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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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erreicht ihn, zwanzig Mordiustrumente fallen ans ihn nieder, hoch spritzt sein Blut
ans den zerrissenen Arterien im Bogen hervor, er sinkt nieder, rafft sich ans --
mit Lebensgefahr retten ihn wackere Bürger in das Haus. Sie können leider
dem tödtlich Getroffenen nur wenige Stunden qualvollen Daseins fristen. Was
hat er gethan? Er ist ein schwarzgelber -- das ist genug! Er soll auf das
Volk geschossen haben -- aber er war unbewaffnet, in bürgerlicher Kleidung. Ein
junger Mann sucht deu Tobendeu Vernunft zu predigen. Das ist auch ein schwarz-
gelber! schreien sie, und wie Hyänen fallen sie über ihn her. Wie durch ein
Wunder, ans vielen Wunden blutend, entgeht er den Händen der mordgierigen
Bande. Wenn ich früher versucht war, den E. Sue der Uebertreibung anzuklagen,
wenn er von den Greueln der Loup's und Devorants erzählte, so sollte ich heute
die Lehre erhalten, daß die erschöpfendste Phantasie nicht im Stande ist, die ent¬
fesselte Leidenschaft des Menschen in ihrer ganzen Scheußlichkeit getreu zu malen.

Der Kampf in den Straßen dauerte fort, überall siegte das Volk, mit Zan-
berschnelle erwuchsen an den wichtigsten Punkten kunstgerechte Barrikaden. Von
den Tuchlanben dnrch hartnäckiges Gewehrfeuer vertrieben, wagte ich es mit
einem Freunde ein zitterndes Mädchen nach ihrer ziemlich fernen Wohnung zu
geleiten. Wir kamen über den Hof. Auch hier war der Sieg errungen, da
und dort lag eine Leiche, große Blutlachen in den Straßen verkündeten seinen
theuern Preis. Vor dem geschlossenen Hof-Kricgsgcbände, in das sich die Gre¬
nadierwache zurückgezogen hatte, tobte eine wilde Menge. Unter ihrem drohenden
Geschrei klang kein Wort so furchtbar, als der allverhaßte Name: Latour! End¬
lich öffnete sich die gewaltige Pforte des Hauses und hinein in den großen Hos
strömte die erhitzte, fanatische Menge. Einige Wohlgesinnte warfen sich ihr ent¬
gegen -- vergebens, man wollte ein Opfer. Noch zur rechten Zeit schob eine
neue Erscheinung dasselbe ans. Von Legionären geleitet, durchzog eine Abtheilung
von Reichstagsabgeordneten mit weißen Fahnen die Stadt und predigte Frieden.
Im Hvfkriegögebände hielt es schwer, denselben aufrecht zu erhalten; erst als der
allgeliebte Borrosch von den Schultern stämmiger Arbeiter herab vor neuem
Blutvergießen gewarnt, und wie der Geist im Hamlet, nur mit dünner Fistel¬
stimme, sein: Schwört! Schwört! gerufen hatte, beruhigte sich die blutgierige
Bande und entfernte sich, nachdem sie den Schwur geleistet hatte, dem Kriegs¬
minister kein Leid zuzufügen. Borrosch ward von den begeisterten, aber müden
Arbeitern ans ein lediges Pferd gehoben und wie ein Triumphator durch die Stadt
geführt. Der gute Mann hatte noch niemals ein Roß bestiegen, sein junges,
feuriges Thier courbettirte unter ihm so Prächtig, daß er eS umarmen zu müssen
glaubte und erst die Hilfe vou vier stämmigen Führern beruhigte es so weit, daß
sein Reiter, der edle Dulder, mit der Miene stummer Resignation und hoch hin¬
aufgezogenen Knieen es wagen konnte, seinem Schicksal in's Auge zu schauen.

Während aber der Volksmann sich hoch zu Roß bewundern ließ, waren neue


erreicht ihn, zwanzig Mordiustrumente fallen ans ihn nieder, hoch spritzt sein Blut
ans den zerrissenen Arterien im Bogen hervor, er sinkt nieder, rafft sich ans —
mit Lebensgefahr retten ihn wackere Bürger in das Haus. Sie können leider
dem tödtlich Getroffenen nur wenige Stunden qualvollen Daseins fristen. Was
hat er gethan? Er ist ein schwarzgelber — das ist genug! Er soll auf das
Volk geschossen haben — aber er war unbewaffnet, in bürgerlicher Kleidung. Ein
junger Mann sucht deu Tobendeu Vernunft zu predigen. Das ist auch ein schwarz-
gelber! schreien sie, und wie Hyänen fallen sie über ihn her. Wie durch ein
Wunder, ans vielen Wunden blutend, entgeht er den Händen der mordgierigen
Bande. Wenn ich früher versucht war, den E. Sue der Uebertreibung anzuklagen,
wenn er von den Greueln der Loup's und Devorants erzählte, so sollte ich heute
die Lehre erhalten, daß die erschöpfendste Phantasie nicht im Stande ist, die ent¬
fesselte Leidenschaft des Menschen in ihrer ganzen Scheußlichkeit getreu zu malen.

Der Kampf in den Straßen dauerte fort, überall siegte das Volk, mit Zan-
berschnelle erwuchsen an den wichtigsten Punkten kunstgerechte Barrikaden. Von
den Tuchlanben dnrch hartnäckiges Gewehrfeuer vertrieben, wagte ich es mit
einem Freunde ein zitterndes Mädchen nach ihrer ziemlich fernen Wohnung zu
geleiten. Wir kamen über den Hof. Auch hier war der Sieg errungen, da
und dort lag eine Leiche, große Blutlachen in den Straßen verkündeten seinen
theuern Preis. Vor dem geschlossenen Hof-Kricgsgcbände, in das sich die Gre¬
nadierwache zurückgezogen hatte, tobte eine wilde Menge. Unter ihrem drohenden
Geschrei klang kein Wort so furchtbar, als der allverhaßte Name: Latour! End¬
lich öffnete sich die gewaltige Pforte des Hauses und hinein in den großen Hos
strömte die erhitzte, fanatische Menge. Einige Wohlgesinnte warfen sich ihr ent¬
gegen — vergebens, man wollte ein Opfer. Noch zur rechten Zeit schob eine
neue Erscheinung dasselbe ans. Von Legionären geleitet, durchzog eine Abtheilung
von Reichstagsabgeordneten mit weißen Fahnen die Stadt und predigte Frieden.
Im Hvfkriegögebände hielt es schwer, denselben aufrecht zu erhalten; erst als der
allgeliebte Borrosch von den Schultern stämmiger Arbeiter herab vor neuem
Blutvergießen gewarnt, und wie der Geist im Hamlet, nur mit dünner Fistel¬
stimme, sein: Schwört! Schwört! gerufen hatte, beruhigte sich die blutgierige
Bande und entfernte sich, nachdem sie den Schwur geleistet hatte, dem Kriegs¬
minister kein Leid zuzufügen. Borrosch ward von den begeisterten, aber müden
Arbeitern ans ein lediges Pferd gehoben und wie ein Triumphator durch die Stadt
geführt. Der gute Mann hatte noch niemals ein Roß bestiegen, sein junges,
feuriges Thier courbettirte unter ihm so Prächtig, daß er eS umarmen zu müssen
glaubte und erst die Hilfe vou vier stämmigen Führern beruhigte es so weit, daß
sein Reiter, der edle Dulder, mit der Miene stummer Resignation und hoch hin¬
aufgezogenen Knieen es wagen konnte, seinem Schicksal in's Auge zu schauen.

Während aber der Volksmann sich hoch zu Roß bewundern ließ, waren neue


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/140>, abgerufen am 26.12.2024.