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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Der Reichstag sprach seine Entrüstung über den blutigen Mord des Kriegs¬
ministers, den er trefflich hätte verhindern können, zwar aus, dachte aber nicht
im Geringsten daran, einen der blutigen Mörder, die sich laut und offen ihrer
That rühmten, zur Verantwortung zu ziehen. Er hatte freilich an jenem Abend
sehr vieles Andre zu thun. Die Nachricht von der hastigen Flucht des Kaisers,
dessen hinterlassenes Manifest und der noch nicht beendigte Kampf hielten ihn,
der sich permanent erklärt hatte, vollkommen in Athem. Das Militär hatte näm¬
lich , auf allen Punkten vom Volk besiegt, die Stadt geräumt und nur eine Be¬
satzung in dem kaiserlichen Zeughaus zurückgelassen. Die Zurückziehung der er¬
steren, die Uebergabe des letzteren, verlangte nunmehr das souveräne Volk oder
vielmehr dessen vielköpfiger Despot, die Anta. Der die Besatzung befestigende
tapfere Offizier weigerte sich ohne Ordre von seinem General abzuziehen, erkannte
die des Reichstags nicht an, und vertheidigte sich energisch gegen die Stürmer,
denn die akademische Jngend wollte in ihrer tapferen Ungeduld uicht darauf war¬
ten, bis der an Auersperg, den Commandirenden der Truppen, gesandte Parla¬
mentär zurückgekehrt sei, sondern warf sich in blinder Wuth auf das feste Ge¬
bäude. Aber ein Kartätscheuhagel schlug ganze Reihen der Angreifenden nieder,
alle Stürme wurden abgeschlagen und mit Kanonen konnte man nur von der Seite
der Bastei aus das Gebäude bestreichen. Nach letzterer wurden dann mit unsäg¬
licher Mühe zwei Geschütze der Nationalgarde gebracht und aus denselben versucht,
mit Kartätschen Bresche zu schießen! Als man nach 196 Schüssen aus eiuer Ka-
nonx dazu einen kleinen Anfang erreicht hatte, war die Ordre des Generals ein¬
getroffen, das Militär zog mit allen Ehren ab und überließ, laut der abgeschlos¬
senen Kapitulation, dem Volke das kaiserliche Zeughaus. Es war dies gegen
fünf Uhr des Morgens. Wie viel Blut ist muthwillig vergossen worden für ein
Ziel, welches ohne einen Tropfen ebenfalls erreicht worden wäre!

Die Scenen, welche nunmehr folgten, zu beschreiben, ist eben so schwer, wie
es gewesen ist, denselben beizuwohnen. Mich brachte gegen acht Uhr frühe der
Strom der Massen nach dem Zeughaus. Vor demselben lagen viele durch Kar¬
tätschen schrecklich verstümmelte Leichname; man war an deren Anblick so gewöhnt,
daß man fast theilnahmlos sich daran vorüber drängen ließ, denn an eine will¬
kürliche Bewegung war in der gepreßten Menge nicht zu denken, die sich trotz
aller Abwehr der schwachen Nationalgardenwache in das Innere des Zeughauses
drängte, um daselbst Waffen zu erbeuten. Die Habgier darnach ward gereizt dnrch
den Anblick der prächtigsten Gewehre, mit welchen viele Glückliche schon begabt
an uns vorüber gezogen waren; unaufhaltsam schob sich der Menschenschwarm in
die düsteren, gewölbten Säle. Welch' eine Zerstörung! In Knäuel geballt, schlu¬
gen die Plünderer mit allen möglichen Werkzeugen die Kisten auf, worin die
Musketen und Büchsen gepackt waren, rissen sich dieselben einander aus den Hän¬
den, verwundeten sich und Andere, drängten, stießen, schrieen und tobten -- es


Der Reichstag sprach seine Entrüstung über den blutigen Mord des Kriegs¬
ministers, den er trefflich hätte verhindern können, zwar aus, dachte aber nicht
im Geringsten daran, einen der blutigen Mörder, die sich laut und offen ihrer
That rühmten, zur Verantwortung zu ziehen. Er hatte freilich an jenem Abend
sehr vieles Andre zu thun. Die Nachricht von der hastigen Flucht des Kaisers,
dessen hinterlassenes Manifest und der noch nicht beendigte Kampf hielten ihn,
der sich permanent erklärt hatte, vollkommen in Athem. Das Militär hatte näm¬
lich , auf allen Punkten vom Volk besiegt, die Stadt geräumt und nur eine Be¬
satzung in dem kaiserlichen Zeughaus zurückgelassen. Die Zurückziehung der er¬
steren, die Uebergabe des letzteren, verlangte nunmehr das souveräne Volk oder
vielmehr dessen vielköpfiger Despot, die Anta. Der die Besatzung befestigende
tapfere Offizier weigerte sich ohne Ordre von seinem General abzuziehen, erkannte
die des Reichstags nicht an, und vertheidigte sich energisch gegen die Stürmer,
denn die akademische Jngend wollte in ihrer tapferen Ungeduld uicht darauf war¬
ten, bis der an Auersperg, den Commandirenden der Truppen, gesandte Parla¬
mentär zurückgekehrt sei, sondern warf sich in blinder Wuth auf das feste Ge¬
bäude. Aber ein Kartätscheuhagel schlug ganze Reihen der Angreifenden nieder,
alle Stürme wurden abgeschlagen und mit Kanonen konnte man nur von der Seite
der Bastei aus das Gebäude bestreichen. Nach letzterer wurden dann mit unsäg¬
licher Mühe zwei Geschütze der Nationalgarde gebracht und aus denselben versucht,
mit Kartätschen Bresche zu schießen! Als man nach 196 Schüssen aus eiuer Ka-
nonx dazu einen kleinen Anfang erreicht hatte, war die Ordre des Generals ein¬
getroffen, das Militär zog mit allen Ehren ab und überließ, laut der abgeschlos¬
senen Kapitulation, dem Volke das kaiserliche Zeughaus. Es war dies gegen
fünf Uhr des Morgens. Wie viel Blut ist muthwillig vergossen worden für ein
Ziel, welches ohne einen Tropfen ebenfalls erreicht worden wäre!

Die Scenen, welche nunmehr folgten, zu beschreiben, ist eben so schwer, wie
es gewesen ist, denselben beizuwohnen. Mich brachte gegen acht Uhr frühe der
Strom der Massen nach dem Zeughaus. Vor demselben lagen viele durch Kar¬
tätschen schrecklich verstümmelte Leichname; man war an deren Anblick so gewöhnt,
daß man fast theilnahmlos sich daran vorüber drängen ließ, denn an eine will¬
kürliche Bewegung war in der gepreßten Menge nicht zu denken, die sich trotz
aller Abwehr der schwachen Nationalgardenwache in das Innere des Zeughauses
drängte, um daselbst Waffen zu erbeuten. Die Habgier darnach ward gereizt dnrch
den Anblick der prächtigsten Gewehre, mit welchen viele Glückliche schon begabt
an uns vorüber gezogen waren; unaufhaltsam schob sich der Menschenschwarm in
die düsteren, gewölbten Säle. Welch' eine Zerstörung! In Knäuel geballt, schlu¬
gen die Plünderer mit allen möglichen Werkzeugen die Kisten auf, worin die
Musketen und Büchsen gepackt waren, rissen sich dieselben einander aus den Hän¬
den, verwundeten sich und Andere, drängten, stießen, schrieen und tobten — es


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[0142] Der Reichstag sprach seine Entrüstung über den blutigen Mord des Kriegs¬ ministers, den er trefflich hätte verhindern können, zwar aus, dachte aber nicht im Geringsten daran, einen der blutigen Mörder, die sich laut und offen ihrer That rühmten, zur Verantwortung zu ziehen. Er hatte freilich an jenem Abend sehr vieles Andre zu thun. Die Nachricht von der hastigen Flucht des Kaisers, dessen hinterlassenes Manifest und der noch nicht beendigte Kampf hielten ihn, der sich permanent erklärt hatte, vollkommen in Athem. Das Militär hatte näm¬ lich , auf allen Punkten vom Volk besiegt, die Stadt geräumt und nur eine Be¬ satzung in dem kaiserlichen Zeughaus zurückgelassen. Die Zurückziehung der er¬ steren, die Uebergabe des letzteren, verlangte nunmehr das souveräne Volk oder vielmehr dessen vielköpfiger Despot, die Anta. Der die Besatzung befestigende tapfere Offizier weigerte sich ohne Ordre von seinem General abzuziehen, erkannte die des Reichstags nicht an, und vertheidigte sich energisch gegen die Stürmer, denn die akademische Jngend wollte in ihrer tapferen Ungeduld uicht darauf war¬ ten, bis der an Auersperg, den Commandirenden der Truppen, gesandte Parla¬ mentär zurückgekehrt sei, sondern warf sich in blinder Wuth auf das feste Ge¬ bäude. Aber ein Kartätscheuhagel schlug ganze Reihen der Angreifenden nieder, alle Stürme wurden abgeschlagen und mit Kanonen konnte man nur von der Seite der Bastei aus das Gebäude bestreichen. Nach letzterer wurden dann mit unsäg¬ licher Mühe zwei Geschütze der Nationalgarde gebracht und aus denselben versucht, mit Kartätschen Bresche zu schießen! Als man nach 196 Schüssen aus eiuer Ka- nonx dazu einen kleinen Anfang erreicht hatte, war die Ordre des Generals ein¬ getroffen, das Militär zog mit allen Ehren ab und überließ, laut der abgeschlos¬ senen Kapitulation, dem Volke das kaiserliche Zeughaus. Es war dies gegen fünf Uhr des Morgens. Wie viel Blut ist muthwillig vergossen worden für ein Ziel, welches ohne einen Tropfen ebenfalls erreicht worden wäre! Die Scenen, welche nunmehr folgten, zu beschreiben, ist eben so schwer, wie es gewesen ist, denselben beizuwohnen. Mich brachte gegen acht Uhr frühe der Strom der Massen nach dem Zeughaus. Vor demselben lagen viele durch Kar¬ tätschen schrecklich verstümmelte Leichname; man war an deren Anblick so gewöhnt, daß man fast theilnahmlos sich daran vorüber drängen ließ, denn an eine will¬ kürliche Bewegung war in der gepreßten Menge nicht zu denken, die sich trotz aller Abwehr der schwachen Nationalgardenwache in das Innere des Zeughauses drängte, um daselbst Waffen zu erbeuten. Die Habgier darnach ward gereizt dnrch den Anblick der prächtigsten Gewehre, mit welchen viele Glückliche schon begabt an uns vorüber gezogen waren; unaufhaltsam schob sich der Menschenschwarm in die düsteren, gewölbten Säle. Welch' eine Zerstörung! In Knäuel geballt, schlu¬ gen die Plünderer mit allen möglichen Werkzeugen die Kisten auf, worin die Musketen und Büchsen gepackt waren, rissen sich dieselben einander aus den Hän¬ den, verwundeten sich und Andere, drängten, stießen, schrieen und tobten — es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/142>, abgerufen am 22.07.2024.