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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Die Bahnbrücke war theilweise abgetragen und verbarricadirt, über Sparren und
Balken kletternd mußte ich das jenseitige Ufer gewinnen, oft aufgehalten durch
lange Zuzüge Bewaffneter aus der Stadt. Aber alle diese Wehrmänner hatten
ein so lustiges Aussehen, scherzten und lachten so herzlich, daß es keinem Men¬
schen einfallen konnte, in der "Revolution" etwas anders zu erblicken, als eine
jener tragikomischen Demonstrationen, welche so oft dem Uebermuth eines auf seine
Kraft trotzenden Volkshaufens, der gerne selbst von Zeit zu Zeit probirt, wie weit
sich seine Souveränität erstreckt, entsprießen.

Auch in der Stadt bemerkte man nur an den vielen Bewaffneten, an den
Gruppen, welche sich vor den Thüren versammelt hatten, daß etwas im Werke
sei. Meine Freunde, welche ich aufsuchte, versicherten mich, daß das Volk, oder
vielmehr die Aula ihren Willen durchsetzen werde ohne Blutvergießen, und nach
manchen Scherzreden, die besonders auf Kosten meiner, des "Ausländers" Un-
gläubigkeit von dem großen politischen Einfluß der academischen Jngend Wiens
auf die große Völkerbewegung Europas, geführt wurden, beschlossen wir, ungefähr
um elf Uhr Vormittags, nach dem "Kriegsschauplatze" zu wandern, um die nun¬
mehrige Stellung der feindlichen Parteien aus nächster Nähe zu beaugenscheinigen.
Ein flinker Fiacre brachte uns in die Nähe des Angartens. Hier war viel Leben
und Gewühl; durch ein Regiment abgesessener Kürassiere machten wir uns Bahn
und erklimmten den Rest einer alten Schanze, welchen des Schleifers Schaufel
verschont hatte. Unsere Warte gewährte einen vollen Ueberblick des Bezirks, in
welchem das Drama sich entwickeln sollte; kaum hatten wir aber dieselbe erklimmt,
so donnerte schon furchtbar die erste Gewehrsalve durch die Luft und ein dicker,
qualmiger Pulverdampf breitete seinen Vorhang über die Ereignisse. Um unsere
Köpfe hatten nahe genug verirrte Kugeln gepfiffen; wir folgten dem Beispiel Tau¬
sender von Zuschauern, und begaben uns hinweg, oder vielmehr ehrlich gesagt,
wir ergriffen so schleunigst wie möglich die Flucht. Um so mehr war dies gerecht¬
fertigt, als die im Nu aufgesessenen Eürassiere in Carriere gegen uns heranbrau¬
sten, und um deu Platz zu säubern, Alles niederritten, was sich auf ihrer Bahn
bewegte. Die verschlungenen Gänge des Augartens retteten uns vor diesem
Schicksal, auf vielen Umwegen, fortwährend begleitet vom Rollen des fernen
Pelotonfeners gelangten wir in die Stadt.

Das Regiment Nassau hatte die Feindseligkeiten eröffnet und zuerst sowohl
auf die Grenadiere auf der Taborbrücke, wie ans die Arbeiter geschossen, welche
immer bedrohlicher seine Reihen umdrängten. Von jenen erwiderten mir einzelne
das Feuer, dagegen antworteten demselben von jenseit des Flusses die Musketen
der Legion und der Nationalgarde. Die Arbeiter, größtentheils unbewaffnet,
schäumten vor Wuth. Sie rissen mit blutenden Fingern die Bretter einer Um¬
zäunung ab, und mit diesen bewehrt stürzten sie, geschützt von einem vorstehenden
Gebäude, ans vier Kanonen, welche eben von den Pionieren geladen werden sollten,


Die Bahnbrücke war theilweise abgetragen und verbarricadirt, über Sparren und
Balken kletternd mußte ich das jenseitige Ufer gewinnen, oft aufgehalten durch
lange Zuzüge Bewaffneter aus der Stadt. Aber alle diese Wehrmänner hatten
ein so lustiges Aussehen, scherzten und lachten so herzlich, daß es keinem Men¬
schen einfallen konnte, in der „Revolution" etwas anders zu erblicken, als eine
jener tragikomischen Demonstrationen, welche so oft dem Uebermuth eines auf seine
Kraft trotzenden Volkshaufens, der gerne selbst von Zeit zu Zeit probirt, wie weit
sich seine Souveränität erstreckt, entsprießen.

Auch in der Stadt bemerkte man nur an den vielen Bewaffneten, an den
Gruppen, welche sich vor den Thüren versammelt hatten, daß etwas im Werke
sei. Meine Freunde, welche ich aufsuchte, versicherten mich, daß das Volk, oder
vielmehr die Aula ihren Willen durchsetzen werde ohne Blutvergießen, und nach
manchen Scherzreden, die besonders auf Kosten meiner, des „Ausländers" Un-
gläubigkeit von dem großen politischen Einfluß der academischen Jngend Wiens
auf die große Völkerbewegung Europas, geführt wurden, beschlossen wir, ungefähr
um elf Uhr Vormittags, nach dem „Kriegsschauplatze" zu wandern, um die nun¬
mehrige Stellung der feindlichen Parteien aus nächster Nähe zu beaugenscheinigen.
Ein flinker Fiacre brachte uns in die Nähe des Angartens. Hier war viel Leben
und Gewühl; durch ein Regiment abgesessener Kürassiere machten wir uns Bahn
und erklimmten den Rest einer alten Schanze, welchen des Schleifers Schaufel
verschont hatte. Unsere Warte gewährte einen vollen Ueberblick des Bezirks, in
welchem das Drama sich entwickeln sollte; kaum hatten wir aber dieselbe erklimmt,
so donnerte schon furchtbar die erste Gewehrsalve durch die Luft und ein dicker,
qualmiger Pulverdampf breitete seinen Vorhang über die Ereignisse. Um unsere
Köpfe hatten nahe genug verirrte Kugeln gepfiffen; wir folgten dem Beispiel Tau¬
sender von Zuschauern, und begaben uns hinweg, oder vielmehr ehrlich gesagt,
wir ergriffen so schleunigst wie möglich die Flucht. Um so mehr war dies gerecht¬
fertigt, als die im Nu aufgesessenen Eürassiere in Carriere gegen uns heranbrau¬
sten, und um deu Platz zu säubern, Alles niederritten, was sich auf ihrer Bahn
bewegte. Die verschlungenen Gänge des Augartens retteten uns vor diesem
Schicksal, auf vielen Umwegen, fortwährend begleitet vom Rollen des fernen
Pelotonfeners gelangten wir in die Stadt.

Das Regiment Nassau hatte die Feindseligkeiten eröffnet und zuerst sowohl
auf die Grenadiere auf der Taborbrücke, wie ans die Arbeiter geschossen, welche
immer bedrohlicher seine Reihen umdrängten. Von jenen erwiderten mir einzelne
das Feuer, dagegen antworteten demselben von jenseit des Flusses die Musketen
der Legion und der Nationalgarde. Die Arbeiter, größtentheils unbewaffnet,
schäumten vor Wuth. Sie rissen mit blutenden Fingern die Bretter einer Um¬
zäunung ab, und mit diesen bewehrt stürzten sie, geschützt von einem vorstehenden
Gebäude, ans vier Kanonen, welche eben von den Pionieren geladen werden sollten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/138>, abgerufen am 03.07.2024.