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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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dürste man ihn wohl eher der eignen Schuld der eingelegten Kranken und Ver¬
wundeten beimessen, welche sich zum Theil ganz ungebärdig betrugen.

Eben so übertrieben ist zuverlässig der Vorwurf, daß von 20,000 Kranken
und Verwundeten auch nicht ein Einziger ein Hemde, Betttuch oder dergleichen
erhalten. Schon vor der Schlacht bei Lützen, nach dem ersten Einzuge der ver¬
bündeten Truppen im April 18l3, wurden die Militairspitale in Leipzig, nach
Anleitung der königl. preußischen Instruction, für die Feldlazarethe vom Jahre
180" eingerichtet. Jeder Kranke erhielt eine hölzerne Bettstelle, Strohsack, Kopf¬
kissen, Betttuch nud wollene Decke. Diese Einrichtung blieb im Wesentlichen
dieselbe sowohl während der französischen Occupation als nach der Schlacht bei
Leipzig. Bei der großen schon vorhandenen Anzahl von Hospitäler sind wenig¬
stens diejenigen Kranken, welche noch dort untergebracht werden konnten, so weit
es möglich war, mit den Effecten versehen worden. Allein freilich war es eine
Unmöglichkeit, diejenigen Gebäude, welche ganz neu zu Hospitäler eingerichtet
werden mußten, sofort mit den nöthigen Requisiten zu versorgen; um jedoch die¬
sem Mangel bald möglichst abzuhelfen, wurden von dem Stadtrathe am 29. Oc-
tober von jeder Familie ein Hemde, ein Betttuch und ein Strohsack requirirt,
welche Stücke sofort an das Lazarethcvmitv abgeliefert werden mußten. Eben so
schwierig war die Herbeischaffung von Krankenwärtern, welche schon während des
Sommers zum Theil von den Thoubergs-Straßenhänsern und den andern nächsten
Umgebungen der Stadt mit Gewalt requirirt werden mußten, und während der
Schlachttage, theils um ihren Familien beizustehen, theils aus andern weniger
lobenswerthen Ursachen aus den Spitäler sich entfernt hatten, weshalb das Laza-
rethcomite sich genöthigt sah, am 26. October von dem Stadtrathe, außer 40
Assistenten für das' Comite, 800 Krankenwärter zu requiriren, welche freilich, am
wenigsten unter den damaligen Verhältnissen, so schnell herbeizuschaffen waren.

Zudem wurde die Schwierigkeit der Einrichtung der für die Militärhospitale
erforderlichen Localitäten dadurch ungemein vermehrt,

1) daß die vor der Schlacht eingerichteten Spitale in den Vorstädten zum
großen Theil geplündert und verwüstet waren;

2) daß der Kaiser von Rußland den strengen Befehl erließ, keinen Russen
in ein Spital zu legen, in dem früher Franzosen gewesen waren;

3) daß die Anordnungen der verschiedenen Armeen einander oft zuwiderliefen;

4) daß sämmtliche Militärärzte der verbündeten Truppen den Armeen folgten
und die ganze Besorgung der Spitale den Aerzten und Chirurgen der Stadt
überlassen blieb, die außer drei schwedische" und fünf französischen Chirurgen nur
die Barbiergehilfen zur Unterstützung hatten.

Demungeachtet wurden die ersten Maßregeln, um in dieses schauderhafte
Chaos einige Ordnung zu bringen, schon am 19. October, Nachmittags 3 Uhr,
unter Mitwirkung des kaiserl. russichcn Generalintendanten von Romanoff ergriffen,


dürste man ihn wohl eher der eignen Schuld der eingelegten Kranken und Ver¬
wundeten beimessen, welche sich zum Theil ganz ungebärdig betrugen.

Eben so übertrieben ist zuverlässig der Vorwurf, daß von 20,000 Kranken
und Verwundeten auch nicht ein Einziger ein Hemde, Betttuch oder dergleichen
erhalten. Schon vor der Schlacht bei Lützen, nach dem ersten Einzuge der ver¬
bündeten Truppen im April 18l3, wurden die Militairspitale in Leipzig, nach
Anleitung der königl. preußischen Instruction, für die Feldlazarethe vom Jahre
180« eingerichtet. Jeder Kranke erhielt eine hölzerne Bettstelle, Strohsack, Kopf¬
kissen, Betttuch nud wollene Decke. Diese Einrichtung blieb im Wesentlichen
dieselbe sowohl während der französischen Occupation als nach der Schlacht bei
Leipzig. Bei der großen schon vorhandenen Anzahl von Hospitäler sind wenig¬
stens diejenigen Kranken, welche noch dort untergebracht werden konnten, so weit
es möglich war, mit den Effecten versehen worden. Allein freilich war es eine
Unmöglichkeit, diejenigen Gebäude, welche ganz neu zu Hospitäler eingerichtet
werden mußten, sofort mit den nöthigen Requisiten zu versorgen; um jedoch die¬
sem Mangel bald möglichst abzuhelfen, wurden von dem Stadtrathe am 29. Oc-
tober von jeder Familie ein Hemde, ein Betttuch und ein Strohsack requirirt,
welche Stücke sofort an das Lazarethcvmitv abgeliefert werden mußten. Eben so
schwierig war die Herbeischaffung von Krankenwärtern, welche schon während des
Sommers zum Theil von den Thoubergs-Straßenhänsern und den andern nächsten
Umgebungen der Stadt mit Gewalt requirirt werden mußten, und während der
Schlachttage, theils um ihren Familien beizustehen, theils aus andern weniger
lobenswerthen Ursachen aus den Spitäler sich entfernt hatten, weshalb das Laza-
rethcomite sich genöthigt sah, am 26. October von dem Stadtrathe, außer 40
Assistenten für das' Comite, 800 Krankenwärter zu requiriren, welche freilich, am
wenigsten unter den damaligen Verhältnissen, so schnell herbeizuschaffen waren.

Zudem wurde die Schwierigkeit der Einrichtung der für die Militärhospitale
erforderlichen Localitäten dadurch ungemein vermehrt,

1) daß die vor der Schlacht eingerichteten Spitale in den Vorstädten zum
großen Theil geplündert und verwüstet waren;

2) daß der Kaiser von Rußland den strengen Befehl erließ, keinen Russen
in ein Spital zu legen, in dem früher Franzosen gewesen waren;

3) daß die Anordnungen der verschiedenen Armeen einander oft zuwiderliefen;

4) daß sämmtliche Militärärzte der verbündeten Truppen den Armeen folgten
und die ganze Besorgung der Spitale den Aerzten und Chirurgen der Stadt
überlassen blieb, die außer drei schwedische» und fünf französischen Chirurgen nur
die Barbiergehilfen zur Unterstützung hatten.

Demungeachtet wurden die ersten Maßregeln, um in dieses schauderhafte
Chaos einige Ordnung zu bringen, schon am 19. October, Nachmittags 3 Uhr,
unter Mitwirkung des kaiserl. russichcn Generalintendanten von Romanoff ergriffen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/55>, abgerufen am 03.07.2024.