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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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waren Austritte der wildesten Ausgelassenheit und Habsucht. Ich war mit in die
inneren Räume des Hauses geschoben worden, war aber froh , als ich mich, nach
einem kunstreichen Marsch über unzählige Flintenläufe, wieder im freien Hofe fand.
Daselbst ging es ebenso toll zu, wie in den Gewölben. Vom zweiten Stock herab
warfen Einzelne die Gewehre mitten unter die dichtgedrängten Haufen, ans wel¬
chen sich Hunderte von Händen emporstreckten, um sie aufzufangen. Eine Menge
von Verwundungen ist bei dieser curiosen Art der Waffenaustheilung vorgekommen
und der Brunnen des Hofes war beständig von Blutenden umlagert. Aber an
Blut war man an diesen Tagen eben so sehr gewöhnt, wie an Wasser. Wahr¬
haft bewundernswürdig siud die Feuerwaffen gewesen, welche man in dem Zeug¬
haus gefunden hat. Ich erwarb von einem halbwüchsigen Jungen für drei Zwan¬
ziger einen Kngelstujzen, dessen Construction eine der vorzüglichsten war, die ich
je gesehen, und der als Doppelwaffe ein furchtbares Haubajonett aufpflanzen ließ.
Von dieser Gattung von Feuergewehren, mit welchen die Armee nach und nach
armirt werden sollte, fanden sich viele Tausende vor, wie man denn überhaupt
annehmen kann, daß an jenem Morgen :!0,Wi> Menschen vollständig bewaffnet wor¬
den sind. Daß die Mehrzahl dieser dem Proletariat angehört, ist unzweifelhaft
und hat das erste Bedenken gegen die Plünderung erregt, die der Reichstag denn
auch im Laufe des Vormittags einstellen hieß. Schade ist es gewesen für so viele
historische Denkmale, welche bei dieser Gelegenheit unrettbar verloren gegangen
sind. Ich sah Trommler in glänzenden Nitterharnischen, die dereinst vielleicht die
Herzöge von Oestreich getragen hatten, Straßenjungen mit kostbar verzierten, ein¬
gelegten Rad - und Luntenflinteu, Barbiergehülfen mit Helmen geschmückt, deren
Beulen von mancher ruhmreichen Schlacht zu erzählen vermochten; Arbeiter mit
ungeheuren zweihändigen Schlachtschwertern hielten Wache an den Barrikaden, ans
welchen Fahnen und Roßschweife aus den Türkenkriegen flatterte. Ein alter Herr,
Professor und Geschichtschreiber, bejammerte im Kaffeehaus bei Dann sehr den
Verlust dieser historischen Trophäen. Was wollen Sie? entgegnete ihm ein De¬
mokrat und beschrieb mit den Händen einen Kreis, als suche er den Erdball zu
umfassen . "Alles für das Volk!"

Wenn ich an alle die Scenen jener Tage gedenke, so ist mir's noch heute,
als seien sie nur die Fortsetzung jeuer Traumgebilde gewesen, aus deren Mitte
mich der erste Allarmrnf der Revolte gerissen hatte. Ich frage mich: Wie ist es
nur möglich gewesen, daß aus einer, in ihren Anfängen so kleinen und fast hei¬
teren Bewegung eine furchtbare Katastrophe, ein Ereigniß erwachsen konnte, des¬
sen Folgen unabsehbar sind? Denn ich will es verbürgen, das Volk von Wien
hat am Morgen des ti. Oktobers nichts mehr und nichts weniger im Sinn gehabt,
als durch eine Demonstration der Negierung seine Sympathie für die Magyaren
kund zu geben. Diese Sympathie war natürlich,' doppelt natürlich, weil ungari¬
sches Gold sie nährte und zur hellen Flamme anblies. Es ist Thatsache, daß in


waren Austritte der wildesten Ausgelassenheit und Habsucht. Ich war mit in die
inneren Räume des Hauses geschoben worden, war aber froh , als ich mich, nach
einem kunstreichen Marsch über unzählige Flintenläufe, wieder im freien Hofe fand.
Daselbst ging es ebenso toll zu, wie in den Gewölben. Vom zweiten Stock herab
warfen Einzelne die Gewehre mitten unter die dichtgedrängten Haufen, ans wel¬
chen sich Hunderte von Händen emporstreckten, um sie aufzufangen. Eine Menge
von Verwundungen ist bei dieser curiosen Art der Waffenaustheilung vorgekommen
und der Brunnen des Hofes war beständig von Blutenden umlagert. Aber an
Blut war man an diesen Tagen eben so sehr gewöhnt, wie an Wasser. Wahr¬
haft bewundernswürdig siud die Feuerwaffen gewesen, welche man in dem Zeug¬
haus gefunden hat. Ich erwarb von einem halbwüchsigen Jungen für drei Zwan¬
ziger einen Kngelstujzen, dessen Construction eine der vorzüglichsten war, die ich
je gesehen, und der als Doppelwaffe ein furchtbares Haubajonett aufpflanzen ließ.
Von dieser Gattung von Feuergewehren, mit welchen die Armee nach und nach
armirt werden sollte, fanden sich viele Tausende vor, wie man denn überhaupt
annehmen kann, daß an jenem Morgen :!0,Wi> Menschen vollständig bewaffnet wor¬
den sind. Daß die Mehrzahl dieser dem Proletariat angehört, ist unzweifelhaft
und hat das erste Bedenken gegen die Plünderung erregt, die der Reichstag denn
auch im Laufe des Vormittags einstellen hieß. Schade ist es gewesen für so viele
historische Denkmale, welche bei dieser Gelegenheit unrettbar verloren gegangen
sind. Ich sah Trommler in glänzenden Nitterharnischen, die dereinst vielleicht die
Herzöge von Oestreich getragen hatten, Straßenjungen mit kostbar verzierten, ein¬
gelegten Rad - und Luntenflinteu, Barbiergehülfen mit Helmen geschmückt, deren
Beulen von mancher ruhmreichen Schlacht zu erzählen vermochten; Arbeiter mit
ungeheuren zweihändigen Schlachtschwertern hielten Wache an den Barrikaden, ans
welchen Fahnen und Roßschweife aus den Türkenkriegen flatterte. Ein alter Herr,
Professor und Geschichtschreiber, bejammerte im Kaffeehaus bei Dann sehr den
Verlust dieser historischen Trophäen. Was wollen Sie? entgegnete ihm ein De¬
mokrat und beschrieb mit den Händen einen Kreis, als suche er den Erdball zu
umfassen . „Alles für das Volk!"

Wenn ich an alle die Scenen jener Tage gedenke, so ist mir's noch heute,
als seien sie nur die Fortsetzung jeuer Traumgebilde gewesen, aus deren Mitte
mich der erste Allarmrnf der Revolte gerissen hatte. Ich frage mich: Wie ist es
nur möglich gewesen, daß aus einer, in ihren Anfängen so kleinen und fast hei¬
teren Bewegung eine furchtbare Katastrophe, ein Ereigniß erwachsen konnte, des¬
sen Folgen unabsehbar sind? Denn ich will es verbürgen, das Volk von Wien
hat am Morgen des ti. Oktobers nichts mehr und nichts weniger im Sinn gehabt,
als durch eine Demonstration der Negierung seine Sympathie für die Magyaren
kund zu geben. Diese Sympathie war natürlich,' doppelt natürlich, weil ungari¬
sches Gold sie nährte und zur hellen Flamme anblies. Es ist Thatsache, daß in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/143>, abgerufen am 22.07.2024.