage erfolgte. Der letztere besteht ohnehin blos
aus slavischen Mitgliedern, und auch unsere Studentenschaft, in der doch früher
der Utraguismus der beiden Nationalitäten sich geltend machte, ist jetzt durchaus
slavisirt. Die mit dem Studentenausschüsse vereinigte slovanskü linii ließ nun
sogleich einen Aufruf ergehen, worin sie sich gegen jede gewaltsame Handlung der
Reichstagsminorität, welche diese zur Gefährdung der Gleichberechtigung der Na-


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[0178] der Südslaven, für dynastische Zwecke auszubeuten gewesen wäre; die Czechen er¬ kannten, daß die Pfingstwoche ein störender Rechenfehler in dem großen Problem der slavischen Politik, ein blutiger Fleck auf allen ihren vergangenen und zu¬ künftigen Loyalitätsadressen sei, daß es eine Uebereilung gewesen, die Autonomie Böhmens durch das forcirte Mittel der Waffengewalt mit Wegwerfung der schwarz¬ gelben Maske erzwingen zu wollen. Das stillschweigende Geständniß der wechsel¬ seitigen Taktlosigkeit wurde zur schnellen Versöhnung, Windischgrätz kann nun mit. vollem Recht die verkannten Czechen als gute östreichische Unterthanen bei Hose empfehlen. Er durste ihnen auch in seinem Manifeste ohne Anstand eröffnen, daß ihn zwar keine in konstitutionellem Wege erlassene Ordre, sondern sein Pflicht¬ gefühl zum Schutze der Dynastie und der staatlichen Einheit Oestreichs abrufe; denn er sah es ja ein, wie sehr sie sich in Gemeinschaft mit den übrigen Slaven für die Integrität der Monarchie und für den Monarchen selbst interessiren. Aus ahnliche Weise, aber mit weniger Erfolg berief sich der Ban den Wienern gegen¬ über auf sein Pflichtgefühl. „Er sei," so erklärt er selbst, „da er auf seinem Wege von dem in Wien losgebrochenen Aufstande gehört, in die Nähe Wiens gezogen, obgleich er als k. Commissär in Ungarn eine andere Richtung hätte einschlagen können; aber als k. k. General mußte er kommen, wie einer, der einen Brand gewahr wird, in die Nähe eilt um zu helfen, zwar nicht gerufen, aber be¬ reit, die Befehle seines Kaisers zu vollziehen." So hängen also die nächsten Schicksale des freien Oestreichs von dem Pflichtgefühl seiner Generale ab, von dumm wir nicht wissen können, wie viel sie vor Gott verantworten wollen, ob¬ gleich wir die Gewißheit haben, daß kein Minister für sie die Verantwortung übernimmt. Die Czechen aber vertrauen sich viel lieber der Gewissenhaftigkeit der t. 1'. Generale, als dem Radikalismus der Wiener an blos deshalb, weil die lebten schwarzrothgoldne Bänder tragen. Gleich am «. October, als die ersten Nachrichten aus Wien die Bewohner Prags noch zu sehr betäubten, als daß sie zu einem einigermaßen abgeschlossenen Urtheil darüber hätten kommen sollen, schickte der deutsche Verein an die slovimsk-i lixm in>d der kaufmännische Verein an die czechische Bürgerressouree eine Deputa¬ tion mit dem freundlichen Anerbieten, mit vereinten Kräften, ohne Berücksichti¬ gung des nationalen Unterschiedes der Reaction und Anarchie entgegenarbeiten zu wollen. Dies scheint aber nur ein formeller Schritt gewesen zu sein; von mehr prcMscher Bedeutung ist die Vereinigung der «too-insini lip-i, mit dem Studenten¬ ausschüsse, die noch an demselben Tage erfolgte. Der letztere besteht ohnehin blos aus slavischen Mitgliedern, und auch unsere Studentenschaft, in der doch früher der Utraguismus der beiden Nationalitäten sich geltend machte, ist jetzt durchaus slavisirt. Die mit dem Studentenausschüsse vereinigte slovanskü linii ließ nun sogleich einen Aufruf ergehen, worin sie sich gegen jede gewaltsame Handlung der Reichstagsminorität, welche diese zur Gefährdung der Gleichberechtigung der Na-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/178>, abgerufen am 29.06.2024.