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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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sein College, gleich kommt mein Antrag auf's Tapet und der fällt auch nicht
durch." Parlamentarische Wirksamkeit im Wiener Reichstag!

Wie der Reichstag moralisch, so steht Physisch die Aula an der Spitze des
Volkes. Die academische Legion zählt 1(),<W0 wohlbewehrte Streiter, größten-
theils junge Leute, Studenten, studirt Habende, Künstler, Techniker u. s. w.
Tapferere, gefinnungstreuere Leute gibt es nicht. Ich bin überzeugt, von ihnen
läßt sich jeder Einzelne lieber tausendmal tödten, als daß er seine Ueberzeugung
und das Einstehen für dieselbe aufgäbe. Aber in den jugendlichen Köpfen gährt
es noch wild und verworren durcheinander; wie ist es möglich, daß Allen im
Zeitraum vou sechs Monaten die politische und rein menschliche Bildung geworden
wäre, welche ein richtiges Begreifen unserer großen Zeit und das Erfassen ihrer
wahren Idee verlangt? Der Mehrzahl der Legionäre ist Kampf und Streit Zweck
geworden, während sie allen vernünftigen Menschen nur als Mittel erscheinen,
und darum brachte und bringt der ungeheure Einfluß, deu die Aula auf ganz
Wien, ja auf Oestreich ausübt, uun und nimmermehr Heil und Segen. Aber es
zieht doch einen Jeden der burschikose Muth, das freudige Selbstbewußtsein, das
noble, etwas leichtsinnige Wesen der Academiker so an, daß man ihnen unmöglich
ernstlich böse werden kann. Ja, man vergißt das Bedauern über deu wahrschein¬
lichen Untergang so vieler schönen Kräfte über dem ungebundenen Lagerleben der
Gegenwart, und fast selber wieder zum Studenten geworden, habe ich auf der
Bastei den lustigen Gelagen der stattlichen Bursche zugesehen. Wie gut habe"
sie's! Die Bauern haben ihnen 200 Eimer Wein herein gefahren, der im kühlen
Keller der Anta liegt, und so oft eine Compagnie die Wache bezieht, folgt ihr
der Diener mit zwei ungeheuren, schweren Henkelkrügen. Die Bürger und be¬
sonders die Bürgerinnen, machen es sich zur angenehmen Pflicht, die academische
Legion mit allen möglichen Bedürfnissen zu versehen. Daß ein junger, heißbluti¬
ger Manu sich aus solchem Leben gerade nicht sonderlich hinweg sehnt, kann nicht
Wunder nehmen, zumal wenn man bedenkt, daß wenige Menschen den Uebergang
von tiefster Sclaverei zur zügellosesten Freiheit ertragen und zu benutzen verstehen.
Die Aula ist die Citadelle Wiens; in ihr sind die Gefangenen, Minister Bach,
Feldzeugmeister Recsey ?c. bewahrt; voll Waffen von Oben bis Unten, mit Ka¬
nonen und Munition reichlich versehen, verbarrikadirt bis in den ersten Stock
würde ihre Einnahme sicherlich ungeheure Opfer kosten. Als ich aus der Aula
kam, begegnete mir mein alter Freund Messenhanser. Ich fragte ihn, der in
lugubrem Civilanzug kaum mehr deu einstigen schmucken Offizier erkennen ließ,
warum er, bei seinen militärischen Erfahrungen und Kenntnissen sich nicht an der
Leitung der Volksbewaffnung betheilige. "Ich will lieber in einem Dorfe der
Erste, als in Wien der Zweite sein!" entgegnete mir der neue Cäsar. Ich er¬
wähne dies Zusammentreffen nur, weil Messenhauser mittlerweile wirklich der Erste,
nämlich Obercommandant von Wien geworden ist. Hoffentlich läßt er mit der


sein College, gleich kommt mein Antrag auf's Tapet und der fällt auch nicht
durch." Parlamentarische Wirksamkeit im Wiener Reichstag!

Wie der Reichstag moralisch, so steht Physisch die Aula an der Spitze des
Volkes. Die academische Legion zählt 1(),<W0 wohlbewehrte Streiter, größten-
theils junge Leute, Studenten, studirt Habende, Künstler, Techniker u. s. w.
Tapferere, gefinnungstreuere Leute gibt es nicht. Ich bin überzeugt, von ihnen
läßt sich jeder Einzelne lieber tausendmal tödten, als daß er seine Ueberzeugung
und das Einstehen für dieselbe aufgäbe. Aber in den jugendlichen Köpfen gährt
es noch wild und verworren durcheinander; wie ist es möglich, daß Allen im
Zeitraum vou sechs Monaten die politische und rein menschliche Bildung geworden
wäre, welche ein richtiges Begreifen unserer großen Zeit und das Erfassen ihrer
wahren Idee verlangt? Der Mehrzahl der Legionäre ist Kampf und Streit Zweck
geworden, während sie allen vernünftigen Menschen nur als Mittel erscheinen,
und darum brachte und bringt der ungeheure Einfluß, deu die Aula auf ganz
Wien, ja auf Oestreich ausübt, uun und nimmermehr Heil und Segen. Aber es
zieht doch einen Jeden der burschikose Muth, das freudige Selbstbewußtsein, das
noble, etwas leichtsinnige Wesen der Academiker so an, daß man ihnen unmöglich
ernstlich böse werden kann. Ja, man vergißt das Bedauern über deu wahrschein¬
lichen Untergang so vieler schönen Kräfte über dem ungebundenen Lagerleben der
Gegenwart, und fast selber wieder zum Studenten geworden, habe ich auf der
Bastei den lustigen Gelagen der stattlichen Bursche zugesehen. Wie gut habe»
sie's! Die Bauern haben ihnen 200 Eimer Wein herein gefahren, der im kühlen
Keller der Anta liegt, und so oft eine Compagnie die Wache bezieht, folgt ihr
der Diener mit zwei ungeheuren, schweren Henkelkrügen. Die Bürger und be¬
sonders die Bürgerinnen, machen es sich zur angenehmen Pflicht, die academische
Legion mit allen möglichen Bedürfnissen zu versehen. Daß ein junger, heißbluti¬
ger Manu sich aus solchem Leben gerade nicht sonderlich hinweg sehnt, kann nicht
Wunder nehmen, zumal wenn man bedenkt, daß wenige Menschen den Uebergang
von tiefster Sclaverei zur zügellosesten Freiheit ertragen und zu benutzen verstehen.
Die Aula ist die Citadelle Wiens; in ihr sind die Gefangenen, Minister Bach,
Feldzeugmeister Recsey ?c. bewahrt; voll Waffen von Oben bis Unten, mit Ka¬
nonen und Munition reichlich versehen, verbarrikadirt bis in den ersten Stock
würde ihre Einnahme sicherlich ungeheure Opfer kosten. Als ich aus der Aula
kam, begegnete mir mein alter Freund Messenhanser. Ich fragte ihn, der in
lugubrem Civilanzug kaum mehr deu einstigen schmucken Offizier erkennen ließ,
warum er, bei seinen militärischen Erfahrungen und Kenntnissen sich nicht an der
Leitung der Volksbewaffnung betheilige. „Ich will lieber in einem Dorfe der
Erste, als in Wien der Zweite sein!" entgegnete mir der neue Cäsar. Ich er¬
wähne dies Zusammentreffen nur, weil Messenhauser mittlerweile wirklich der Erste,
nämlich Obercommandant von Wien geworden ist. Hoffentlich läßt er mit der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/148>, abgerufen am 03.07.2024.