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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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tionalitäteu und der kaiserlichen Familie unternehmen sollte, feierlich verwahrt.
Noch mehr finden wir das Urtheil über die Wiener Bewegungen in der am 9.
October im Rathhause abgehaltenen Versammlung der Stadtverordneten und der
27 bereits angekommenen Reichstagsdcputirten cousolidirt. Es sollen die Schritte
berathen werden, die durch die Wiener Ereignisse sür Stadt und Land als noth¬
wendig erscheinen dürsten. Pallacky und Rieger sprechen über die Oktoberrevolu¬
tion Wiens und über den Standpunkt, von dem sie aufzufassen sei. Pallacky
würzt seinen Bericht mit zahlreichen Ausfällen über die deutsch-magyarische De¬
mokratie, erklärt die Nord- und Südslaven für die einzige Stütze der Dynastie
und rechtfertigt Jellachich, obgleich er auf östreichischen Boden nur k. k. Truppen
und keine kroatischen Schaaren anerkennt. Rieger's Rede enthält rhetorische Va¬
riationen über dasselbe Thema. Hierauf wird, nachdem man sich genug Prämissen
für ein richtiges Urtheil gesammelt zu haben glaubt, eine Proclamation von dem
Stadtverordnetencollegium erlassen, welche in Inhalt und Stylisirung ganz an
jene lammfromme, bornirt-dynastische Lvyalitätsadresse erinnert, welche am
Mai vom Prager Nationalcommitv in Folge der Wiener Maiereignisse erlassen
wurde. "Aufruhr, Mord und Gewaltthat," so heißt es in jener Proclamation,
"haben in Wien die Garantien der Freiheit in Frage gestellt, und der Umsturz¬
partei sei es gelungen, den Reichstag zu terrorisiren, in welchem jetzt die Mino¬
rität herrsche und den Kaiser zur Flucht zu veranlassen. Darum protestire das
Stadtverordnetencolleginm im Namen der loyalen Bevölkerung Prags gegen die
Beschlüsse des Reichstages sowohl, als gegen den gewaltsamen Sturz des Mini¬
steriums, und erkläre hiemit seine Anhänglichkeit an die Dynastie und sein Fest¬
halten an der Integrität der Monarchie." Nicht lange darauf folgte auch jene
Erklärung der zurückgekehrten Neichstagsdepntirten, deren kurzgefaßten Inhalt ich
bereits in dem vorangegangenen Briefe mitgetheilt habe. Die Letztern hielten nun
allabendliche Versammlungen in der Bürgerressource und gaben sich Mühe, die
Stimmung der Stadt auf eine ihrer Politik entsprechende Weise zu lenken und
die von ihnen "erfochtene Auffassung der Wiener Wirren aufrecht zu erhalten.
Diese besteht wesentlich darin, daß die Octoberbewegung durch magyarisches Geld
künstlich angelegt und von jener Fraction in Wien thätig angefacht worden sei,
welche die politische Bedeutsamkeit und die Staatseinheit von Ostreich der imagi¬
nären Einheit Deutschlands zum Opfer bringen und ein starkes, durchaus selbst-
ständiges Magyarenreich in ihrer Nachbarschaft sehen will, um das übrige Oestreich
desto leichter in Deutschland aufgehen lassen zu können. Die Bewegung sei dabrr
eine durch magyarische Umtriebe hervorgerufene Schilderhebung der Wiener Teu-
tomanen, sie sei ein Attentat gegen die Gleichberechtigung der slavischen Nationen,
müsse daher aus's Kräftigste von slavischer Seite bekämpft werden. Daß die Be¬
wegung in ihrem Ursprünge nicht blos ein Principienkampf der Demokratie gegen
die Reaction schlechtweg, sondern ein bestimmt gefärbter Kampf der deutschen
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tionalitäteu und der kaiserlichen Familie unternehmen sollte, feierlich verwahrt.
Noch mehr finden wir das Urtheil über die Wiener Bewegungen in der am 9.
October im Rathhause abgehaltenen Versammlung der Stadtverordneten und der
27 bereits angekommenen Reichstagsdcputirten cousolidirt. Es sollen die Schritte
berathen werden, die durch die Wiener Ereignisse sür Stadt und Land als noth¬
wendig erscheinen dürsten. Pallacky und Rieger sprechen über die Oktoberrevolu¬
tion Wiens und über den Standpunkt, von dem sie aufzufassen sei. Pallacky
würzt seinen Bericht mit zahlreichen Ausfällen über die deutsch-magyarische De¬
mokratie, erklärt die Nord- und Südslaven für die einzige Stütze der Dynastie
und rechtfertigt Jellachich, obgleich er auf östreichischen Boden nur k. k. Truppen
und keine kroatischen Schaaren anerkennt. Rieger's Rede enthält rhetorische Va¬
riationen über dasselbe Thema. Hierauf wird, nachdem man sich genug Prämissen
für ein richtiges Urtheil gesammelt zu haben glaubt, eine Proclamation von dem
Stadtverordnetencollegium erlassen, welche in Inhalt und Stylisirung ganz an
jene lammfromme, bornirt-dynastische Lvyalitätsadresse erinnert, welche am
Mai vom Prager Nationalcommitv in Folge der Wiener Maiereignisse erlassen
wurde. „Aufruhr, Mord und Gewaltthat," so heißt es in jener Proclamation,
„haben in Wien die Garantien der Freiheit in Frage gestellt, und der Umsturz¬
partei sei es gelungen, den Reichstag zu terrorisiren, in welchem jetzt die Mino¬
rität herrsche und den Kaiser zur Flucht zu veranlassen. Darum protestire das
Stadtverordnetencolleginm im Namen der loyalen Bevölkerung Prags gegen die
Beschlüsse des Reichstages sowohl, als gegen den gewaltsamen Sturz des Mini¬
steriums, und erkläre hiemit seine Anhänglichkeit an die Dynastie und sein Fest¬
halten an der Integrität der Monarchie." Nicht lange darauf folgte auch jene
Erklärung der zurückgekehrten Neichstagsdepntirten, deren kurzgefaßten Inhalt ich
bereits in dem vorangegangenen Briefe mitgetheilt habe. Die Letztern hielten nun
allabendliche Versammlungen in der Bürgerressource und gaben sich Mühe, die
Stimmung der Stadt auf eine ihrer Politik entsprechende Weise zu lenken und
die von ihnen »erfochtene Auffassung der Wiener Wirren aufrecht zu erhalten.
Diese besteht wesentlich darin, daß die Octoberbewegung durch magyarisches Geld
künstlich angelegt und von jener Fraction in Wien thätig angefacht worden sei,
welche die politische Bedeutsamkeit und die Staatseinheit von Ostreich der imagi¬
nären Einheit Deutschlands zum Opfer bringen und ein starkes, durchaus selbst-
ständiges Magyarenreich in ihrer Nachbarschaft sehen will, um das übrige Oestreich
desto leichter in Deutschland aufgehen lassen zu können. Die Bewegung sei dabrr
eine durch magyarische Umtriebe hervorgerufene Schilderhebung der Wiener Teu-
tomanen, sie sei ein Attentat gegen die Gleichberechtigung der slavischen Nationen,
müsse daher aus's Kräftigste von slavischer Seite bekämpft werden. Daß die Be¬
wegung in ihrem Ursprünge nicht blos ein Principienkampf der Demokratie gegen
die Reaction schlechtweg, sondern ein bestimmt gefärbter Kampf der deutschen
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[0179] tionalitäteu und der kaiserlichen Familie unternehmen sollte, feierlich verwahrt. Noch mehr finden wir das Urtheil über die Wiener Bewegungen in der am 9. October im Rathhause abgehaltenen Versammlung der Stadtverordneten und der 27 bereits angekommenen Reichstagsdcputirten cousolidirt. Es sollen die Schritte berathen werden, die durch die Wiener Ereignisse sür Stadt und Land als noth¬ wendig erscheinen dürsten. Pallacky und Rieger sprechen über die Oktoberrevolu¬ tion Wiens und über den Standpunkt, von dem sie aufzufassen sei. Pallacky würzt seinen Bericht mit zahlreichen Ausfällen über die deutsch-magyarische De¬ mokratie, erklärt die Nord- und Südslaven für die einzige Stütze der Dynastie und rechtfertigt Jellachich, obgleich er auf östreichischen Boden nur k. k. Truppen und keine kroatischen Schaaren anerkennt. Rieger's Rede enthält rhetorische Va¬ riationen über dasselbe Thema. Hierauf wird, nachdem man sich genug Prämissen für ein richtiges Urtheil gesammelt zu haben glaubt, eine Proclamation von dem Stadtverordnetencollegium erlassen, welche in Inhalt und Stylisirung ganz an jene lammfromme, bornirt-dynastische Lvyalitätsadresse erinnert, welche am Mai vom Prager Nationalcommitv in Folge der Wiener Maiereignisse erlassen wurde. „Aufruhr, Mord und Gewaltthat," so heißt es in jener Proclamation, „haben in Wien die Garantien der Freiheit in Frage gestellt, und der Umsturz¬ partei sei es gelungen, den Reichstag zu terrorisiren, in welchem jetzt die Mino¬ rität herrsche und den Kaiser zur Flucht zu veranlassen. Darum protestire das Stadtverordnetencolleginm im Namen der loyalen Bevölkerung Prags gegen die Beschlüsse des Reichstages sowohl, als gegen den gewaltsamen Sturz des Mini¬ steriums, und erkläre hiemit seine Anhänglichkeit an die Dynastie und sein Fest¬ halten an der Integrität der Monarchie." Nicht lange darauf folgte auch jene Erklärung der zurückgekehrten Neichstagsdepntirten, deren kurzgefaßten Inhalt ich bereits in dem vorangegangenen Briefe mitgetheilt habe. Die Letztern hielten nun allabendliche Versammlungen in der Bürgerressource und gaben sich Mühe, die Stimmung der Stadt auf eine ihrer Politik entsprechende Weise zu lenken und die von ihnen »erfochtene Auffassung der Wiener Wirren aufrecht zu erhalten. Diese besteht wesentlich darin, daß die Octoberbewegung durch magyarisches Geld künstlich angelegt und von jener Fraction in Wien thätig angefacht worden sei, welche die politische Bedeutsamkeit und die Staatseinheit von Ostreich der imagi¬ nären Einheit Deutschlands zum Opfer bringen und ein starkes, durchaus selbst- ständiges Magyarenreich in ihrer Nachbarschaft sehen will, um das übrige Oestreich desto leichter in Deutschland aufgehen lassen zu können. Die Bewegung sei dabrr eine durch magyarische Umtriebe hervorgerufene Schilderhebung der Wiener Teu- tomanen, sie sei ein Attentat gegen die Gleichberechtigung der slavischen Nationen, müsse daher aus's Kräftigste von slavischer Seite bekämpft werden. Daß die Be¬ wegung in ihrem Ursprünge nicht blos ein Principienkampf der Demokratie gegen die Reaction schlechtweg, sondern ein bestimmt gefärbter Kampf der deutschen ' 22"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/179>, abgerufen am 01.07.2024.