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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Die Wiener Oktoberrevolution.



!i.

Wir wollen nun sehen, wie sich das Drama der Wiener Octoberbewegung
in den Provinzen fortspielt, um dann für unser Urtheil darüber eine breitere
Grundlage gewinnen zu können.

Zunächst richten wir unser Augenmerk aus Böhmen. Die Physiognomie
Prags bat sich bald, nachdem die Nachrichten ans Wien einliefen, entschieden;
sie ist, wie nach dem 15. Mai, der Ausdruck der höchsten Loyalität. Prag möchte
gern wieder zunehmen an Gnade vor der Dynastie, nachdem es durch die Pfingst-
woche soviel davon eingebüßt. So wie sich nach den Juniereignissen jene ö7
sprichwörtlich gewordenen Bürger, welche damals bei Fürst Windischgrätz um Fort¬
setzung des Belagerungszustandes petitivnirten, zu der übrigen über den Militär--
terroriSmns entrüsteten Bevölkerung verhielten, eben so verhält sich jetzt ein be¬
deutender Theil der Prager Bevölkerung zu den Wienern. Windischgrütz scheint auch
diese Stimmung sehr wohl begriffen zu haben, denn sein Abschiedsmanisest an die Be¬
wohner Böhmens sieht so ans, wie ein herzlicher Scheidegruß un jene 67 Gutgesinnten.
Es heißt darin, "daß die Anarchie Wiens und ihre greulichen Folgen ihm die Pflicht
auferlegen, mit einem bedeutenden Theile der unter ihm stehenden Truppen zum
Schutze des Monarchen und zur Wahrung der Einheit der constitutionellen
Monarchie sich von Prag zu entfernen. Der seit geraumer Zeit hier bestehende
geregelte Zustand und die loyalen Aeußerungen der Bewohner der Hauptstadt ge¬
währen ihm die Ueberzeugung, daß die Junicreignisse nnr durch fremden Einfluß
herbeigeführt wurden, und daß er nun mit festem Vertrauen die Stadt verlassen
dürfe." Der Fürst, der seinen Prozeß gegen die Hochverräther der Pfingstwoche
noch kurz vorher so hart büße" mußte, schied nnn in der besten Stimmung von
seinen schnell versöhnten Todfeinden, den Czechen, denen er auch zu guter Letzt
ein WvhlverhaltuugSzengniß ausstellte und die ihm ebenfalls seine BelagernngS-
geschütze und seine Untersuchungscommission von Herzen verziehen; und in der
Scheidestunde wurden sich beide Seiten ihrer frühern Uebereilungen klar bewußt.
Windischgrätz sah wohl ein, daß die ezechische Bewegung, wenn man sich uur das
richtige Verständniß davon hätte verschaffen wollen, eben so gut wie die Erhebung


Gr-nzbvten. lo. 18i". 22
Die Wiener Oktoberrevolution.



!i.

Wir wollen nun sehen, wie sich das Drama der Wiener Octoberbewegung
in den Provinzen fortspielt, um dann für unser Urtheil darüber eine breitere
Grundlage gewinnen zu können.

Zunächst richten wir unser Augenmerk aus Böhmen. Die Physiognomie
Prags bat sich bald, nachdem die Nachrichten ans Wien einliefen, entschieden;
sie ist, wie nach dem 15. Mai, der Ausdruck der höchsten Loyalität. Prag möchte
gern wieder zunehmen an Gnade vor der Dynastie, nachdem es durch die Pfingst-
woche soviel davon eingebüßt. So wie sich nach den Juniereignissen jene ö7
sprichwörtlich gewordenen Bürger, welche damals bei Fürst Windischgrätz um Fort¬
setzung des Belagerungszustandes petitivnirten, zu der übrigen über den Militär--
terroriSmns entrüsteten Bevölkerung verhielten, eben so verhält sich jetzt ein be¬
deutender Theil der Prager Bevölkerung zu den Wienern. Windischgrütz scheint auch
diese Stimmung sehr wohl begriffen zu haben, denn sein Abschiedsmanisest an die Be¬
wohner Böhmens sieht so ans, wie ein herzlicher Scheidegruß un jene 67 Gutgesinnten.
Es heißt darin, „daß die Anarchie Wiens und ihre greulichen Folgen ihm die Pflicht
auferlegen, mit einem bedeutenden Theile der unter ihm stehenden Truppen zum
Schutze des Monarchen und zur Wahrung der Einheit der constitutionellen
Monarchie sich von Prag zu entfernen. Der seit geraumer Zeit hier bestehende
geregelte Zustand und die loyalen Aeußerungen der Bewohner der Hauptstadt ge¬
währen ihm die Ueberzeugung, daß die Junicreignisse nnr durch fremden Einfluß
herbeigeführt wurden, und daß er nun mit festem Vertrauen die Stadt verlassen
dürfe." Der Fürst, der seinen Prozeß gegen die Hochverräther der Pfingstwoche
noch kurz vorher so hart büße» mußte, schied nnn in der besten Stimmung von
seinen schnell versöhnten Todfeinden, den Czechen, denen er auch zu guter Letzt
ein WvhlverhaltuugSzengniß ausstellte und die ihm ebenfalls seine BelagernngS-
geschütze und seine Untersuchungscommission von Herzen verziehen; und in der
Scheidestunde wurden sich beide Seiten ihrer frühern Uebereilungen klar bewußt.
Windischgrätz sah wohl ein, daß die ezechische Bewegung, wenn man sich uur das
richtige Verständniß davon hätte verschaffen wollen, eben so gut wie die Erhebung


Gr-nzbvten. lo. 18i». 22
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[0177] Die Wiener Oktoberrevolution. !i. Wir wollen nun sehen, wie sich das Drama der Wiener Octoberbewegung in den Provinzen fortspielt, um dann für unser Urtheil darüber eine breitere Grundlage gewinnen zu können. Zunächst richten wir unser Augenmerk aus Böhmen. Die Physiognomie Prags bat sich bald, nachdem die Nachrichten ans Wien einliefen, entschieden; sie ist, wie nach dem 15. Mai, der Ausdruck der höchsten Loyalität. Prag möchte gern wieder zunehmen an Gnade vor der Dynastie, nachdem es durch die Pfingst- woche soviel davon eingebüßt. So wie sich nach den Juniereignissen jene ö7 sprichwörtlich gewordenen Bürger, welche damals bei Fürst Windischgrätz um Fort¬ setzung des Belagerungszustandes petitivnirten, zu der übrigen über den Militär-- terroriSmns entrüsteten Bevölkerung verhielten, eben so verhält sich jetzt ein be¬ deutender Theil der Prager Bevölkerung zu den Wienern. Windischgrütz scheint auch diese Stimmung sehr wohl begriffen zu haben, denn sein Abschiedsmanisest an die Be¬ wohner Böhmens sieht so ans, wie ein herzlicher Scheidegruß un jene 67 Gutgesinnten. Es heißt darin, „daß die Anarchie Wiens und ihre greulichen Folgen ihm die Pflicht auferlegen, mit einem bedeutenden Theile der unter ihm stehenden Truppen zum Schutze des Monarchen und zur Wahrung der Einheit der constitutionellen Monarchie sich von Prag zu entfernen. Der seit geraumer Zeit hier bestehende geregelte Zustand und die loyalen Aeußerungen der Bewohner der Hauptstadt ge¬ währen ihm die Ueberzeugung, daß die Junicreignisse nnr durch fremden Einfluß herbeigeführt wurden, und daß er nun mit festem Vertrauen die Stadt verlassen dürfe." Der Fürst, der seinen Prozeß gegen die Hochverräther der Pfingstwoche noch kurz vorher so hart büße» mußte, schied nnn in der besten Stimmung von seinen schnell versöhnten Todfeinden, den Czechen, denen er auch zu guter Letzt ein WvhlverhaltuugSzengniß ausstellte und die ihm ebenfalls seine BelagernngS- geschütze und seine Untersuchungscommission von Herzen verziehen; und in der Scheidestunde wurden sich beide Seiten ihrer frühern Uebereilungen klar bewußt. Windischgrätz sah wohl ein, daß die ezechische Bewegung, wenn man sich uur das richtige Verständniß davon hätte verschaffen wollen, eben so gut wie die Erhebung Gr-nzbvten. lo. 18i». 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/177>, abgerufen am 26.06.2024.