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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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hat bis jetzt die Erfahrung bewiesen, daß die Bestätigung ihrer höhern Communal-
beamten durch die Regierungen wenig genützt hat, unpassende Subjecte abzuhalten
und gute an die Stelle zu setzen. Und obgleich nicht geleugnet werden soll, daß
die Verwaltung der Landespolizei durch den Bürgermeister dem Staat ein großes.
Interesse an diesem Posten zur Pflicht macht, so ist doch sehr wünschenswert,
daß man zu dem verständigen Urtheil einer richtig organisirten Commun Vertrauen
zeige und das Eingreifen des Staats auf die Fälle beschränke, wo .etwa ein Theil
(Drittheil) der Gemeindemitglieder selbst gegen die Wahl protestirt. Ferner 3) ist
ein cousequenter Uebelstand des Regierungsentwurfs, daß die directe Betheiluug
der gesammten Gemeinde nicht kräftig genug hervortritt. Sie soll dadurch her¬
vorgebracht werden, daß in bestimmten Fällen, oder auf Beschluß des Gemeinde¬
oder Bezirksraths die Erklärung der Einzelnen an festgesetzten Orten zu Protokoll
gegeben werde" dürfe. Dies Protokolliren soll die Aufregung einer großen Ge¬
meindeversammlung umgehen. Mit Unrecht. Es liegt in der Zeit und hat guten
Grund, daß der Mann sich als beschließend, regierend in großer Vereinigung zu
finden liebt. Dazu muß man ihm in passenden Fällen Gelegenheit geben; läuft
auch einmal ein Beschluß mitunter, den der Besonnene anders wünscht, im Ganzen
wird sich's als das beste Mittel zeigen, dem Einzelnen Liebe und Theilnahme an
Gemeindeangelegenheiten zu geben. Am Bedenklichsten aber ist, daß der Regie¬
rungsentwurf sich auch genöthigt sieht, die Beschlüsse einer Gemeinde über Ver¬
äußerung von Grundstücken und entsprechenden Gerechtsamen, von Anleihen und
von Veränderungen im Genuß der Gemeindenntzungen von der Genehmigung des
Bezirksausschusses abhängig zu machen. Das ist Unfreiheit, Euratel über Ma-
jorenne. -- Wenn Preußen hofft, durch ein solches Gesetz seine Proletarier in
gute Bürger zu verwandeln, so ist es in verhängnißvollen Irrthum, umgekehrt,
die Gemeinden werden sich allmälig in Proletaricrconvente verwandeln, und gewiß
nicht deshalb, weil der Freiheit zu viel ist, sondern weil sie so roh und unge¬
schickt vertheilt wurde. Der Gesetzentwurf gleicht einem ängstlichen wohlwollenden
Herrn, der mit der einen Hand haufenweis und ohne Wahl ausgibt und mit der
andern das Verschleuderte wieder an sich ziehen möchte. Trotz alledem hat Preu¬
ßen im Allgemeinen ein Recht, sich auf diesen Zweig seiner Gesetzgebung etwas
zu Gute zu thun, und selbst aus den meisten Paragraphen dieser Gefetzvorlage
kann man lesen, daß tüchtige Kraft und die Schule ernster Erfahrungen bei dem
Volk sein muß, aus welchem eine so freie Auffassung des Gemeindelebens er"
wachsen ist.

Wenn der Negierungseutwurf an einigem Mangel von Consequenz leidet, dem
Oppvsitionsentwurf ist dieser Vorwurf nicht zu macheu. Im Gegentheil, der zieht
mit naiver Treuherzigkeit seine radikalen Konsequenzen. Sein Prinzip scheint zu
sein: die Staatsregierungen sind natürliche Feinde der Freiheit, also je mehr
Einfluß und Macht ihnen abgezwackt wird, desto besser ist es für den Staat.


hat bis jetzt die Erfahrung bewiesen, daß die Bestätigung ihrer höhern Communal-
beamten durch die Regierungen wenig genützt hat, unpassende Subjecte abzuhalten
und gute an die Stelle zu setzen. Und obgleich nicht geleugnet werden soll, daß
die Verwaltung der Landespolizei durch den Bürgermeister dem Staat ein großes.
Interesse an diesem Posten zur Pflicht macht, so ist doch sehr wünschenswert,
daß man zu dem verständigen Urtheil einer richtig organisirten Commun Vertrauen
zeige und das Eingreifen des Staats auf die Fälle beschränke, wo .etwa ein Theil
(Drittheil) der Gemeindemitglieder selbst gegen die Wahl protestirt. Ferner 3) ist
ein cousequenter Uebelstand des Regierungsentwurfs, daß die directe Betheiluug
der gesammten Gemeinde nicht kräftig genug hervortritt. Sie soll dadurch her¬
vorgebracht werden, daß in bestimmten Fällen, oder auf Beschluß des Gemeinde¬
oder Bezirksraths die Erklärung der Einzelnen an festgesetzten Orten zu Protokoll
gegeben werde» dürfe. Dies Protokolliren soll die Aufregung einer großen Ge¬
meindeversammlung umgehen. Mit Unrecht. Es liegt in der Zeit und hat guten
Grund, daß der Mann sich als beschließend, regierend in großer Vereinigung zu
finden liebt. Dazu muß man ihm in passenden Fällen Gelegenheit geben; läuft
auch einmal ein Beschluß mitunter, den der Besonnene anders wünscht, im Ganzen
wird sich's als das beste Mittel zeigen, dem Einzelnen Liebe und Theilnahme an
Gemeindeangelegenheiten zu geben. Am Bedenklichsten aber ist, daß der Regie¬
rungsentwurf sich auch genöthigt sieht, die Beschlüsse einer Gemeinde über Ver¬
äußerung von Grundstücken und entsprechenden Gerechtsamen, von Anleihen und
von Veränderungen im Genuß der Gemeindenntzungen von der Genehmigung des
Bezirksausschusses abhängig zu machen. Das ist Unfreiheit, Euratel über Ma-
jorenne. — Wenn Preußen hofft, durch ein solches Gesetz seine Proletarier in
gute Bürger zu verwandeln, so ist es in verhängnißvollen Irrthum, umgekehrt,
die Gemeinden werden sich allmälig in Proletaricrconvente verwandeln, und gewiß
nicht deshalb, weil der Freiheit zu viel ist, sondern weil sie so roh und unge¬
schickt vertheilt wurde. Der Gesetzentwurf gleicht einem ängstlichen wohlwollenden
Herrn, der mit der einen Hand haufenweis und ohne Wahl ausgibt und mit der
andern das Verschleuderte wieder an sich ziehen möchte. Trotz alledem hat Preu¬
ßen im Allgemeinen ein Recht, sich auf diesen Zweig seiner Gesetzgebung etwas
zu Gute zu thun, und selbst aus den meisten Paragraphen dieser Gefetzvorlage
kann man lesen, daß tüchtige Kraft und die Schule ernster Erfahrungen bei dem
Volk sein muß, aus welchem eine so freie Auffassung des Gemeindelebens er»
wachsen ist.

Wenn der Negierungseutwurf an einigem Mangel von Consequenz leidet, dem
Oppvsitionsentwurf ist dieser Vorwurf nicht zu macheu. Im Gegentheil, der zieht
mit naiver Treuherzigkeit seine radikalen Konsequenzen. Sein Prinzip scheint zu
sein: die Staatsregierungen sind natürliche Feinde der Freiheit, also je mehr
Einfluß und Macht ihnen abgezwackt wird, desto besser ist es für den Staat.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/102>, abgerufen am 29.06.2024.