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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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hinzukommen, um Sie für das Tschechenthum zu gewinnen: die allein seligmachende
Barrikade. Seitdem polnische Barrikadenhelden sich in dein slavischen Congreß
eingefunden, seitdem die Swvrnoster Fahne gegen die "verthierten Söldlinge"
des Fürsten Windischgrätz geweht, war es in Ihren Augen entschieden, daß die
Sache der Tschechen die Sache der Freiheit sei. Wahrscheinlich aus denselben Grün¬
den, nannte damals ein Pariser Blatt von der rothrepnblikanischen Farbe den Ba¬
ron Jellachich einen Panslavisten von den am weitesten fortgeschrittenen demokra¬
tischen Prinzipien. Diese Sympathie schwand, sobald die Tschechen von der Kö¬
nigin Libussa und ihrer Opposition ins Blaue hinein abstrahirten, und sich auf ge¬
setzlich verständigen: Wege zu realisiren suchten. Die Reihe der Barrikaden kam
an die Gegner der Tschechen, und nun waren diese Panslavisten "von den am
weitesten vorgeschrittenen demokratischen Prinzipien" in ihren Augen plötzlich reak¬
tionär. Daß Sie versucht hätten, zu scheiden, was in den Anforderungen der tsche¬
chischen Partei Gerechtes war, was Unvernünftiges -- eine solche Kritik war dem
Philosophen der uneingeschränkten Vernunft nicht zuzumuthen. Es ist aber sehr
wohlfeil, von einer Sache nur die Eine Seite zu scheu, und die weitere Ent¬
scheidung der Leidenschaft zu überlassen, etwa mit dem Aperyn ihres Freundes
Herwegh "man müsse die Freiheit bis zum Wahnsinn lieben," und einigen Stiche¬
leien auf die "Besonnenen", welche sich die Mühe nicht verdrießen ließen, die
Frage voll allen Seiten zu untersuchen. Wenn Kossuth die Unabhängigkeit Un¬
garns proklamirt, so hält es freilich nicht schwer, für ein so liberales Unterneh¬
men. Sympathien zu hegen, ohne sich darum zu kümmern, daß dieser Freiheit
von 4 Millionen Magyaren die Freiheit von 9 Millionen Slaven und Deutschen
geopfert werden müßte.

Wären Sie, Verehrtester, Ihrem Prinzip treu geblieben, so hätten Sie zu
den verschiedenen Nationalitäten Oestreichs also gesprochen. "Eine Theilung des
Staats nach dem Prinzip der Nationalität ist unmöglich, weil alle die verschie¬
denen Stämme bunt durch einander wohnen. Ebenso unmöglich ist es, zwei ver¬
schiedenen Staaten zugleich anzugehören, wenigstens wenn wir von dem modernen
Staat, der den ganzen Menschen verlangt, sprechen wollen. Entweder müßt ihr
das bisherige habsburg'sche Reich in einen Föderativstaat auflösen, der in den
innern Angelegenheiten den einzelnen Provinzen Autonomie ertheilt, in der großen
Politik seine Souveränität einem Centralreichstag überträgt, in diesem Fall könnt
ihr mit Deutschland nicht mehr Einen Staat bilden, ohne daß ihr deshalb be¬
fürchten dürft, Deutschland fern zu stehn, denn freie Völker werden sich nicht, wie
die Wilden, einander anfallen, sondern sie werden ihre Interessen in freundlichen
Verträgen ausgleichen, ein solcher Vertrag ist aber uur möglich bei einem klaren
Rechtsverhältniß, und an dieses ist nicht zu denken, wenn die östreichischen Depu¬
taten zugleich auf dem deutschen und dem östreichischen Reichstage sitzen. Das
ineinander verflochtene Feudalsystem des heiligen römischen Reichs und des Mittel-


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hinzukommen, um Sie für das Tschechenthum zu gewinnen: die allein seligmachende
Barrikade. Seitdem polnische Barrikadenhelden sich in dein slavischen Congreß
eingefunden, seitdem die Swvrnoster Fahne gegen die „verthierten Söldlinge"
des Fürsten Windischgrätz geweht, war es in Ihren Augen entschieden, daß die
Sache der Tschechen die Sache der Freiheit sei. Wahrscheinlich aus denselben Grün¬
den, nannte damals ein Pariser Blatt von der rothrepnblikanischen Farbe den Ba¬
ron Jellachich einen Panslavisten von den am weitesten fortgeschrittenen demokra¬
tischen Prinzipien. Diese Sympathie schwand, sobald die Tschechen von der Kö¬
nigin Libussa und ihrer Opposition ins Blaue hinein abstrahirten, und sich auf ge¬
setzlich verständigen: Wege zu realisiren suchten. Die Reihe der Barrikaden kam
an die Gegner der Tschechen, und nun waren diese Panslavisten „von den am
weitesten vorgeschrittenen demokratischen Prinzipien" in ihren Augen plötzlich reak¬
tionär. Daß Sie versucht hätten, zu scheiden, was in den Anforderungen der tsche¬
chischen Partei Gerechtes war, was Unvernünftiges — eine solche Kritik war dem
Philosophen der uneingeschränkten Vernunft nicht zuzumuthen. Es ist aber sehr
wohlfeil, von einer Sache nur die Eine Seite zu scheu, und die weitere Ent¬
scheidung der Leidenschaft zu überlassen, etwa mit dem Aperyn ihres Freundes
Herwegh „man müsse die Freiheit bis zum Wahnsinn lieben," und einigen Stiche¬
leien auf die „Besonnenen", welche sich die Mühe nicht verdrießen ließen, die
Frage voll allen Seiten zu untersuchen. Wenn Kossuth die Unabhängigkeit Un¬
garns proklamirt, so hält es freilich nicht schwer, für ein so liberales Unterneh¬
men. Sympathien zu hegen, ohne sich darum zu kümmern, daß dieser Freiheit
von 4 Millionen Magyaren die Freiheit von 9 Millionen Slaven und Deutschen
geopfert werden müßte.

Wären Sie, Verehrtester, Ihrem Prinzip treu geblieben, so hätten Sie zu
den verschiedenen Nationalitäten Oestreichs also gesprochen. „Eine Theilung des
Staats nach dem Prinzip der Nationalität ist unmöglich, weil alle die verschie¬
denen Stämme bunt durch einander wohnen. Ebenso unmöglich ist es, zwei ver¬
schiedenen Staaten zugleich anzugehören, wenigstens wenn wir von dem modernen
Staat, der den ganzen Menschen verlangt, sprechen wollen. Entweder müßt ihr
das bisherige habsburg'sche Reich in einen Föderativstaat auflösen, der in den
innern Angelegenheiten den einzelnen Provinzen Autonomie ertheilt, in der großen
Politik seine Souveränität einem Centralreichstag überträgt, in diesem Fall könnt
ihr mit Deutschland nicht mehr Einen Staat bilden, ohne daß ihr deshalb be¬
fürchten dürft, Deutschland fern zu stehn, denn freie Völker werden sich nicht, wie
die Wilden, einander anfallen, sondern sie werden ihre Interessen in freundlichen
Verträgen ausgleichen, ein solcher Vertrag ist aber uur möglich bei einem klaren
Rechtsverhältniß, und an dieses ist nicht zu denken, wenn die östreichischen Depu¬
taten zugleich auf dem deutschen und dem östreichischen Reichstage sitzen. Das
ineinander verflochtene Feudalsystem des heiligen römischen Reichs und des Mittel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/163>, abgerufen am 26.12.2024.