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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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eroberten sie im Sturm, warfen eine in die Donau und entführten die andere
im Triumph. Die Nassauer hatten inzwischen den einstweiligen Sieg davon ge¬
tragen und behaupteten den Wahlplatz, während Akademiker und Garden sich in
die Stadt warfen.

In der letzteren herrschte wilde Verwirrung. Läden und Gewölbe wurden
geschlossen, flüchtende Weiber und Kinder, wüthende Haufen, die nach den Glocken¬
thürmen eilten, um Sturm zu läuten, Bewaffnete aller Art rannten über die
Straßen. Wir liefen uach der Burg, um im Reichstag die Beschlüsse zu verneh¬
men, welche dem Angriff der Soldateska auf die Bürger folgen würden. Aber
der Präsident Strobach, hinter der Aegide der Geschäftsordnung, hatte sich ge¬
weigert, denselben zusammen zu berufen. Der Vicepräfldent Smolka, der uns
begleitet hatte, übernahm es, dies zu thun, und seiner Besonnenheit und Umsicht
gelang die Ausführung. Aber die Aufregung, die uns ergriffen hatte, ließ uns
nicht darauf warten.

Aus den kleinen Anfängen der Bewegung entwickelte sich nunmehr stufenweise
eine furchtbare, blutige Tragödie. Die Massen der Legionäre und Nationalgarten,
welche von der Taborbrücke in die Stadt flutheten, drängten vorzugsweise nach
dem Stephansplatze hiu. Vorausziehende Haufen hatten schon versucht, im Dome
Sturm zu läuten, waren aber durch die Nationalgarten des Kärnthnerviertels, die
denselben besetzt hielten und welchen man sämmtlich große Hinneigung zum Schwarz-
gelbthum beilegt, mit Erfolg daran verhindert worden. Der nachströmende Suc-
curs drohte aber die Letzteren zu überwältigen, vielleicht auf die Macht der holden
Batterie vertrauend, die um diese Zeit auf dem Stockimeisenplatz auffuhr, wagten
sie es, die Offensive zu ergreisen. Ein Schuß aus dem heiligen Gebäude selbst,
der einen Academiker niederstreckte, gab das Signal zum Kampf der Bürger gegen
Bürger. In die Hallen des Domes zurückgedrängt, bis hinauf in den Glocken¬
stuhl verfolgt, unterlagen die Garden des Kärnthnerviertels allenthalben dem wü¬
thenden Anlauf der Vorstädter und Studenten, und auf dem Hochaltar fiel ihr
Hauptmann unter unzähligen Streichen. Und nur donnerten draußen die Ka¬
nonen am Stock im Eisen, auf dem Graben, am -Hof -- die Kartätschen prasselten
an die Wände der Häuser, mit tausendfältigein Geklirr zerschmetterten die Fenster¬
scheiben bis in den höchsten Stock hinauf, Kleingewehrfeuer, Glockenstnrm, Wuthruf,
Wehgeschrei und Stöhnen füllten die Lüfte -- es war ein unbeschreiblicher Mo¬
ment! Ein Kampf der Vernichtung hatte begonnen, der, von beiden Seiten mit
rasender Erbitterung geführt, in jedem Falle des Ausgangs Schreckliches verhieß.

Erschöpft und betäubt hatte ich ,das Gasthaus "zum rothen Igel" auf dem
Wildprctmarkt erreicht, woselbst ich mehrere meiner Freunde, die ich im Gedränge
verloren hatte, wieder zu finden hoffte. Aber vergebliche Hoffnung, hier Erho¬
lung zu finden! Kaum auf einen Stuhl gesunken, reißt wildes, tobendes Geschrei
mich an's Fenster. Eine wahnsinnige Horde verfolgt einen blutenden Mann, sie


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eroberten sie im Sturm, warfen eine in die Donau und entführten die andere
im Triumph. Die Nassauer hatten inzwischen den einstweiligen Sieg davon ge¬
tragen und behaupteten den Wahlplatz, während Akademiker und Garden sich in
die Stadt warfen.

In der letzteren herrschte wilde Verwirrung. Läden und Gewölbe wurden
geschlossen, flüchtende Weiber und Kinder, wüthende Haufen, die nach den Glocken¬
thürmen eilten, um Sturm zu läuten, Bewaffnete aller Art rannten über die
Straßen. Wir liefen uach der Burg, um im Reichstag die Beschlüsse zu verneh¬
men, welche dem Angriff der Soldateska auf die Bürger folgen würden. Aber
der Präsident Strobach, hinter der Aegide der Geschäftsordnung, hatte sich ge¬
weigert, denselben zusammen zu berufen. Der Vicepräfldent Smolka, der uns
begleitet hatte, übernahm es, dies zu thun, und seiner Besonnenheit und Umsicht
gelang die Ausführung. Aber die Aufregung, die uns ergriffen hatte, ließ uns
nicht darauf warten.

Aus den kleinen Anfängen der Bewegung entwickelte sich nunmehr stufenweise
eine furchtbare, blutige Tragödie. Die Massen der Legionäre und Nationalgarten,
welche von der Taborbrücke in die Stadt flutheten, drängten vorzugsweise nach
dem Stephansplatze hiu. Vorausziehende Haufen hatten schon versucht, im Dome
Sturm zu läuten, waren aber durch die Nationalgarten des Kärnthnerviertels, die
denselben besetzt hielten und welchen man sämmtlich große Hinneigung zum Schwarz-
gelbthum beilegt, mit Erfolg daran verhindert worden. Der nachströmende Suc-
curs drohte aber die Letzteren zu überwältigen, vielleicht auf die Macht der holden
Batterie vertrauend, die um diese Zeit auf dem Stockimeisenplatz auffuhr, wagten
sie es, die Offensive zu ergreisen. Ein Schuß aus dem heiligen Gebäude selbst,
der einen Academiker niederstreckte, gab das Signal zum Kampf der Bürger gegen
Bürger. In die Hallen des Domes zurückgedrängt, bis hinauf in den Glocken¬
stuhl verfolgt, unterlagen die Garden des Kärnthnerviertels allenthalben dem wü¬
thenden Anlauf der Vorstädter und Studenten, und auf dem Hochaltar fiel ihr
Hauptmann unter unzähligen Streichen. Und nur donnerten draußen die Ka¬
nonen am Stock im Eisen, auf dem Graben, am -Hof — die Kartätschen prasselten
an die Wände der Häuser, mit tausendfältigein Geklirr zerschmetterten die Fenster¬
scheiben bis in den höchsten Stock hinauf, Kleingewehrfeuer, Glockenstnrm, Wuthruf,
Wehgeschrei und Stöhnen füllten die Lüfte — es war ein unbeschreiblicher Mo¬
ment! Ein Kampf der Vernichtung hatte begonnen, der, von beiden Seiten mit
rasender Erbitterung geführt, in jedem Falle des Ausgangs Schreckliches verhieß.

Erschöpft und betäubt hatte ich ,das Gasthaus „zum rothen Igel" auf dem
Wildprctmarkt erreicht, woselbst ich mehrere meiner Freunde, die ich im Gedränge
verloren hatte, wieder zu finden hoffte. Aber vergebliche Hoffnung, hier Erho¬
lung zu finden! Kaum auf einen Stuhl gesunken, reißt wildes, tobendes Geschrei
mich an's Fenster. Eine wahnsinnige Horde verfolgt einen blutenden Mann, sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/139>, abgerufen am 22.07.2024.