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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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den letztvvrhergehenden Tagen große Summen aus Pesth nach Wien und zwar
an wohlbekannte Demokraten adressirt, gelaugt sind, und es ist nur wunderbar,
daß Kossuth noch dieselben aufzutreiben gewußt hat. Als ich mit Freunden am
Morgen des 8. nach der Aula ging, begegnete uns ein Hauptmann der National¬
garde, die Brust mit mehreren Medaillen geziert, ein Pole, derselbe, welcher
den Arbeiter" zur Wegnahme der Kanonen an der Taborbrücke Anleitung gegeben
hatte. Er hielt mich wahrscheinlich für einen Eingeweihten, denn mit freudestrah^
leuten Gesicht machte er uns ohne Weiteres die Mittheilung: Heute bekommen
wir wieder hunderttausend Gulden aus Pesth! -- Dieses Factum bedarf keines
Commentars. Wie sich auch die Wiener Oktoberbewegnng gestaltet haben mag,
und ich will gerne zugeben, daß das unverantwortliche Benehmen Iellachichs, der
kaiserlichen Generale und der Camarilla ihr eine Berechtigung verliehen, die der
Reichstag selber sanktionirt hat, so ist sie doch gewiß ursprünglich einer unreinen,
trüben Quelle entflossen. Aber ich enthalte mich mit Fleiß jedes weiteren Räson-
nements über Ursprung, Wesen und Bedeutung derselben und wende mich lieber
der Betrachtung und Beobachtung mittheileuswcrther Einzelnheiten zu, aus deren
Gesammtheit sich leicht ein Urtheil fällen, ein Prognvfticum stellen lassen wird.

Die Physiognomie der Stadt Wien am siebenten October, also am Tage
nach dem Ausbruch, war eine höchst merkwürdige. Alle Gewölbe waren geschlos¬
sen, die Straßen durch Barrikaden gesperrt, kein Fiacre rasselte durch dieselben,
der Verkehr war sparsam, und Wien war nicht mehr das Alte. Eine schwere
Schuld schien wie der Alp ans der heiteren Stadt zu liegen; scheu und gesenkten
Auges schlichen die Menschen an einander vorüber und selbst der jugendliche Aka¬
demiker schritt nicht so keck gehobenen Gangs dahin, wie gewöhnlich. Was war
über diese Leute gekommen? Fühlten sie das Gewicht der ungeheuern Verant-
wortung, die sie auf sich genommen, gingen der Ermordeten Geister dnrch die
Straßen, betäubte das Blut, das auf den Steinen klebte, die Wandelnden? Ich
weiß es nicht, aber das weiß ich, daß an jenem Tage eine solche Rath - und
Thatlosigkeit in der Stadt herrschte, daß eS dem Commandirenden im Belvedere,
dem Grafen Auersperg, gewiß nicht schwer gefallen sein würde, mit kühnem Hand¬
streich sich derselben wieder zu bemächtigen, wenn er anders nnr gewollt hätte.
Die Lenker der Bewegung warfen zuerst wieder die gefährlich drückende Stimmung
von sich ab, da es galt, durch Zuversicht und Selbstvertrauen die Massen zu er¬
heben und zu stützen. Unter den vielen Mitteln, welche sie dazu anwandten, stan¬
den in vorderster Reihe die Verbreitung von Nachrichten über die Demoralisation
der Armee und ihre Sympathieen für's Volk, dann von unermeßlichen Zuzügen
und Erhebungen des Landsturms. Ehrlich gesprochen, mit Beiden war es nicht
viel. Die Anzahl der von den Regimentern Deutschmeister und Heß zum Volke
übergegangenen Soldaten hat, hoch genommen, in der Woche des Anfstands nicht
mehr als ILt" in Allem betragen. Ich selbst habe in der Aula, am rothen Thurm-


den letztvvrhergehenden Tagen große Summen aus Pesth nach Wien und zwar
an wohlbekannte Demokraten adressirt, gelaugt sind, und es ist nur wunderbar,
daß Kossuth noch dieselben aufzutreiben gewußt hat. Als ich mit Freunden am
Morgen des 8. nach der Aula ging, begegnete uns ein Hauptmann der National¬
garde, die Brust mit mehreren Medaillen geziert, ein Pole, derselbe, welcher
den Arbeiter» zur Wegnahme der Kanonen an der Taborbrücke Anleitung gegeben
hatte. Er hielt mich wahrscheinlich für einen Eingeweihten, denn mit freudestrah^
leuten Gesicht machte er uns ohne Weiteres die Mittheilung: Heute bekommen
wir wieder hunderttausend Gulden aus Pesth! — Dieses Factum bedarf keines
Commentars. Wie sich auch die Wiener Oktoberbewegnng gestaltet haben mag,
und ich will gerne zugeben, daß das unverantwortliche Benehmen Iellachichs, der
kaiserlichen Generale und der Camarilla ihr eine Berechtigung verliehen, die der
Reichstag selber sanktionirt hat, so ist sie doch gewiß ursprünglich einer unreinen,
trüben Quelle entflossen. Aber ich enthalte mich mit Fleiß jedes weiteren Räson-
nements über Ursprung, Wesen und Bedeutung derselben und wende mich lieber
der Betrachtung und Beobachtung mittheileuswcrther Einzelnheiten zu, aus deren
Gesammtheit sich leicht ein Urtheil fällen, ein Prognvfticum stellen lassen wird.

Die Physiognomie der Stadt Wien am siebenten October, also am Tage
nach dem Ausbruch, war eine höchst merkwürdige. Alle Gewölbe waren geschlos¬
sen, die Straßen durch Barrikaden gesperrt, kein Fiacre rasselte durch dieselben,
der Verkehr war sparsam, und Wien war nicht mehr das Alte. Eine schwere
Schuld schien wie der Alp ans der heiteren Stadt zu liegen; scheu und gesenkten
Auges schlichen die Menschen an einander vorüber und selbst der jugendliche Aka¬
demiker schritt nicht so keck gehobenen Gangs dahin, wie gewöhnlich. Was war
über diese Leute gekommen? Fühlten sie das Gewicht der ungeheuern Verant-
wortung, die sie auf sich genommen, gingen der Ermordeten Geister dnrch die
Straßen, betäubte das Blut, das auf den Steinen klebte, die Wandelnden? Ich
weiß es nicht, aber das weiß ich, daß an jenem Tage eine solche Rath - und
Thatlosigkeit in der Stadt herrschte, daß eS dem Commandirenden im Belvedere,
dem Grafen Auersperg, gewiß nicht schwer gefallen sein würde, mit kühnem Hand¬
streich sich derselben wieder zu bemächtigen, wenn er anders nnr gewollt hätte.
Die Lenker der Bewegung warfen zuerst wieder die gefährlich drückende Stimmung
von sich ab, da es galt, durch Zuversicht und Selbstvertrauen die Massen zu er¬
heben und zu stützen. Unter den vielen Mitteln, welche sie dazu anwandten, stan¬
den in vorderster Reihe die Verbreitung von Nachrichten über die Demoralisation
der Armee und ihre Sympathieen für's Volk, dann von unermeßlichen Zuzügen
und Erhebungen des Landsturms. Ehrlich gesprochen, mit Beiden war es nicht
viel. Die Anzahl der von den Regimentern Deutschmeister und Heß zum Volke
übergegangenen Soldaten hat, hoch genommen, in der Woche des Anfstands nicht
mehr als ILt» in Allem betragen. Ich selbst habe in der Aula, am rothen Thurm-


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[0144] den letztvvrhergehenden Tagen große Summen aus Pesth nach Wien und zwar an wohlbekannte Demokraten adressirt, gelaugt sind, und es ist nur wunderbar, daß Kossuth noch dieselben aufzutreiben gewußt hat. Als ich mit Freunden am Morgen des 8. nach der Aula ging, begegnete uns ein Hauptmann der National¬ garde, die Brust mit mehreren Medaillen geziert, ein Pole, derselbe, welcher den Arbeiter» zur Wegnahme der Kanonen an der Taborbrücke Anleitung gegeben hatte. Er hielt mich wahrscheinlich für einen Eingeweihten, denn mit freudestrah^ leuten Gesicht machte er uns ohne Weiteres die Mittheilung: Heute bekommen wir wieder hunderttausend Gulden aus Pesth! — Dieses Factum bedarf keines Commentars. Wie sich auch die Wiener Oktoberbewegnng gestaltet haben mag, und ich will gerne zugeben, daß das unverantwortliche Benehmen Iellachichs, der kaiserlichen Generale und der Camarilla ihr eine Berechtigung verliehen, die der Reichstag selber sanktionirt hat, so ist sie doch gewiß ursprünglich einer unreinen, trüben Quelle entflossen. Aber ich enthalte mich mit Fleiß jedes weiteren Räson- nements über Ursprung, Wesen und Bedeutung derselben und wende mich lieber der Betrachtung und Beobachtung mittheileuswcrther Einzelnheiten zu, aus deren Gesammtheit sich leicht ein Urtheil fällen, ein Prognvfticum stellen lassen wird. Die Physiognomie der Stadt Wien am siebenten October, also am Tage nach dem Ausbruch, war eine höchst merkwürdige. Alle Gewölbe waren geschlos¬ sen, die Straßen durch Barrikaden gesperrt, kein Fiacre rasselte durch dieselben, der Verkehr war sparsam, und Wien war nicht mehr das Alte. Eine schwere Schuld schien wie der Alp ans der heiteren Stadt zu liegen; scheu und gesenkten Auges schlichen die Menschen an einander vorüber und selbst der jugendliche Aka¬ demiker schritt nicht so keck gehobenen Gangs dahin, wie gewöhnlich. Was war über diese Leute gekommen? Fühlten sie das Gewicht der ungeheuern Verant- wortung, die sie auf sich genommen, gingen der Ermordeten Geister dnrch die Straßen, betäubte das Blut, das auf den Steinen klebte, die Wandelnden? Ich weiß es nicht, aber das weiß ich, daß an jenem Tage eine solche Rath - und Thatlosigkeit in der Stadt herrschte, daß eS dem Commandirenden im Belvedere, dem Grafen Auersperg, gewiß nicht schwer gefallen sein würde, mit kühnem Hand¬ streich sich derselben wieder zu bemächtigen, wenn er anders nnr gewollt hätte. Die Lenker der Bewegung warfen zuerst wieder die gefährlich drückende Stimmung von sich ab, da es galt, durch Zuversicht und Selbstvertrauen die Massen zu er¬ heben und zu stützen. Unter den vielen Mitteln, welche sie dazu anwandten, stan¬ den in vorderster Reihe die Verbreitung von Nachrichten über die Demoralisation der Armee und ihre Sympathieen für's Volk, dann von unermeßlichen Zuzügen und Erhebungen des Landsturms. Ehrlich gesprochen, mit Beiden war es nicht viel. Die Anzahl der von den Regimentern Deutschmeister und Heß zum Volke übergegangenen Soldaten hat, hoch genommen, in der Woche des Anfstands nicht mehr als ILt» in Allem betragen. Ich selbst habe in der Aula, am rothen Thurm-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/144>, abgerufen am 28.12.2024.